Mit der Pistole in die Vorlesung

  01 Auqust 2016    Gelesen: 539
Mit der Pistole in die Vorlesung
1966 erschoss der Architekturstudent Charles Whitman an der Universität von Texas 14 Menschen. Zum 50. Jahrestag des Amoklaufs tritt ein umstrittenes Waffengesetz in Kraft: Studenten dürfen nun Waffen auf dem Campus tragen.
Eigentlich war der Amoklauf auf dem Campus des Umpqua Community College im amerikanischen Oregon einer von vielen. In den Tagen nach den tödlichen Schüssen des 26 Jahre alten Chris Harper Mercer auf den Professor seines Englisch-Seminars und acht Studenten versprach die Gesellschaft für Community Colleges im vergangenen Oktober verstärkte Sicherheitsvorkehrungen. Gouverneurin Kate Brown trat auf de Campus in Roseburg vor die Fernsehkameras, um das Ende der „Tragödien“ zu fordern. Präsident Barack Obama warf der Waffenlobby, der „National Rifle Association“ (NRA), vor, Verbrechen wie am Umpqua Community College zu begünstigen. „Wie immer wird sie jetzt mit einer Reaktion aufwarten, die jedem vernünftigen Waffengesetz widerspricht. Sie wird sagen, dass wir mehr Waffen brauchen und weniger Gesetze“, wetterte Obama nach der 15. sogenannten Massenschießerei seiner Amtszeit fast reflexartig.

In den Tagen nach „Roseburg“ keimte in den Vereinigten Staaten aber auch eine Debatte über Waffen an Bildungseinrichtungen auf. Nachdem einige Politiker den Campus in Oregon als waffenfreie Zone beschrieben hatten, war bekanntgeworden, dass viele Studenten, unter ihnen einige hundert ehemalige Soldaten, legal mit versteckten Waffen („Concealed carry“) in Hörsälen saßen. Nur eine Woche später unterzeichnete der kalifornische Gouverneur Jerry Brown ein Gesetz, das in Oregons Nachbarstaat versteckte Waffen an Schulen und Universitäten verbot.

In Texas, wo der Gouverneur Greg Abbott drei Monate zuvor die „Senate Bill 11“ zur Legalisierung versteckter Waffen an Bildungseinrichtungen unterzeichnet hatte, flammte dagegen abermals Widerstand gegen das umstrittene „Campus carry“-Gesetz auf. „Waffen, die menschliches Leben beenden können, passen nicht in das akademische Leben“, ließ der Senat der Universität von Houston wissen. „Der freie akademische Diskurs wird durch die Präsenz tödlicher Waffen in Lehr- und Forschungseinrichtungen gefährdet.“ Eine Rückkehr zu dem Verbot von Pistolen und Revolvern, die durch Kleidung getarnt getragen werden, blieb aber aus.

Professoren klagen gegen Waffengesetz

Von Montag an dürfen etwa 600.000 Studenten staatlicher Universitäten und Colleges in Texas, die älter als 21 Jahre sind, auf Freiflächen und in den meisten Gebäuden eines Campus Waffen tragen. Professoren wie Jennifer Lynn Glass fürchten nun um ihre Sicherheit. Wie könne man verhindern, dass Studenten zur Waffe griffen, wenn sie während einer akademischen Diskussion in Rage gerieten? Mit der Begründung, die „Campus carry“-Regelung widerspreche dem durch die amerikanische Verfassung garantierten Recht auf freie Meinungsäußerung, reichte Glass Anfang Juli mit zwei weiteren Professorinnen der Universität von Texas in Austin eine Klage gegen den Justizminister des Bundesstaates und den Universitätspräsidenten ein.

Die Organisation „Students for Concealed Carry“ (SCC) verweist dagegen auf das Bedürfnis vieler Studenten und Fakultätsmitglieder, sich bei einem Amoklauf in Hörsälen zu schützen. „Warum sollten sie auf einem Campus weniger Rechte haben als in anderen Teilen des Bundesstaates?“, fragt die im Jahr 2007 gegründete Gruppe. Da Texaner mindestens 21 Jahre alt sein müssen, um eine Genehmigung für eine versteckte Waffe zu bekommen, hält die SCC die Szenarien einer Aufrüstung an Bildungseinrichtungen ohnehin für übertrieben. Die etwa 40.000 Mitglieder umfassende Organisation zitiert die texanische Behörde für öffentliche Sicherheit, nach der im Jahr 2015 vor allem Schützen im Alter von 35 bis 65 Jahren das Zertifikat für eine „Concealed weapon“ erwarben. Lediglich 10000 Schützen im Studentenalter von 21 bis 24 Jahren nahmen an Prüfungen teil, um sich einen Waffenschein für das versteckte Tragen ausstellen zu lassen.

Bewaffnete Studenten bereits in sieben Bundesstaaten erlaubt
Befürworter des „Campus carry“ im Lone Star State verweisen zudem auf den Trend in den Vereinigten Staaten, sich nach Anschlägen auf Bildungseinrichtungen in Blacksburg (Virginia), Newtown (Connecticut) und Oregon zur Selbstverteidigung zu bewaffnen. Texas wird nach Colorado, Idaho, Kansas, Mississippi, Oregon, Utah und Wisconsin an diesem Montag bereits der achte Bundesstaat, der an staatlichen Universitäten Pistolen und Revolver unter Kleidung erlaubt.

Dass die Debatte über „Campus carry“ im zweitgrößten Bundesstaat der Vereinigten Staaten dennoch ungewöhnlich erbittert ausgetragen wird, schreiben viele dem Datum 1. August zu. Genau vor 50 Jahren war die Universität von Texas in Austin von einer der bis dahin schlimmsten „Massenschießereien“ erschüttert worden. Am 1. August 1966 tötete der Student Charles Whitman 17 Personen, 15 im und vom Uhrturm des malerischen Campus, bevor ihn die Polizei erschießen konnte. Sechs Monate zuvor hatte der 25 Jahre alte Whitman einem Arzt von Gewaltphantasien erzählt, die sich um den Uhrturm und eine Jagdflinte drehten. Bis heute streiten Psychiater, ob der „Texas Tower Sniper“ unter psychischen Störungen litt - wie Dutzende seiner Nachahmer.


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