Mythos oder Medizin: Ist es gefährlich, wilde Beeren zu essen?

  24 Juli 2016    Gelesen: 851
Mythos oder Medizin: Ist es gefährlich, wilde Beeren zu essen?
Finger weg von tief hängenden Himbeeren und Brombeeren, es droht eine Infektion mit dem Fuchsbandwurm! Wer in Süddeutschland aufgewachsen ist, hat diese Warnung in seiner Kindheit ständig gehört. Zu Recht?

Fuchsbandwürmer mögen keine Menschen und Menschen keine Fuchsbandwürmer. Soweit zur Theorie. Mitunter verhalten sich die Protagonisten allerdings inkonsequent: Die Würmer befallen Menschen, obwohl sie sich in ihnen nicht fortpflanzen können. Und der menschliche Körper lässt sich das gefallen, dabei gelten Fuchsbandwürmer als die für ihn gefährlichsten Parasiten in Europa.

Unbehandelt führt eine Infektion zum Tod. Medikamente dämmen die Ausbreitung des Wurms häufig nur ein, können ihn aber nicht aus dem Körper entfernen. Sie haben mitunter starke Nebenwirkungen und müssen ein Leben lang eingenommen werden.

Kaum verwunderlich, dass Eltern und Großeltern ihre Kinder mit gut gemeinten Hinweisen vor dem Parasiten schützen wollen. Himbeeren und Brombeeren nicht in der Nähe des Bodens zu pflücken und zu essen, ist einer von ihnen. Füchse könnten ihr großes Geschäft auf die Beeren verrichtet und dadurch Wurmeier auf ihnen verteilt haben, so die Theorie. Doch die Ratgeber übersehen wichtige Fakten.

Unwahrscheinlicher als vom Blitz getroffen werden

Tatsächlich melden Ärzte dem Robert Koch-Institut (RKI) heute jährlich doppelt so viele Fuchsbandwurm-Infektionen wie noch vor zehn Jahren. Insgesamt ist die Zahl aber extrem niedrig: 45 Menschen hat der Parasit im Jahr 2015 in Deutschland befallen. Bei 82 Millionen Einwohnern entspricht das einer Neuerkrankungsrate von 0,00005 Prozent.

"Es gibt fast nichts, was seltener ist", sagt Klaus Brehm, der den Fuchsbandwurm am Institut für Hygiene und Mikrobiologie der Uni Würzburg erforscht. Glaubt man Schätzungen, werden jedes Jahr mehr Menschen vom Blitz getroffen.

Vom Fuchs in die Maus in den Fuchs

Das liegt auch daran, dass der ein bis vier Millimeter große Fuchsbandwurm nicht wirklich für ein Leben im Menschen gemacht ist. Zu Hause ist er - wie der Name schon sagt - in Füchsen, in deren Darm er sich festsetzt. Nur um sich fortzupflanzen, machen die Parasiten einen Umweg über Mäuse.

Auf dem Weg dorthin, legen sie ihre Eier zunächst im Fuchsdarm ab. Mit dessen Kot gelangen Hunderte davon in die Umwelt, auf Felder und den Wald- und Wiesenboden. Mäuse verschlucken die Eier anschließend mit Samen und Gräsern, sodass im Darm der Nager Fuchsbandwurm-Larven schlüpfen. Diese bohren sich schließlich durch die Darmwand und gelangen mit dem Blutstrom in die Mäuseleber. Hier entwickeln sie sich zu sogenannten Finnen.

"Die sehen überhaupt nicht aus wie Würmer", sagt Brehm. "Man kann sie sich vorstellen wie kleine Bläschen, die immer mehr werden." Zu erwachsenen Fuchsbandwürmern entwickeln sie sich hier nicht. Die Erkrankung schwächt die Mäuse, der Fuchs frisst sie, neue Bandwürmer schlüpfen in seinem Darm und das Spiel geht von vorne los.

Endstation Mensch

Gelangen die Eier in den Menschen statt in die Maus, endet der Kreislauf. Wie im Nagetier arbeiten sich die Wurmlarven in die Leber vor, Finnen-Bläschen durchdringen nach und nach das Gewebe. "Die Krankheit ähnelt bösartigen Tumorerkrankungen", sagt Brehm.

In der Regel breiten sich die Bläschen fünf bis zehn Jahre unbemerkt im Körper der Patienten aus, bevor Beschwerden auftreten. In dieser Zeit arbeiten sie sich teils in weitere Organe wie die Lunge oder das Hirn vor.

Mehr Füchse, mehr Infektionen

Dass immer mehr Menschen erkranken, liegt wohl vor allem an der Ausbreitung des Fuchsbandwurms, berichten Forscher in einem Übersichtsartikel von 2012. "In den Neunzigern hat die Zahl der befallenen Füchse stark zugenommen", erklärt Brehm. "Zehn Jahre danach konnte in etwa eine Verdoppelung der Infektionen beim Menschen verbucht werden." Da es ungefähr genauso lange dauert, bis ein Befall auffällt, liegt ein Zusammenhang nahe.

Wie die Würmer in den Menschen gelangen, ist allerdings ziemlich unklar. "Wir wissen bei keinem einzigen Patienten sicher, wie er sich infiziert hat", so Brehm. Fest steht nur: Irgendwie müssen Wurmeier in den Darm kommen - ob über Lebensmittel, schmutzige Hände oder auf einem anderen Weg.

Vergesst die Beeren

In einer Studie aus dem Jahr 2014 haben Forscher die Lebensumstände von 40 Fuchsbandwurmkranken mit 120 Gesunden im gleichen Alter und aus der gleichen Region verglichen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ungewaschene Himbeeren zu einem Befall mit dem Fuchsbandwurm führen, ist demnach eher gering.

"Der Fuchs setzt sich nicht auf den Himbeerstrauch und macht von oben auf die Früchte", kommentiert Brehm. Auch er sieht die Beerentheorie kritisch. Als einziges theoretisch mögliches Risikolebensmittel nennt er Erdbeeren, die auf offenen Feldern in Waldnähe wachsen. "Darin gibt es Mäuse, die der Fuchs jagt. Und wo er Beute macht, markiert er." Die geringe Erkrankungszahl beim Menschen spricht allerdings auch gegen dieses Szenario.

Wahrscheinlichste Fuchsbandwurmquelle: Hunde

Unabhängig von Lebensmitteln fiel in der Studie von 2014 auf, dass Jäger und Landwirte, die täglich auf Wald- und Feldböden arbeiten, vergleichsweise häufig am Fuchsbandwurm erkranken. 65 Prozent der Fälle ließen sich mit solchen Tätigkeiten in Verbindung bringen.

Zudem ist das Erkrankungsrisiko offenbar bei Hundebesitzern erhöht, wenn ihre Tiere auf Mäusejagd gehen oder unbeaufsichtigt umherstreunen. Einmal infiziert, scheiden Hunde ähnlich viele Wurmeier aus wie Füchse, berichteten Forscher 2006.

In Deutschland fanden Wissenschaftler in einer Stichprobe aus mehr als 18.000 Kothaufen allerdings nur bei 0,24 Prozent der Hunde Fuchsbandwurmeier. Die meisten Fälle stammten aus Süddeutschland, wo auch der Großteil der infizierten Füchse, Mäuse und Menschen lebt.

"Vorsicht geboten ist wohl am ehesten bei Streunern", erklärt Brehm. "Sie werden nicht entwurmt und fressen besonders häufig Mäuse, weil sie sonst nichts bekommen." Denkbar ist, dass die Eier ins Fell der Hunde gelangen und von dort auf menschliche Hände und in den Mund. Befallene Katzen verbreiten übrigens nur wenige Fuchsbandwurmeier und sind für den Menschen demnach wohl eher kein Risiko.

Meist kann der Körper den Wurm abwimmeln

"Man muss schon eine ordentliche Portion Eier aufnehmen, um sich zu infizieren", sagt Brehm. Forscher gehen von Hunderten bis Tausenden aus. Hinzu kommt: 80 bis 90 Prozent der Menschen in Europa scheinen resistent gegen Fuchsbandwürmer zu sein. Dafür sprechen mehrere Studien aus Deutschland, Frankreich und der Schweiz. Laut ihnen erkrankt nur ein Bruchteil der Menschen, die Antikörper gegen den Wurm in sich tragen, also schon mal Kontakt zu ihm hatten.

Letztlich deutet vieles darauf hin, dass neben dem leichtsinnigen Kontakt zu infizierten Füchsen und Fuchskot vor allem eine dauerhafte Belastung mit den Eiern - wie sie bei Landwirten und Jägern vorkommen kann - das Risiko erhöht. Wer in Bezug auf seine selbst gepflückten Beeren hundert Prozent sicher sein will, kann sie einkochen, einfrieren nutzt dagegen nicht viel.

So oder so bleiben Infektionen mit dem Fuchsbandwurm die absolute Ausnahme. Brehm fasst zusammen: "Wer am Fuchsbandwurm erkrankt, hat unfassbar viel Pech gehabt."

Quelle: spiegel.de

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