Geheimdienst behielt Putsch-Information stundenlang für sich

  26 Juli 2016    Gelesen: 587
Geheimdienst behielt Putsch-Information stundenlang für sich
Fünf Stunden vor dem Putschversuch soll der türkische Geheimdienst ein Treffen abgehalten haben. Erdogan jedoch will erst von seinem Schwager gewarnt worden sein – und ihm erst nicht geglaubt haben.
Die letzten Stunden vor dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei geben Rätsel auf – und ein besonderes Zwielicht fällt dabei auf Geheimdienstchef Hakan Fidan. Der Generalstab des Militärs behauptet, er sei am 15. Juli bereits Stunden vor dem Beginn des Umsturzversuches von Fidans Nationalem Nachrichtendienst (MIT) über die Putschvorbereitungen informiert worden. Niemand aber soll in dieser Phase Präsident Recep Tayyip Erdogan in Kenntnis gesetzt haben, der im Badeort Marmaris war.

Als der Präsident schließlich aus seinem privaten Umfeld über den bereits angelaufenen Putschversuch informiert worden war und Fidan anrufen wollte, war dieser angeblich nicht zu erreichen. Der Geheimdienstchef wurde am Freitag in den Präsidentenpalast zitiert. Nach einem zweistündigen Gespräch mit Fidan sagte Erdogan dann allerdings dem Sender France 24 am Wochenende, der Geheimdienstchef habe "nicht seinen Rücktritt angeboten – wir haben nicht darüber gesprochen".

Fidan zählte in den vergangenen Jahren zu den engsten Vertrauten Erdogans. Nach dem Treffen am Freitag gab es keine gemeinsame Erklärung. Es wurde auch nicht aufgeklärt, wie Erdogans Bemerkung zum Putschversuch zu verstehen sei, dass es in der geheimdienstlichen Aufklärung "eine Schwäche, ein Versagen" gegeben habe. Dem fügte der Präsident lediglich hinzu, er werde gegebenenfalls personelle Konsequenzen mit seinem Ministerpräsidenten Binali Yildirim abstimmen. Für die "Übergangszeit" halte er sich an das Sprichwort, nach dem es nicht gut sei, "mitten im Ritt die Pferde zu wechseln".

Zunächst nahm Erdogan die Warnung nicht ernst

Vom Umsturzversuch erfahren hat Erdogan nach eigenem Bekunden nicht von seinem Geheimdienstchef, sondern von seinem Schwager Ziya Ilgen, dem Ehemann seiner Schwester. Dieser habe ihn am Freitagabend als Erster über die Putschpläne informiert, sagte Erdogan vergangene Woche im Gespräch mit dem arabischen Fernsehersender al-Dschasira. Zunächst habe er das nicht ernst genommen, aber dann die Information über verschiedene Quellen bestätigen lassen. Sein Schwager ist ein pensionierter Lehrer und heute Teilhaber einer Reederei. Woher er informiert war, ließ Erdogan offen.

Direkt nach dem Umsturzversuch soll Erdogan den Geheimdienstchef nach Informationen der Zeitung "Hürriyet" wüst beschimpft haben. Der Präsident soll gesagt haben, dass Fidan nun angezählt sei. Bestes Zeichen dafür ist die Wortwahl in einem Meinungsbeitrag der Zeitung "Hürriyet", der an den "lieben Herrn Hakan Fidan" adressiert ist: "Warum haben Sie die Informationen über den Putsch keinem einzigen Politiker zukommen lassen?", fragt der Kolumnist Ahmet Hakan.

Der Fernsehsender CNN Türk berichtete, der Alarm des Geheimdienstes MIT habe zur Folge gehabt, dass Fidan und führende Generäle am 15. Juli um 17.30 Uhr Ortszeit zusammenkamen – mehr als fünf Stunden vor den ersten öffentlichen Äußerungen von Ministerpräsident Binali Yildirim zu dem Putschversuch. Daraufhin seien Maßnahmen eingeleitet worden, die die Putschisten dazu bewegten, ihren Umsturz vorzuziehen. Der Plan hätte demnach ursprünglich erst am Samstag, 16. Juli, in den frühen Morgenstunden umgesetzt werden sollen.

Gerüchte über einen Rücktritt

So bleibt es also unklar, warum der Nationale Nachrichtendienst und damit der Erdogan-Vertraute Fidan am 15. Juli von nachmittags bis spätabends über die laufenden Vorbereitungen zu einem Umsturzversuch Bescheid wussten, angeblich ohne die politische Führung zu informieren. Da erhält es einen ganz neuen Beigeschmack, dass Erdogan 2012 über den Geheimdienstchef sagte, dieser sei "der Hüter meiner Geheimnisse, der Hüter der Staatsgeheimnisse".

Zu diesen Staatsgeheimnissen zählen unter anderem die Geheimverhandlungen, die der MIT-Chef vor Jahren mit dem Chef der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan, führte, und der heikle Umgang mit dem Nachbarland Syrien, das seit 2011 vom Bürgerkrieg zerrüttet wird. Auch in der Zeit des Wirbels um die Korruptionsvorwürfe gegen das Umfeld Erdogans ab Ende 2013 war Fidan an der Seite des damaligen Regierungschefs.

Sogar als Ministerpräsident war Fidan selbst vorübergehend im Gespräch, nachdem Erdogan das Präsidentenamt übernommen hatte. Als der Geheimdienstchef im Februar 2015 überraschend seinen Rücktritt erklärte, um bei der Parlamentswahl zu kandidieren, missbilligte Erdogan das Vorhaben jedoch öffentlich. Umgehend distanzierte Fidan sich von seinem ursprünglichen Vorhaben – und wurde wieder als Geheimdienstchef eingesetzt.

Zuletzt gab es allerdings Gerüchte, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Erdogan und Fidan zerbrochen sei. Anfang Juni sorgte die Meldung für Aufmerksamkeit, Fidan sei von seinem Amt abberufen und als Botschafter nach Tokio versetzt worden.

Quelle : welt.de

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