Kampf um jede Mikrosekunde

  30 Juli 2016    Gelesen: 705
Kampf um jede Mikrosekunde
Superschnelle Computer dominieren den Aktienhandel. Eine neue Börse will sie ausbremsen. Zum Wohle der Anleger?
Die seltsame Maßeinheit der Mikrosekunde hat es in den vergangenen Wochen an der amerikanischen Wall Street zu einiger Berühmtheit gebracht. Darunter verstehen die Experten das Millionstel einer Sekunde – eine Zeitspanne, die so kurz ist, dass sie kein Mensch bewusst erfassen kann. Trotzdem reden sich Amerikas Profianleger und Investmentmanager in diesen Tagen die Köpfe darüber heiß.

Verantwortlich dafür ist ein Mann, den der Bestsellerautor Michael Lewis („The Big Short“, „Wall Street Poker“) zur Hauptfigur seines Romans „Flashboys“ aus dem Jahr 2014 gemacht hat: Brad Katsuyama, ein eloquenter Kanadier mit asiatischen Wurzeln.

Katsuyama ist es im Verbund mit Lewis gelungen, Amerikas Öffentlichkeit für die technischen Feinheiten des Börsenhandels zu interessieren, ja mehr noch: Er hat sogar einen großen Teil dieser Öffentlichkeit dazu gebracht, einer bis dahin wenig beachteten Untergruppe von Börsentradern mit erheblichem Misstrauen zu begegnen – den sogenannten Hochfrequenzhändlern (bei Lewis „Flashboys“ genannt), die mit ihren Hochleistungscomputern Aktien in Mikrosekunden handeln können und damit schneller als alle anderen.

Brad Katsuyama ist überzeugt davon, dass diese Hochfrequenzhändler die Preise für Aktien auf unlautere Weise nach oben treiben, zum Nachteil der übrigen Anleger – eine Behauptung, die höchst umstritten ist und die gerade darum in Amerikas Finanzzentrum New York die wildesten Diskussionen auslöst.

Katsuyama scheint am Ziel
Der Kanadier mit dem schelmischen Grinsen hat sogar eine eigene Handelsplattform mit dem ein wenig schönfärberischen Namen IEX (Investors Exchange, die Börse für den Anleger) ins Leben gerufen, die vor allem ein Ziel hat: Sie soll die Hochfrequenzhändler ausbremsen – und zwar um genau 350 Mikrosekunden. Leute, die sich mit der Materie auskennen, sagen, dies sei in etwa so, als würde man einen Ferrari auf die Geschwindigkeit eines älteren Ford herunterdrosseln.

Mitte Juni hat IEX die Börsenzulassung durch Amerikas Börsenaufsicht SEC erhalten, eine Art Ritterschlag, mit dem IEX weitgehend gleichberechtigt neben so berühmte Börsen wie die New York Stock Exchange und die Technologiebörse Nasdaq tritt. Bis Mitte August will die IEX ihre Systeme noch einmal gründlich auf Vordermann bringen und dann richtig durchstarten. Brad Katsuyama scheint am Ziel.

Nun könnte man sich fragen: Schön und gut, dass sich New Yorker Börsenhändler über solch spezielle Dinge wie Mikrosekunden streiten – aber weshalb sollte dies ganz normale Anleger kümmern? Weil es trotz all der hochkomplizierten Details um eine der faszinierendsten Eigenarten der Börse geht und zugleich um ein Versprechen. Es lautet: Die Börse steht allen offen, ob Großinvestor oder Kleinanleger – alle werden im Wesentlichen gleich behandelt. Ein Prinzip, das man in der Wissenschaft als Marktpopulismus bezeichnet. Dieses Prinzip, so argumentiert zumindest Katsuyama, steht nun in Frage.

Möglichst große Nähe zum Datenzentrum
Um den Streit besser zu verstehen, hilft es, sich anzusehen, wie die Hochfrequenzhändler arbeiten. Zwar gibt es im Detail unterschiedlichste Spielarten, aber grob vereinfacht gehen sie folgendermaßen vor: Gibt ein Marktteilnehmer eine Kauforder für ein großes Aktienpaket auf, kann diese Order oft nicht von einer Handelsplattform oder Börse alleine abgewickelt werden.


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