Warum der illoyale Tausendsassa keine absurde Wahl ist

  14 Juli 2016    Gelesen: 507
Warum der illoyale Tausendsassa keine absurde Wahl ist
Er bezeichnete Hillary Clinton als "sadistische Krankenschwester", verglich die EU mit Hitler. Und nun wird Boris Johnson britischer Außenminister. Doch die neue Premierministerin verfolgt einen Plan.
"Ich gehe sofort an die Arbeit." Das waren die mageren Worte, mit denen Theresa May sich vor knapp zwei Wochen – derzeit eine halbe Ewigkeit in der britischen Politik - um das höchste Amt im Königreich bewarb. Kaum im Amt, bewies die neue Premierministerin, dass sie meint, was sie sagt. Theresa May blufft nicht und sie verliert auch keine Zeit. Bereits am Abend nach ihrer Ernennung, wenige Stunden, nachdem ihr die Queen die Amtsgeschäfte übertragen hat, ist klar, wie ausgeprägt das machiavellistische Gespür der neuen Regierungschefin ist.

May weiß, wie man Macht gewinnt und Macht verteidigt. Sie hat auf einen Schlag alle Zweifel beseitigt, dass sie - die für den Verbleib in der EU eingetreten ist - den Brexit verhindern will. Mehr noch: Sie setzt das EU-feindliche Lager außer Gefecht, indem sie es zur Verantwortung zieht. Nun müssen Brexit-Befürworter dafür sorgen, dass der Austritt gelingt.

Die spektakulärste Amtshandlung des ersten Tages war die Ernennung von Boris Johnson zum Außenminister. Es war wie ein Paukenschlag, manche hielten es zunächst für einen Witz. "Entschuldigung, liebe Welt", titelt der Daily Mirror über einem albernen Foto des in der Luft baumelnden ehemaligen Londoner Bürgermeisters.

Johnson, der gegen die Regierung - also auch gegen Theresa May - für den Austritt aus der EU gekämpft hatte, galt bis vor einer Woche selbst als Favorit für den Posten des Premierministers. Erst im letzten Moment zog er seine Kandidatur zurück und unterstützte danach nicht Theresa May, sondern ihre Rivalin Andrea Leadsom.

Dass Theresa May ihm das alles verzeiht und ausgerechnet diesen undiplomatischen, unberechenbaren und illoyalen Tausendsassa zum Außenminister ernennt, wirkt auf den ersten Blick absurd. Johnson wirkte am Abend selbst baff über seine politische Wiederauferstehung. Der "Guardian" schreibt, mit Johnsons Ernennung hätte May es allen zeigen wollen, die meinten, sie hätte keinen Humor.

Clevere May beschränkt Johnsons künftiges Aufgabengebiet

Auf den zweiten Blick offenbart sich jedoch, dass Mays Nachsicht allein ihren eigenen Zwecken dient. Mit Johnson hat sie den beliebtesten Brexiteer in die Regierung eingebunden. Der Druck lastet nun auf ihm – und seinem unbestrittenen Ehrgeiz – sich zu beweisen.

Außerdem hat sie sein Mandat durch zwei neu geschaffene Kabinettsposten entscheidend beschnitten. Beide sind ebenfalls von prominenten EU-Skeptikern besetzt. Es gibt nun ein Ministerium für die Brexit-Verhandlungen und ein Ministerium für Internationale Handelsbeziehungen. Für beides also ist Johnson nicht zuständig.

Stattdessen wird sich sein Posten weitgehend auf das beschränken, was er am besten kann: Andere für sich einzunehmen. Als Außenminister wird Johnson eine ähnliche Rolle spielen wie als Bürgermeister, nur auf größerer Bühne. Und warum sollte May auf diese Show und dieses einmalige Talent, für Großbritannien zu werben, verzichten?

Der Unterhaltungswert zukünftiger Gipfeltreffen wird auf jeden Fall steigen. May darf zum Beispiel gespannt darauf sein, wie ihr Außenminister Hillary Clinton beschwichtigt und ihr erklärt, warum er sie mit einer "sadistischen Krankenschwester in der psychatrischen Anstalt" verglichen hat. Wenn Bill Clinton Hillary aushalte, hatte Johnson einst in seiner Kolumne für den "Daily Telegraph" geschrieben, sei er allen Katastrophen gewachsen. Die EU verglich er auf seinem Werbefeldzug für den Brexit gleich mit Hitlers Machtstreben. Sein legendärer Mangel an diplomatischem Feingefühl führte auf einer Reise als Bürgermeister auch dazu, dass ihm die geplante Einreise in palästinensische Gebiete verweigert wurde.

Osborne? Erledigt

Doch Theresa Mays am ersten Tag bewiesene Duldsamkeit beschränkt sich nur auf diejenigen, die ihr nutzen. George Osborne, bis dahin Finanzminister, engster Verbündeter und Kronprinz von David Cameron wurde unbarmherzig und vor aller Augen erledigt. Mays Antrittsrede vor der Downing Street Nummer 10 las sich wie die Auflistung des gesellschaftlichen Schadens, den Osbornes Sparpolitik in den vergangenen sechs Jahren angerichtet hat.

May beteuerte, wie sehr ihr bewusst sei, dass das Leben für viele Briten immer schwerer geworden sei. Kurz darauf sah man Osborne die Nummer 11, seinen Amtssitz, durch die Hintertür verlassen und das Weite suchen. Neuer Finanzminister wird Philip Hammond, der bisherige Außenminister. Hammond gilt als zuverlässig, bürokratisch, loyal und langweilig.

Die weiteren Personalentscheidungen werden – zweifellos – in Kürze folgen. Die neue furchtlose Chefin räumt auf. In ihrer Antrittsrede hat Theresa May den Ton geändert und mit der Besetzung der wichtigsten Kabinettsposten das Personal. Großbritannien ist aus der Schockstarre nach dem Referendum erwacht. Jetzt geht es an die Arbeit.

Quelle : welt.de

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