Haus mit Strohhut

  23 Juli 2016    Gelesen: 626
Haus mit Strohhut
Reetdächer gehören zu Norddeutschland wie Dünen und Wattenmeer. Das Arme-Leute-Dach ist heute wieder Trend. Doch nicht nur an den Küsten, auch im Schwarzwald sind sie beliebt.
Es strahlt Wärme aus, Ursprünglichkeit und Geborgenheit. Egal, ob darunter ein Backsteinhaus steckt oder eine Fachwerkkonstruktion, ob Alt- oder Neubau: Das Reetdach macht stets eine gute Figur. Deshalb ist es auch in der kollektiven Wahrnehmung so präsent, obwohl diese ursprüngliche Form der Dacheindeckung aus getrockneten Halmen des Schilf- oder Teichrohrs (Phragmites australis) mit wahrscheinlich nur knapp 100.000 Objekten in ganz Deutschland lediglich eine Nebenrolle im Immobilienbestand spielt.

Einst ein Arme-Leute-Dach (siehe Kasten unten), zählen Weichdächer wie die Eindeckung mit Reet heute eindeutig zu den kostspieligeren Varianten, um ein Haus vor der Witterung zu schützen. Dafür verantwortlich ist neben dem Material insbesondere der hohe Anteil an Handarbeit, ähnlich wie zum Beispiel bei Schiefer- und Schindeldächern. Mindestens 100 Euro sollten Bauherren für den mit Reet gedeckten Quadratmeter Dachfläche einplanen - dazu kommen Zulagen für aufwendige Bereiche wie Gauben und First sowie die Mehrwertsteuer. Allerdings unterscheiden sich die Preise nach Regionen und Betrieben zum Teil deutlich.

Am Anfang jedes Daches steht das Naturmaterial. Am besten eignet sich einjähriges Reet, das im Winter geerntet wird. Dann sind die Halme zwar schon abgestorben und trocken, aber noch elastisch und hart. Erntet man zu früh, sind die Halme noch feucht, was die Lebenszeit des Daches erheblich verkürzen kann. Um diesen Zusammenhang wussten schon die Bauern, die früher das Rohr für den Eigenbedarf schnitten.

Doch mit historischen Bildern der Ernte von Hand an zugefrorenen Kanälen hinter dem Deich hat die Gegenwart wenig zu tun. Denn längst ist der Baustoff zu einer internationalen Handelsware geworden, die meisten Reetdächer in Deutschland werden heute mit Rohr aus der Türkei, Ungarn, China und Rumänien gedeckt. Die Interessengemeinschaft Pro Reet nennt als anerkannte Erntegebiete auch Dänemark, die Niederlande, Estland, Polen, Österreich, Südafrika, Litauen, Lettland, die Ukraine und Weißrussland. Derzeit ist ein Qualitätssiegel für den Naturbaustoff in Arbeit.

Ist die Auswahl für eine Dachkonstruktion und für eine Reetsorte gefallen, geht es an die Umsetzung. Gedeckt werden können die Rohrdächer das ganze Jahr über, solange es nicht zu feucht ist. In Bunden wird der Baustoff an die Baustelle geliefert, wo ihn der Dachdecker zur mindestens 30 Zentimeter dicken Eindeckung mit dem typischen großen Dachüberstand von mindestens 50 Zentimetern verarbeitet. Wichtig ist auch die Hinterlüftung von mindestens sechs Zentimetern. Denn der Luftaustausch unter dem dicken Dach geschieht vor allem durch Luftdruckunterschiede, nicht durch Thermik.

Damit der Verbund der Halme die gewünschte Form bekommt - und vor allem auch behält -, muss das Reet fixiert werden. In den dazu verwendeten Methoden unterscheidet sich die Moderne am deutlichsten von der historischen Handwerkspraxis. Denn einst wurde das Rohr bei dem sogenannten „genähten Dach“ mittels riesiger Nadeln auf der Lattung vernäht - oft mit Sisalschnur. Dieses Vorgehen kann man bis heute in historischen Gebäuden entdecken, beispielsweise in Freilichtmuseen.

Reetdachdecker haben das ganze Jahr hindurch volle Auftragsbücher.
Aktuell ist dagegen das „gebundene“ oder „geschraubte“ Dach der Standard in Deutschland. Dabei werden die Reetbündel auf die Latten gelegt und durch einen waagrecht verlaufenden Rundstahl locker fixiert, den Drähte durch das Reet hindurch mit den Latten verbinden. Entweder wird dieser Bindedraht um die Latten gebunden oder mit diesen verschraubt. Ist ein Bund derart gesichert, öffnet ihn der Dachdecker und bringt die Halme mit dem Klopfbrett in ihre endgültige Form. Dann wird der Rundstahl kraftschlüssig mit dem Reet verbunden. So wächst die Eindeckung Schritt für Schritt von der Traufe bis zum First.


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