Wenn Schweigen zum Verrat wird

  31 Juli 2016    Gelesen: 1038
Wenn Schweigen zum Verrat wird
In der vergangenen Woche hat Michael Jordan sein Schweigen gebrochen: Immer mehr schwarze Sportler in den Vereinigten Staaten beziehen zur Gewalteskalation Stellung.
Es ist nicht ganz einfach, das Vermögen des ehemaligen Basketballprofis Michael Jordan zu schätzen. Was bei Zahlen um eine Milliarde Dollar herum auch ziemlich bedeutungslos ist. Zumal jedes Jahr noch rund 100 Millionen Dollar dazukommen. Und zwar allein aus den Tantiemen seiner Geschäfte mit dem Sportausrüster Nike. Der 53-Jährige ist Namensgeber einer erfolgreichen Produktreihe. Weshalb die Ankündigung von Jordan vom Montag, er werde zwei Organisationen zusammen zwei Millionen Dollar spenden, weil er sich mehr „friedlichen Dialog und Weiterbildung“ und „konstruktive Veränderungen“ in der Konfrontation zwischen einer überwiegend mit Weißen besetzten Polizei und schwarzen Amerikanern wünscht, mehr eine symbolische Tat war als alles andere.

Jordan, bekannt für seine Abneigung, sich in jedwede gesellschaftspolitische Kontroverse einzumischen, um bloß nicht seinen delikaten Status als dunkelhäutiger Werbebotschafter zu gefährden („Auch Republikaner kaufen Basketballschuhe“), wollte zum ersten Mal ein Signal setzen: dass jemand wie er sich nicht länger aus derartigen Themen heraushalten kann. Allerdings fand er einen Weg, um den Eindruck zu vermeiden, als greife er für eine Seite Partei. Eine Hälfte der Spende geht an eine Polizei-Organisation, die andere an die National Association for the Advancement of Colored People, eine der ältesten schwarzen Bürgerrechtsorganisationen des Landes.

Die Aktion sorgte für Aufmerksamkeit, kommt aber vergleichsweise spät. Andere schwarze Sportler, darunter vor allem prominente Basketballspieler, bekunden schon seit einer Weile immer wieder ihren politischen Unwillen. So wie beim Skandal um Donald Sterling, den die NBA wegen seiner rassistischen Äußerungen zwang, seinen Klub, die Los Angeles Clippers, zu verkaufen. Oder im Rahmen einer T-Shirt-Kampagne mit dem Satz „I can’t breathe“ des schwarzen New Yorkers Eric Garner, der von einem Polizisten erwürgt worden war, wofür der Beamte nicht zur Rechenschaft gezogen wurde.

Selbst das reicht vielen nicht, machte Professor Charles Ross vor einer Weile deutlich. Ross leitet die Abteilung für afro-amerikanische Studien an der University of Mississippi und hat ein Buch über die Rassenintegration in der National Football League geschrieben: „Es ist an der Zeit, dass afroamerikanische Sportler sich nicht mehr so sehr damit beschäftigen, wie viel Geld sie verdienen. Und dass sie sich nicht hinter Gesten verstecken. Sie müssen bereit sein, ihre Meinung zu sagen. Besonders wenn es um solche Zwischenfälle geht, bei denen Hautfarbe eine Rolle spielt.“

Tatsächlich trägt selbst harmloser Protest das Risiko, bestraft zu werden. Das erlebten einige Basketballspielerinnen vor ein paar Tagen, nachdem sie vor dem Anpfiff ihrer Begegnungen in schwarzen Trainingsanzügen in die Halle gekommen waren, mit denen sie auf das wachsende Ausmaß an Polizei-Brutalität aufmerksam machen wollten: „Black Lives Matter. Enough is enough“ lautete ihre Parole, auf die die Liga gleich mit Geldstrafen reagierte.

Mehrere Polizisten, die in Minneapolis in ihrer Freizeit als Sicherheitskräfte für Spiele der Minnesota Lynx angeheuert worden waren, gaben verärgert ihre Jobs auf. Immerhin nahm die Women’s National Basketball Association am Samstag die Sanktionen zurück, nachdem unter den überwiegend schwarzen Spielerinnen ein Sturm der Entrüstung gegen die Strafaktion ausgebrochen war. Eine zitierte auf Twitter unter großer Zustimmung den Bürgerrechtler Martin Luther King: „Irgendwann kommt die Zeit, da wird Schweigen zum Verrat.“

Die Probleme sind nicht neu – es muss sich dringend etwas ändern
Auch ihre prominenten Kollegen der NBA, die seit Juni Spielpause haben, wollen nicht länger einfach nur zusehen. Bei der jährlichen Preisverleihungs-Veranstaltung des Fernsehsenders ESPN Mitte Juli griffen Carmelo Anthony, Chris Paul, Dwyane Wade und LeBron James das Thema von der Bühne aus direkt auf. „Das System ist zerbrochen“, sagte Anthony von den New York Knicks. „Die Probleme sind nicht neu, die Gewalttätigkeit ist nicht neu, und die Rassentrennung ist erst recht nicht neu. Aber es war noch nie so dringend, etwas daran zu ändern.“

Zu den Änderungen gehört sicher auch, die Besitzverhältnisse und den Anteil von schwarzen Entscheidungsträgern im amerikanischen Mannschaftssport zu verändern. So gibt es zwar inzwischen etwa in der NBA zahlreiche afroamerikanische Trainer, aber in fast allen anderen Bereichen ist ihr Anteil verschwindend gering. So ist Michael Jordan, der 2010 die Charlotte Hornets gekauft hatte, der einzige dunkelhäutige Teambesitzer in der Liga. Obendrein fällt seine sportliche Bilanz eher dünn aus.

„Ich könnte der nächste sein.“

Und North Carolina ist kein gutes Pflaster für gesellschaftspolitischen Fortschritt. Erst vor einer Woche entschied die NBA, dass sie das nächste All-Star-Spiel 2017 aus Charlotte abziehen wird, um gegen ein Gesetz zu protestieren, mit dem der Bundesstaat neuerdings die geschlechtsspezifische Nutzung von Schultoiletten de jure regelt. Mit den neuen Bestimmungen wurde gleichzeitig eine Verordnung der Stadt Charlotte außer Kraft gesetzt, die die Diskriminierung von Homosexuellen und Transsexuellen verhindern soll. Ein Bereich, in dem die Liga schon seit einer Weile aktiv ist, und ein Engagement, das außerhalb der Südstaaten sehr viel Zuspruch findet.

Tatsächlich ist das Thema Hautfarbe sehr viel drängender. Das zeigte sich im vergangenen Jahr, als New Yorker Polizisten NBA-Profi Thabo Sefolosha festnahmen, ihm ein Bein brachen und mit einer Reihe von falschen Anschuldigungen vor Gericht stellten. Der in der Schweiz aufgewachsene Sohn eines schwarzen Südafrikaners hatte nur wenige Monate vor dem Zwischenfall auf Twitter seine Sympathien für die „I can’t breathe“-Proteste bekundet und ahnungsvoll geschrieben: „Ich könnte der nächste sein.“


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