Arbnor S. suchte am Freitagabend auf Facebook nach einem Lebenszeichen seiner kleinen Schwester Armela. „Seit dem Amoklauf haben wir nichts von ihr gehört. Wir wissen nur, dass sie sich bis jetzt in keinem Krankenhaus befindet.“ Armela sei 14 Jahre alt, 1,50 Meter groß. „Sie hat braune lange Haare.“ Dazu postete S. ein Bild, das ihn mit Armela zeigt: Sie hat die rechte Hand auf die Schulter des Bruders gelegt. Tausende Male wird der Eintrag geteilt.
Sechs Stunden nach dem Aufruf setzt S. eine weitere Nachricht ab: „Armela – unsere geliebte Tochter, Schwester, Freundin und in erster Linie ein geliebter Mensch ist heute durch den Amoklauf in München ums Leben gekommen. Wir lieben dich, Engel.“
Für Armela leuchten nun auch Kerzen, liegen Rosen vor dem Einkaufszentrum, so wie für die anderen acht Toten.
Um vier Uhr früh klopfen Polizisten an der Tür von Naim Z. Sie teilen ihm mit, dass sein einziger Sohn, Dijamant, tot ist. Am Samstagvormittag ist der Vater am Tatort. Er hält ein Bild seines 20-jährigen Sohnes: Es zeigt einen jungen Mann mit gepflegtem brünetten Haar und Lächeln im schmalen Gesicht. „Ich bin noch in Träumen, ich glaube noch nicht, was passiert ist“, sagt der Vater der deutschen Nachrichtenagentur DPA. „Sein Freund ist weggelaufen, meinen Sohn hat er getötet.“
Literatur über Amokläufe
„Warum?“, steht auf einem Karton zwischen den für die Opfer abgelegten Blumen. Ein Teil der Antwort liegt in Kisten, die Ermittler aus einem mehrstöckigen Mietshaus im wenige Kilometer entfernten Münchner Bezirk Maxvorstadt tragen. Dort hatte der Todesschütze gewohnt, mit seinem kleinen Bruder und den in den 1990ern aus dem Iran nach Deutschland gezogenen Eltern. Sie waren gestern nicht vernehmungsfähig. Im Zimmer des 18-Jährigen stieß die Polizei auf Literatur über Amokläufe, darunter etwa das Buch: „Amok im Kopf: Warum Schüler töten“. Der Deutsch-Iraner litt zudem an Depressionen und soll deswegen auch in Behandlung gewesen sein.
Schnell gerinnt der Verdacht zur Gewissheit: Es war kein islamistischer Terror. Von einem „klassischen Amoktäter ohne politische Motivation“ spricht der Münchner Staatsanwalt. Ali David S. soll den 17-jährigen Amokläufer von Winnenden 2009 verherrlicht haben. Auch das Datum, den fünften Jahrestag des Breivik-Massenmords in Norwegen, dürfte der Deutsch-Iraner wohl bewusst für sein von langer Hand geplantes Blutbad gewählt haben. „Das liegt auf der Hand“, erklärte die Polizei.
Rache an Migranten?
Auffallend ist, dass Ali S. außer einer 45-Jährigen nur Jugendliche (14 bis 20 Jahre) erschoss und fast alle Migrationshintergrund hatten. Sie waren Kosovaren, Griechen, Türken. Auch sagte der Schüler in einem von Anrainern gefilmten Schreiduell mit einem Unbekannten während des Attentats, man mobbe ihn. Zielte er absichtlich auf Jugendliche mit Migrationshintergrund, weil ihn solche – laut „Bild“ konkret Türken und Araber – in der Schule drangsaliert hatten?
Er hackte sich jedenfalls in einen Facebook-Account eines Mädchens mit türkischem Namen: „Kommt heute um 16 Uhr Meggi (McDonald`s, Anm.) am OEZ“, schrieb er und kündigte unter falscher Identität an, etwas zu spendieren. Eine Falle.
Freitag gegen 20.30 Uhr nimmt er sich mit einer Neun-Millimeter-Glock-Pistole das Leben. Im roten Rucksack, den er über dem schwarzen T-Shirt trägt, ist zwar keine Bombe, man findet darin aber 300 Schuss Munition.
Quelle: diepresse.com
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