Wem gehört Berlin?

  09 Juli 2016    Gelesen: 890
Wem gehört Berlin?
Im Streit um die Berliner Volksbühne geht es nicht mehr um ein Theater. Es tobt ein Kulturkampf um Gentrifizierung, Eventisierung und die Deutungshoheit in der Stadt.
Die Arbeitssprache in der Volksbühne wird weiterhin Deutsch sein. Ein Satz wie ein Hammer! Berlins Kulturverwaltung sieht sich zu dieser amtlichen Feststellung veranlasst. In einer internationalen Stadt wie Berlin, im Zusammenhang mit einem weltweit beachteten Theater klingt das wie Satire. Leider muss man es ernst nehmen. Denn hier zeigt sich der ganze Irrsinn, die Verbohrtheit des Streits und die irrationale Angst vieler Mitarbeiter, die von drinnen wie von draußen geschürt wird. Hier tobt ein Kulturkampf, der sich immer mehr von Frank Castorf, Volksbühnenchef seit 24 Jahren, und Chris Dercon, seinem designierten Nachfolger, entfernt.

In ganz Berlin scheint es nur ein einziges Theater zu geben. Es ist zum Symbol für die Unbeugsamen geworden, die sich wehren gegen die Verwischer und Verflacher. Gegen die Gentrifizierer und die Touristifizierer. Altes Berlin, häufig mit ostdeutschen Wurzeln, wehrt sich gegen neues Berlin, das immer nur an Spektakel, Party und neue Besucherrekorde denkt. Politisches Theater will nicht einer "global verbreiteten Konsenskultur" weichen, wie es in dem Protestbrief der Volksbühnenmitarbeiter heißt.

Ein Sommerfestival der Ressentiments und Klischees: Es geht schon nicht mehr allein um die Volksbühne, sondern um die Stadt. Wem gehört Berlin?

Die Volksbühne wird zur Bremse

Schon einmal gab es ein Theater, an dem man das Ticken der Zeit so deutlich vernahm: die Volksbühne Anfang der Neunziger. Es war heißes Eisen, das geschmiedet wurde, es ging um Arbeitsplätze, Künstlerstolz, um die intellektuelle Lufthoheit in der sozial, politisch, kulturell überraschten Doppelstadt. Der Senat überließ die marode Volksbühne dem Regisseur Frank Castorf aus der DDR, der damals auch schon im Westen gearbeitet hatte. Die Entscheidung hatte durchaus historische Gründe, aber hieß auch volles Risiko. Die Volksbühne war Motor des Neuen. Und nun die Bremse?

Ähnlich verlief im Juni 1991 die Argumentation im Bundestag für Berlin als Hauptstadt. Wolfgang Schäuble sagte: "Teilen heißt, dass wir gemeinsam bereit sein müssen, die Veränderungen miteinander zu tragen, die sich durch die deutsche Einheit ergeben." Das könne nur in Berlin geschehen.

Es ist dann nicht alles so schnell gekommen wie gedacht. Doch ein Vierteljahrhundert später verändert sich Berlin, Europa, die Welt in einem Tempo, das nicht jeder verträgt und versteht. Berlins Infrastruktur – ob Verkehr, Schulen, Bürgerämter oder Polizei – kommt nicht hinterher. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (der auch Kultursenator ist) wirkt wie der Zauberlehrling, der nicht mehr der Geister Herr wird, die er rief.
Sentimentales Stadttheater

Und da steht die gute, alte, linke Volksbühne und soll jetzt auch noch weg! Die identitätsstiftende Kraft dieses Theaters ist beispiellos. Weil es schon immer mehr war als ein Theater, aggressiv einladend, offen, hyperaktiv in den besten Zeiten als Ort für Debatten, Partys, Konzerte und spektakuläre Inszenierungen. Castorfs Lange Nächte mit Nibelungen & Co. sind legendär. Lange her, nicht wiederholbar.

Eine gewisse Tragik liegt darin, dass die Volksbühne, die so viel bewegt hat, nun wie ein Fels in der Brandung stehen soll. Alles verändert sich, hier kann man sich festhalten, an der eigenen Geschichte. Marmor, Stein und Eisen bricht, aber diese Bühne nicht. Es schmerzt, wie aus dem radikalen Staatstheater der Wendezeit ein sentimentales Stadttheater geworden ist – mit immer noch tollen Künstlern.

Chris Dercon hat von all den Berliner Abgründen und Untiefen nichts gewusst. Nur deshalb traute er sich den Job zu. Auch der Senat hat die Stimmung falsch eingeschätzt. Und Castorf hätte das Haus auf Lebenszeit behalten, Klaus Wowereit schützte ihn stets. So vertrackt ist die Lage. Zurückdrehen lässt es sich aber nicht – das Rad mit den Füßen, jene Skulptur am Rosa-Luxemburg-Platz, das Wahrzeichen der Volksbühne. Wenn Dercon nicht eine faire Chance bekommt, ist die Volksbühne wirklich in Gefahr.


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