Viele Politiker aus der CSU, aber auch der Grünen-OB aus Tübingen, Boris Palmer, zweifeln an dem "Wir schaffen das" von Angela Merkel. Zweifeln Sie auch daran?
Klaus Bouillon: Scheitern ist keine Alternative. Die nächsten drei bis vier Monate müssen überstanden werden. Unabhängig von der großen Zahl der Flüchtlinge haben wir erhebliche Defizite in den Verwaltungen. Wir arbeiten wie im 18. Jahrhundert.
Inwiefern?
Die Computersysteme der Bundesbehörden sind nicht kompatibel mit denen der Länder. Die kommunalen Behörden haben auch unterschiedliche Systeme. Das bedeutet: Die Arbeitsvorgänge zur Registrierung der Flüchtlinge dauern viel zu lange, weil dieselben Dinge mehrmals gemacht werden müssen. Der Bundesinnenminister hat da schon vor Wochen angesetzt. Es gibt Arbeitsgruppen, die die Abläufe verbessern sollen. In ein paar Wochen können wir hoffentlich schneller registrieren und abschieben. Das wäre ein wichtiger Schritt.
Viele Bundesländer klagen zurzeit darüber, dass sie bei der Unterbringung von Flüchtlingen an der Belastungsgrenze seien. Das Saarland hat mehr Zuwanderer aufgenommen, als es laut Königsteiner Schlüssel eigentlich muss. Wie kommt das?
Ich bin in der glücklichen Lage, dass ich 1988 als Bürgermeister von St. Wendel Erfahrungen sammeln konnte, als die Russlanddeutschen und die Polen kamen. Damals hat die Landesregierung ein Massenlager mitten in der Stadt geplant. Ich habe dann die Idee der dezentralen Unterbringung entwickelt, dieses Modell habe ich jetzt auf das Saarland übertragen. Zur Überraschung vieler habe ich bereits vor einem Jahr ein Sonderprogramm zur Schaffung von Wohnraum für Flüchtlinge und Einheimische aufgelegt. Wir haben zehn Millionen Euro investiert und es ist gelungen, über 5000 Menschen dezentral unterzubringen. Das führt dazu, dass wir keine oder kaum Probleme bekommen in den Städten und Dörfern.
Sind Sie für den Winter gerüstet?
Ja. Vor einigen Tagen habe ich einigen saarländischen Bürgermeistern verschiedene Möglichkeiten zur Schnellbauweise zur Bewältigung der Flüchtlingskrise empfohlen. In der Landesaufnahmestelle in Lebach habe ich schon im Sommer winterfeste Hallen bauen lassen.
Wie viele Flüchtlinge halten sich aktuell im Saarland auf?
Der Strom wird langsamer. In der Landesaufnahmestelle haben wir zurzeit circa 2200 Personen, in Spitzenzeiten waren dort knapp 4000. Wer zu uns kommt, ist innerhalb von ein bis zwei Tagen registriert. Nach drei Wochen stellt er den Asylantrag. Die Kommunen erfahren drei Wochen vorher, wer wann wohin kommt. Wir schicken nur Leute, die registriert sind und eine Bleibeperspektive haben. Wer keine hat, bleibt im Landesaufnahmestelle.
Sie haben im Sommer Ihr Büro für drei Wochen in die Erstaufnahmeeinrichtung in Lebach verlegt. Wie haben Sie den Alltag dort erlebt?
Es gibt schöne Stunden, aber es ist schwierig. Man muss viel organisieren, es ist hektisch. Die Menschen sind nervös, müde und ungeduldig. Die normale Schlagzahl an Bearbeitungen lag vorher bei 70 pro Tag, ich habe das Personal erhöht, am Schluss waren wir bei über 490 am Tag. Wir haben die Rückstaus abgearbeitet, ein Ärztezentrum aufgebaut und für ein Unterhaltungsprogramm gesorgt. Vom ersten Tag an machen wir Integration mit Sprachkursen. Das hat dazu geführt, dass sich die Menschen bei uns wohlfühlen und einige gar nicht mehr wegwollten.
Welche kulturellen Probleme haben Sie in der Einrichtung festgestellt?
Das Hauptproblem ist, dass viele Männer die Frauen nicht respektieren. Bei der Essenausgabe wollten einige kein Essen von Frauen, weil sie diese als unrein ansehen. Andere haben sich geweigert, sich von Lehrerinnen unterrichten zu lassen. Das geht natürlich nicht. Integration bedeutet, keine Toleranz gegenüber Intoleranz. Das müssen wir den Menschen beibringen. Vieles hängt vom Bildungsgrad ab, mit modernen, gebildeten Menschen gibt es keine Probleme.
Was hat sie am positivsten überrascht?
Die Dankbarkeit der Flüchtlinge und die riesige Hilfsbereitschaft der ehrenamtlichen Helfer. Da wird einem warm ums Herz. Es wurde in zwei Schichten gearbeitet von morgens 5.30 Uhr bis abends 22.30 Uhr. Die Arbeitsbedingungen sind schwierig, denn in den Hochzeiten gibt es lange Warteschlangen mit müden, dehydrierten Kindern. Das hat auch mich irgendwann mitgenommen. Ich habe zwei Nächte durchgearbeitet, um die Arbeitsabläufe kennenzulernen. Menschen kommen, weil sie Wasser, Toilettenpapier oder eine Decke brauchen. Es sind einfache Dinge, die für uns selbstverständlich sind. Insofern war es wichtig, dass ich dort war.
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