“Özil war einer der besten Offensivspieler der EM“
Während in Deutschland über seine Idee gestritten wurde, war Stefan Reinartz in der Südsee. "Packing" war das Modewort der ersten Turnierwochen, die ARD-Moderatoren analysierten mit der von Reinartz und seinem früheren Leverkusener Mitspieler Jens Hegeler entwickelten Methodik zur Erfassung von Spieldaten jede Begegnung der EM, während die ZDF-Moderatoren und natürlich Scharen von Twitterern lästerten.
Aber Reinartz, 27, der im Sommer seine Karriere als Fußballer bei Eintracht Frankfurt wegen einer Serie von Verletzungen beendet hat, war in den Flitterwochen. Die Kritik an seiner Idee - vereinfacht gesagt: mit Pässen oder Dribblings ausgespielte Gegner zu zählen - berührte ihn also nicht wirklich. "Ich war tiefenentspannt", sagt er. Packing sei "eine Idee, um den Leuten Fußball besser zu erklären". Nicht mehr und nicht weniger. Die EM hat ihn allerdings auch im Urlaub berührt, die Spiele hat er gesehen. Mittlerweile ist er zurück in Deutschland und wertet für den DFB die Daten der deutschen Spiele aus.
SZ: Herr Reinartz, was hätte Deutschland gegen Frankreich besser machen müssen? Hat einfach nur ein Mittelstürmer gefehlt, der die Tore macht - oder hat die Mannschaft noch mehr falsch gemacht?
Reinartz: Man kann natürlich jetzt an der Mannschaft rummäkeln, aber es war eine sehr gute Leistung dafür, dass wichtige Spieler gefehlt haben und Frankreich aus dem Vollen schöpfen konnte. Wir haben unser Ballbesitzspiel in der ersten Halbzeit durchbekommen, haben unsere Dominanz nur nicht ganz in den Sechzehner reingebracht. Für die Niederlage war letztendlich ausschlaggebend, dass die Konterverhinderung nicht perfekt war, das hätten wir auch in der dünnen Besetzung noch besser machen können. Wenn man den Gegner schon so tief in der eigenen Hälfte bindet wie die Deutschen die Franzosen, dann schafft es zum Beispiel Bayern München extrem gut, die Spieler, die den Konter einleiten, sofort unter Druck zu setzen und in Deckung zu nehmen. Das hat nicht zu hundert Prozent funktioniert.
Ist Deutschland also ausgeschieden, weil die Spieler in der vordersten Linie ihre Aufgaben nicht erfüllt haben, nicht energisch genug angegriffen haben?
Das größte Entwicklungspotenzial liegt bei der deutschen Mannschaft im Gegenpressing und in der Organisation dahinter. Ein Beispiel: Wenn etwa Julian Draxler ins Eins-gegen-eins geht, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass daraus ein Tor entsteht, im niedrigen einstelligen Bereich. Die Wahrscheinlichkeit, dass Frankreich den Ball gewinnt und kontert, ist hoch. Deshalb versucht man sich in der sogenannten Restverteidigung schon so zu stellen, dass der Konter überhaupt gar nicht gespielt werden kann. Das hat nicht so gut geklappt.
Dann wissen die Portugiesen ja, was sie zu tun haben. Wird es ihnen besser gelingen als den Deutschen?
Frankreich ist die bessere Mannschaft. Aber die Portugiesen stehen hinten sehr gut. Es kann schon passieren, dass sie die Franzosen mit ihren eigenen Waffen schlagen und auskontern. Andererseits: Frankreich hat viele extrem athletische Spieler, das lädt nicht zum Kontern ein.
Ist das Spiel ein würdiges Finale dieser EM, sind das tatsächlich die beiden besten Mannschaften, die am Sonntag in Saint-Denis aufeinandertreffen?
Portugal definitiv nicht. Das ist eine ordentliche, ganz gute Mannschaft, mehr aber auch nicht. Bei einem anderen Turnierbaum, in dem sie auf Italien oder Deutschland getroffen wären, hätten es die Portugiesen nicht ins Finale geschafft.
Und Frankreich?
Ist laut unseren Daten die Mannschaft, die am wenigsten überspielt wird, das haben die Deutschen im Halbfinale ja auch erfahren müssen.
Aber das Prunkstück der Mannschaft ist doch die starke Offensive um Griezmann, Giroud und Payet.
Das kommt noch obendrauf, deshalb stehen sie auch verdient im Finale. Aber das Fundament ist die Defensive. 17-mal sind die Franzosen im ersten Spiel gegen Rumänien überspielt worden, gegen die Schweiz nur elfmal, die Daten für die weiteren Spiele: 15, 21, 25, 19. In den K.-o.-Spielen ist es also ein bisschen mehr geworden, aber auf hohem Niveau. Die anderen Mannschaften beißen sich an der Doppelsechs um Matuidi und Pogba die Zähne aus, ein Bollwerk vor der eigenen Abwehr. Sehr schwer, sich da durchzuspielen.
Quelle: sueddeutsche.de