U-Haft in Bayern: Auf Erdogans Wunsch im deutschen Gefängnis?

  29 Juli 2016    Gelesen: 503
U-Haft in Bayern: Auf Erdogans Wunsch im deutschen Gefängnis?
Zehn Menschen türkischer Herkunft sitzen in Deutschland in Haft, weil sie eine Terrororganisation in ihrer Heimat unterstützt haben sollen. Eine der Betroffenen glaubt an einen Racheakt von Präsident Erdogan. Besuch im Hochsicherheitstrakt von Stadelheim.
Dilay Banu Büyükavci sitzt hinter einem dicken Glasfenster. Als ihr Anwalt den Raum betritt, steht sie auf. Die beiden begrüßen sich, indem sie ihre Hände an die Scheibe legen. Hand an Hand. Büyükavci, 45, türkische Staatsbürgerin, braune, lockige Haare, dezent geschminkt, elegante Bluse, sitzt in der Justizvollzugsanstalt München in der Stadelheimer Straße in Untersuchungshaft, seit über einem Jahr. Laut Strafprozessordnung ist die Trennscheibe bei "dringendem Verdacht einer Terrorismusstraftat" vorgeschrieben. Sie soll verhindern, dass Terrorbeschuldigte mithilfe von Besuchern Geheimschriften an die Außenwelt schmuggeln.

Büyükavci blickt durch das Glas, schüttelt den Kopf, und in ihrem Blick liegt immer noch ein wenig Verwunderung über ihre Situation. "Was habe ich denn mit Terrorismus zu tun?", fragt sie.

Büyükavci soll eine Organisation mit Spendengeldern unterstützt haben, die nach Ansicht der Bundesregierung womöglich eine Terrororganisation ist. Es geht um die 1972 gegründete Kommunistische Partei der Türkei/Marxistisch-Leninistisch, kurz: TKP/ML. Das Bundesjustizministerium hat die Generalbundesanwaltschaft ermächtigt, gegen Anhänger dieser Gruppe in Deutschland zu ermitteln; hier soll sie 1300 Mitglieder haben.

Insgesamt zehn Menschen sitzen in bayerischen Gefängnissen in U-Haft, darunter Büyükavci als einzige Frau, die diese Partei mit Spendengeldern unterstützt haben sollen. Büyükavci selbst sagt, sie habe sich nur für eine Migrantenorganisation engagiert. Die allerdings soll der TKP/ML nahestehen. Eine Versammlung hier, ein bisschen Spendensammeln da und Unterstützung von ausländischen Frauen bei Behördengängen und beim Integrieren in Deutschland. Kein Terror, keine Gewalt, sagt sie.

Von der Anti-Terror-Einheit aus dem Café abgeführt

Bis zum 15. April 2015 arbeitet Büyükavci als Ärztin am Klinikum Nürnberg. Ihre Kollegen bezeichnen sie als "beliebt, kompetent und voll integriert". Ihre Festnahme sei für viele "ein Schock" und "nicht nachvollziehbar" gewesen.

Büyükavci hat ihr Medizinstudium zwar in der Türkei absolviert, aber weil sie sich auf Psychiatrie spezialisieren wollte und es den passenden Studiengang in der Türkei nicht gab, kam sie 2005 nach Deutschland. Sie lernte Deutsch, studierte, promovierte, arbeitete, beantragte 2012 die deutsche Staatsbürgerschaft, die sie bislang noch nicht erhalten hat.

An jenem Mittwoch im April saß sie nach der Arbeit mit Freunden in einem Café, als plötzlich eine schwer bewaffnete Anti-Terror-Einheit anrückte und Büyükavci und ihren Lebensgefährten festnahm. "Man hielt mir einen 60-seitigen Haftbefehl vor", erinnert sie sich.

Seither sitzt sie im Gefängnis. "Ich war vier Monate in Isolationshaft. 23 Stunden allein in der Zelle, eine Stunde Hofgang, wobei ich niemandem begegnen durfte. Warum?", sagt sie. "Was habe ich getan?"

Inzwischen wurden die Haftbedingungen zwar ein wenig gelockert. Sie empfinde ihre Lage aber "immer noch als Folter", und sie halte sie nur aus, weil sie sich als Psychiaterin viel mit dem Thema Isolation auseinandergesetzt habe. "Ich versuche, das Ganze als Experiment am eigenen Leib zu sehen."

Tatsächlich ist die TKP/ML keineswegs eine harmlose Organisation. In der Türkei wird ihr bewaffneter Arm für mehrere Terroranschläge verantwortlich gemacht. Sie kämpft erklärtermaßen gegen den türkischen Staat, sieht sich als Guerilla-Organisation, legt Sprengsätze und bedroht beispielsweise Baufirmen, die Aufträge von der Armee annehmen, oder Händler, die das Militär beliefern. Mehrfach hat sie Menschen erschossen und Bomben gelegt. Bei einem Anschlag kamen vier Kinder ums Leben. In der Türkei ist die Gruppe deshalb schon seit Langem verboten.

Die harsche Behandlung der Angeklagten in Deutschland und die inzwischen unverhältnismäßig lange U-Haft ist dennoch verwunderlich, da die Bundesanwaltschaft den Verdächtigen keine Gewalttat vorwirft, auch nicht, eine Gefahr für die Bundesrepublik Deutschland zu sein.

"Geht es hier um Recht oder Politik?"

Büyükavci und die anderen neun Verdächtigen glauben, Opfer des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan geworden zu sein, dessen langer Arm bis nach Deutschland reiche. Sie sitze im Gefängnis, weil sie Kommunistin und Feministin sei und es gewagt habe, den autoritären Staatschef öffentlich zu kritisieren. Sie sei schon immer politisch aktiv gewesen, "links", sagt sie. Und gegen Erdogan. Glaubt man ihren Ausführungen, spielt vielleicht auch Naivität eine Rolle, der mit ihrem Idealismus einhergeht. Ihr Verteidiger Yunus Ziyal sieht sie jedenfalls als politischen Häftling. "Es drängt sich der Verdacht auf, dass es hier nicht um Recht, sondern um Politik geht."

Der türkische Präsident Erdogan selbst hat erst diese Woche wieder im ARD-Interview die Auslieferung von "Terroristen" verlangt. Erst kürzlich hatten türkische Sicherheitsbehörden die Bundesregierung in einem geheimen Dossier vor einer neuen "linken Terrorfront" in der Türkei gewarnt, in dem auch ausdrücklich die TKP/ML als Verbündeter der kurdischen PKK genannt wird.

Bemerkenswert ist, dass einige der Angeklagten in der Türkei wegen ihrer angeblichen Nähe zur TKP/ML in Haft saßen, flüchten konnten und in Deutschland Asyl erhielten.

Festnahmen als politischer Liebesdienst für die Türkei? Die Bundesregierung dementiert ausdrücklich, dass das Vorgehen eine Art Gefälligkeit für Ankara wäre. Auf eine Anfrage der Linken im Bundestag, ob die türkische Regierung damit zu tun habe, antwortete die Bundesregierung: "Weder das Bundeskriminalamt noch der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof wurden von türkischen Behörden ersucht oder gebeten, strafrechtlich gegen die TKP/ML vorzugehen."

Langer Prozess in München

Mit anderen Worten: Es war eine Entscheidung der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe selbst. Warum ausgerechnet gegen die TKP/ML? Ab wann ist eine Organisation eine Terrororganisation? Geht es ausschließlich nach juristischen Kriterien oder doch nach politischen?

Wusste sie denn nichts von den Anschlägen der TKP/ML in der Türkei? Büyükavci guckt ungläubig. "Was habe ich mit denen zu tun? Ich habe mich für Migranten und Frauen in Deutschland eingesetzt, in einer Organisation, die in Deutschland nicht verboten ist."

Berlin verweist auf Paragraf 129b des Strafgesetzbuches als rechtliche Grundlage. Dieser stellt die Gründung, aber auch die Unterstützung und das Werben für eine "kriminelle und terroristische Vereinigung im Ausland" unter Strafe. Er war die Reaktion der Bundesregierung auf die Terroranschläge vom 11. September 2001. Die Bundesanwaltschaft braucht ganz ausdrücklich die "Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz". Konkrete Taten müssen den Beschuldigten dabei nicht zur Last gelegt werden.

Bei dem Prozess gegen Büyükavci und die Mitangeklagten, der im Juni begonnen hat, handelt es sich laut Bundesanwaltschaft um ein "Pilotverfahren". Darin müsse erst einmal geklärt werden, ob es sich bei der TKP/ML überhaupt um eine terroristische Vereinigung handele. Bis Oktober wird es mindestens dauern - ein langer Prozess.

Die Erkenntnisse, auf denen die Vorwürfe basieren, stammen wahrscheinlich zum größten Teil von türkischen Ermittlungsbehörden. Die Bundesregierung selbst will dazu mit Verweis auf das laufende Verfahren des Generalbundesanwalts keine Angaben machen. Man habe jedoch über das Thema mehrfach auf politischer Ebene mit der türkischen Seite gesprochen, heißt es. Und die Bundesanwaltschaft ermittelt in der "Staatsschutzsache" schon seit 2006 und lässt Verdächtige beobachten - mit Genehmigung der Bundesregierung.

Nach Ansicht der Angeklagten will Berlin aber auch deshalb keine konkreteren Angaben machen, weil man genau wisse, dass türkische Ermittlungsergebnisse oft politisch motiviert und damit wertlos seien. Tausende Entlassungen nach dem gescheiterten Putsch, ohne rechtliche Grundlage, ohne Prozess, ohne Beweise, seien ein Beleg dafür.

Jetzt, im Juli, haben die Anwälte die Einstellung des Prozesses beantragt. Dilay Banu Büyükavci hofft, dass sie bald wieder als Ärztin in ihrer Klinik arbeiten kann; ihre Stelle hat man ihr seit ihrer Festnahme freigehalten. Aber bis dahin wird sie weiter eine "dringend verdächtige Terrorbeschuldigte" sein.

Quelle : spiegel.de

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