Der ungarische Schriftsteller Peter Esterhazy ist tot. Der Meister der postmodernen Ironie ist im Alter von 66 Jahren seinem Bauchspeicheldrüsenkrebs erlegen. Dies berichtete die ungarische Nachrichtenagentur MTI unter Berufung auf die Familie und den Verlag des Autors.
Esterhazy hatte seine Krankheit im vergangenen Oktober öffentlich gemacht, als er sein Fernbleiben von der Buchmesse in Göteborg begründete. Vor gut einem halben Jahr hatte er dann seine Erkrankung selbst in seinem neuesten Buch "A bünös" (Der Schuldige) thematisiert.
Peter Esterhazy hatte mit seiner Sprach- und Fabulierlust gerade auch in Österreich viele Fans. Den Österreichischen Staatspreis für europäische Literatur hatte der jahrelang immer wieder auch als Nobelpreiskandidat gehandelte Autor bereits 1999 erhalten. Die Übersetzungen seiner Bücher schaffen es regelmäßig auf die ORF-Bestenliste. Der Meister der ungarischen Postmoderne malte das Leben als barockes Mosaik aus Geschichten, die sich gegenseitig jagen und widersprechen.
"Es ist elend schwer zu lügen, wenn man die Wahrheit nicht kennt"
"Jeder ist ein Geschichtenerzähler, aber manchmal ist der Ton der Geschichte wichtiger", sagte Esterhazy vor drei Jahren. Sein berühmtester Satz steht aber am Anfang seines großen Romans "Harmonia Caelestis", der ihm 2004 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels einbrachte: "Es ist elend schwer zu lügen, wenn man die Wahrheit nicht kennt." Damit hat Peter Esterhazy seine Poetik auf den Punkt gebracht. Seine Baumaterialien waren die Geschichte Mitteleuropas, die damit verwobene Historie seiner jahrhundertealten Adelsfamilie Esterhazy, sowie literarische Werke anderer Autoren. Esterhazy dekonstruierte, rekonstruierte, spielte mit Zitaten - diese Bausteine fallen sich gegenseitig ins Wort, wie ein deutscher Kritiker einmal schrieb.
Die Auseinandersetzung mit der Geschichte war Esterhazy geradezu in die Wiege gelegt. Geboren am 14. April 1950 in Budapest in einer Zeit des tiefen Stalinismus, erlebte er mit seinen Eltern die Verbannung in ein Dorf. Die adligen Esterhazys galten als Klassenfeinde. Dass seiner Familie Besitz und Macht abhandenkamen, bezeichnete Esterhazy oft als Glücksfall, weil ihm dies die Rebellion gegen die Vorfahren erspart habe. Ihnen setzte Esterhazy in "Harmonia Caelestis" ein ironisches Denkmal.
Zentral in diesem Roman ist die Vaterfigur, wobei sich der biologische Erzeuger in viele historische Väter aufsplittert und mit ihnen vereinigt. Allesamt heißen sie "Meinvater". Just zu diesem Thema hielt das reale Leben eine traurige Ironie für den Autor bereit: Kurz nach Veröffentlichung von "Harmonia Caelestis" fand Esterhazy heraus, dass sein damals schon verstorbener Vater Spitzel des kommunistischen Geheimdienstes war. Er verarbeitete dies in dem Band "Verbesserte Ausgabe".
Die Familie taucht als Motiv schon in Esterhazys Debütwerk "Fancsiko und Pinta" auf, das er 1976 kurz nach seinem Mathematikstudium veröffentlichte. Esterhazy sei damit "in die im Frost des sozialistischen Realismus erstarrte ungarische Literatur eingebrochen wie der Frühlingswind", schrieb der ungarische Literatur-Nobelpreisträger Imre Kertesz dazu. Seit 1978 ist Esterhazy, der zunächst als Informatiker arbeitete, freier Schriftsteller. Mit "Ein Produktionsroman" wurde er 1979 in Ungarn über Nacht berühmt, ist heute aber auch im deutschen Sprachraum der bisher meistgedruckte ungarische Autor.
Bisweilen ist Esterhazy vorgeworfen worden, dass er nicht offen gegen das kommunistische Regime in seinem Land opponiert habe. Dazu sagte er, dass er damals wie viele seiner Zeitgenossen über das Regime nur noch "gelacht" habe. Esterhazy hat als junger Erwachsener vor allem den sanften Gulaschkommunismus erlebt. Umso deutlicher stellte er sich später gegen die rechtsnationale Regierung unter Ministerpräsident Viktor Orban. "Ich habe gar kein Vertrauen zu dieser Regierung, aber das bedeutet, dass dadurch auch meine Objektivität begrenzt ist. Man sitzt in einer Falle", meinte Esterhazy 2013.
Kurz davor hatte der regierungstreue ungarische Staatsrundfunk einen Satz aus einem Interview Esterhazys weggeschnitten, in dem er empfohlen hatte, das Nationaltheater noch zu besuchen, solange der von der Regierung bestellte neue Intendant noch nicht im Amt sei. Der Chef der zentralen Medienholding MTVA, Istvan Böröcz, entschuldigte sich daraufhin bei dem Schriftsteller für diesen Akt der Zensur - mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass er dies nur wegen dessen literarischen Ruhms tue. "Diese Geschichte ist deswegen so furchterregend, weil sie so unwichtig ist", meinte der Autor dazu. "Das Ganze ist eine absolut kleinkarierte, lächerliche Sache. Aber sie steht natürlich nicht alleine." Um den unbedingt notwendigen Grundkonsens im Land wieder herzustellen, müssten jedoch "alle Beteiligten Kompromisse schließen. Das ist nicht leicht. Ich weiß das von mir selbst."
Quelle: diepresse.com
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