Gelber Klassiker trotzt digitalem Wandel

  02 Auqust 2016    Gelesen: 290
Gelber Klassiker trotzt digitalem Wandel
In Zeiten des digitalen Wandels verschicken vor allem junge Menschen immer seltener Briefe. Dennoch nimmt die Zahl von Briefkästen zu. Zu den Inhalten der „gelben Klassiker“ zählen aber kaum noch handgeschriebene Schriftstücke.
Einer von Deutschlands ungewöhnlichsten Briefkästen hängt an einer Boje im Steinhuder Meer. „Alleine diese Woche haben wir rund 150 Briefe und Karten aus der Postboje geholt“, sagt Reinhard Starke vom Segelclub Garbsen. Vor den Toren Hannovers herrscht Hochsaison auf dem Binnensee - das Postaufkommen auf dem See dokumentiert das. Seit 52 Jahren hängt die quietschgelbe Tonne dort - als Schnapsidee einer örtlichen Segelschule gehört sie offiziell nicht zum Fundus der Deutschen Post. Die verweist in Zeiten des digitalen Wandels dennoch auf eine eher erstaunliche Entwicklung: Die Zahl ihrer Briefkästen nimmt nicht ab, sondern zu.

„110 000 Briefkästen sind derzeit in Deutschland von der Deutschen Post für die Nutzung der Kunden verfügbar, somit etwa 2000 mehr als vor zehn Jahren“, erklärt Jens-Uwe Hogardt von der Deutschen Post. Ein Grund: In bewohnten Gebieten muss ein Briefkästen in einer Distanz von nicht mehr als tausend Meter Fußweg erreichbar sein. Zudem fällt der jährliche Rückgang der Briefsendungen zwar stetig, aber doch eher moderat aus. „Die Menge nimmt zwar jedes Jahr leicht ab, es wird aber noch immer fleißig geschrieben“, sagt der Postsprecher.

Dabei ist die einst so wichtige Briefzustellung heute beim Bonner Dax-Konzern eigentlich nur noch eine kleine, unbedeutende Spart. Denn in den Zeiten schneller, digitaler Kurznachrichten schreiben immer weniger Menschen auf Papier. Die Post reagierte schon mit einer Einschränkung ihrer sonntäglichen Leerung. Im Vorjahr beförderte sie über alle Produktarten hinweg 19,3 Milliarden Briefsendungen, das sind täglich etwa 61 Millionen Sendungen im Briefbereich. Zu diesen Zählungen zählen etwa Briefe, Karten, Büchersendungen, Werbe- und Presseerzeugnisse.

Es sind vor allem Werbebriefe, die die Säcke in den Briefkästen anschwellen lassen. „85 Prozent aller Sendungen im Briefmarkt der Deutschen Post sind heute geschäftlicher Natur“, sagt Hogardt. Dazu zählen neben Werbesendungen behördliche Schriftstücke. Denn die Perspektiven für den handgeschriebenen Brief, wie ihn Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe noch zelebrierte, sind eher schlecht.

Briefe in Zeiten von Facebook, Twitter und WhatsApp

Das bestätigt auch die Germanistin Christine Bickes von der Leibniz-Universität Hannover, die in ihren Seminaren die „mediale und konzeptionelle Schriftlichkeit“ aufgreift: „Den Eindruck, dass im digitalen Zeitalter noch Briefe geschrieben werden, teile ich nicht.“ Sie gibt aber zu bedenken: „Allerdings schreibt die junge Generation regelmäßig und mit großer Begeisterung Ansichtskarten.“ Und sei es nur als Zierde für den Kühlschrank.

Das weit über 500 Jahre alte Postwesen in Deutschland muss sich zwar zurzeit mit der digitalen Revolution auseinandersetzen, zeigt dank Werbebriefen und Postkarten analog aber tapfer Flagge. Eine Karte mit Briefmarke und Stempel gilt auch in Zeiten von Facebook, Twitter oder WhatsApp als weitgehend unwiderlegbarer Beweis der Anwesenheit an einem bestimmten Ort. Hogardt: „Es geht nicht um die Information, sondern nur den Beweis, dass man irgendwo vor Ort gewesen ist.“

Selbst auf der weltgrößten IT-Messe CeBIT in Hannover , dem selbst erklärten Mekka des digitalen Wandels, berichten Postboten von prall gefüllten Briefkästen auf dem Messegelände. „Ich kann mir vorstellen, dass das vor allem von unseren asiatischen Besuchern genutzt wird, um authentisch zu beweisen: „Ich war da““, sagt ein Messesprecher.

Die kurz vor ihrem 150. Jahrestag stehende Postkarte erlebt zwar in den Sommermonaten ihre Hochkonjunktur, macht aber nur einen Anteil von knapp zwei Prozent an den Gesamtzahlen im Briefbereich aus. Die damals noch „Correspondenzkarte“ genannte Postsendung war 1870 in Deutschland als eine Art analoger Twitter-Service eingeführt worden: eine günstige Mitteilungsform für die Bevölkerung.

„Gelbe Klassiker“ auch auf hoher See
Als Universaldienstleister ist der ehemalige Staatskonzern Deutsche Post gesetzlich dazu verpflichtet, an sechs Tagen in der Woche Briefe deutschlandweit zuzustellen. Dazu zählen exotische Regionen wie der Spreewald ebenso wie der Harzer Brocken oder eine Hochzeitseiche bei Eutin in Schleswig-Holstein.

Gelbe Briefkästen schippern auch auf der Nordsee. An Bord der Fähre „Pellworm I“ können Briefe eingeworfen werden, die dann mit Schiffsstempel versehen im Sonder-Couvert nach Kiel zur Post gehen. „Das kann schon mal etwas länger dauern, aber dafür ist es auch kein normaler Briefkasten“, so ein Sprecher.

Auch an Bord der „MS Flipper“ ,der Reederei Cassen Eils, hängt ein solcher Briefkasten. Die Post wird von vereidigten Mitarbeitern gestempelt und in einem Sonderumschlag verstaut. Allerdings ist der Postboote sowieso fast täglich mit an Bord, denn er muss die Post auf der Insel Neuwerk ausliefern. Dort hängt am Leuchtturm ein Briefkasten, der nur „gezeitenabhängig“ geleert wird.


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