Für den türkischen Staat sind sie Verräter, die sofort der Justiz überstellt warden müssen. Für Griechenland sind sie ein moralischer, juristischer und diplomatischer Alptraum. Für ihre Anwältin Ilia Marikani sind die acht türkischen Offiziere, die mutmaßlich am Putschversuch in der Türkei beteiligt waren und nach Griechenland geflohen sind, "aufrechte Männer", furchtlos im Angesicht finsterer Aussichten - vielleicht erwartet sie sogar die Hinrichtung.
Am Samstag waren die acht Männer mit einem Hubschrauber in der nordgriechischen Stadt Alexandroupoli gelandet, nachdem sie einen Notfall gemeldet hatten. Sie wurden festgenommen und ins Polizeihauptquartier gebracht. Dort beantragten sie politisches Asyl in Griechenland.
Marinaki wurde beauftragt, vier der Männer juristisch zu vertreten. Ihre Mandanten sind Majore, die ihren griechischen Vernehmern erklärten, sie hätten Sanitätshubschrauber geflogen. "Sie machten einen furchtlosen und ruhigen Eindruck", berichtet die Anwältin im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE.
Angeblich nur Verletzte transportiert
Die Männer wurden von der griechischen Polizei verhört, anwesend waren auch griechische Geheimdienstler und Armeeangehörige. "Ihre Behandlung durch die griechischen Offiziere war nicht zu beanstanden", sagt Marinaki.
Die Geschichte, die sie den griechischen Behörden erzählten, ist diese: Sie taten einfach ihre Arbeit, befolgten Befehle, transportierten in unterschiedlichen Helikoptern Verletzte aus Istanbuls Straßen. Von einem Putsch hätten sie keine Ahnung gehabt. Davon hätten sie erst später erfahren, als sie auf ihren Smartphones die Nachrichten lasen.
Dann hätte die türkische Polizei das Feuer auf sie eröffnet, in dem Glauben, sie wären an dem Komplott gegen Erdogan beteiligt. Sie hätten um ihr Leben gefürchtet. Sie hätten Angst gehabt, hingerichtet zu werden. "Sie sind alle in denselben Hubschrauber gesprungen und haben sich entschlossen, nach Alexandroupoli zu fliehen", berichtet Marinaki.
Und da sind sie nun, im zweiten Stockwerk des alten Apartment-Komplexes, in dem die Polizei untergebracht ist, nur einige Hundert Meter entfernt von der friedlichen, malerischen Promenade der Stadt.
Marinaki sagt, ihre Mandanten hätten bei ihrer Aussage keinerlei Schwäche oder Emotion gezeigt. Sie hätten nur nach dem Asylverfahren gefragt, und wie lange dieses dauern würde. "Manchmal dauert es Jahre", habe Marinaki einem der Männer geantwortet. Seine Frau habe erst vor wenigen Monaten ein Kind geboren.
Die Türkei wird sich mit "Jahren" nicht zufrieden geben. Tatsächlich hat der türkische Außenminister bereits über Twitter verkündet, mit seinem griechischen Amtskollegen Nikos Kotizias gesprochen zu haben. Es sei ihm versichert worden, dass "die Verräter so schnell wie möglich zurückgeschickt werden".
Aber ein griechischer Regierungsvertreter sagte SPIEGEL ONLINE, dass seine solche Vereinbarung nicht existiere. "Das Asylverfahren wird schnell geprüft, allerdings in einem ordnungsgemäßen Verfahren", sagte der Offizielle. Ähnlich hat sich mittlerweile auch der griechische Regierungschef Alexis Tsipras im Gespräch mit dem türkischen Präsidenten Erdogan geäußert: Griechenland werde die Asylanträge "schnell" überprüfen, zitierte ihn ein Regierungsvertreter, mit "absolutem Respekt" vor dem Völkerrecht und Menschenrechtsabkommen.
Keine Gesetze brechen, um Erdogan zu gefallen
Auf den Begriff "ordnungsgemäßes Verfahren" wird es ankommen. Griechenland ist sensibel für die türkischen Forderungen und erkennt die Schwere der Vorwürfe gegen die türkischen Offiziere an. Allerdings wird es nicht den Eindruck erwecken wollen, internationale und griechische Gesetze zu brechen, um Erdogan einen Gefallen zu tun.
Ein mit Asylfragen beschäftigter Beamter erklärte, die Regierung könne den Fall zwar priorisieren, aber nicht die Bearbeitung beschleunigen und noch weniger den Ausgang des Verfahrens bestimmen.
"Schnell" ist in diesem Zusammenhang ein weiteres Schlüsselwort. Normalerweise dauern Asylverfahren zwischen einem und mehreren Jahren. Dieser Fall wird nicht so lange brauchen, wie die Äußerungen von Tsipras erkennen lassen. Aus offensichtlichem Grund: Athen möchte nicht den Ärger der Türkei provozieren, der ihm sicher wäre, wenn die Soldaten nicht ausgeliefert werden oder die Bearbeitung zu lange dauert. Es gibt zwischen Griechenland und der Türkei viele Streitpunkte, dazu zählen die Situation in Zypern und in der Ägäis. Noch wichtiger ist, dass Griechenland auf keinen Fall den Flüchtlingsdeal der EU mit der Türkei gefährden möchte. Griechische Offizielle befürchten, dass ein verärgerter Erdogan es zulassen könnte, dass wieder große Zahlen von Flüchtlingen die Ägäis überqueren.
Über die Zukunft der türkischen Offiziere lässt sich also wenig mit Gewissheit sagen, nur dieses: Erstens werden sie die Nacht in der nahegelegenen Kleinstadt Ferres verbringen, denn das Gefängnis des Polizeistützpunktes von Alexandroupoli ist erst kürzlich bei einem Feuer ausgebrannt. Zweitens werden sie am Sonntag offiziell Asyl beantragen. Drittens werden sie ebenfalls am Sonntag einem Richter vorgeführt. Ihnen werden zwei Vorwürfe gemacht: Illegale Einreise und Gefährdung der friedlichen Beziehungen mit einem anderen Staat. Anwälte vertreten die Ansicht, dass sie vermutlich auf Bewährung auf freien Fuß gesetzt werden, möglicherweise mit Auflagen.
Das türkische Auslieferungsersuchen ist ein separater Vorgang, der vom Justizministerium bearbeitet werden wird, sagte ein in die Sache involvierter Beamter SPIEGEL ONLINE. Es ist unklar, ob dieses Verfahren parallel zum Asylverfahren laufen wird oder erst folgt, wenn letzteres abgeschlossen ist. Diese Frage ist noch nicht entschieden.
Quelle: spiegel.de
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