Überraschendes Ergebnis: Mehrwertsteuererhöhungen sind ein gutes Mittel, um der Konjunktur aufzuhelfen. "Die Studienergebnisse legen nahe, dass eine Reihe koordinierter und gestaffelter Erhöhungen der Konsumsteuern eine geeignete Maßnahme darstellen können, um den aktuellen Konsum zu steigern", erklärte die auf deutscher Seite beteiligte Marktforschungsfirma GfK.
Einzige Voraussetzung sei, dass die Verbraucher in die Lage versetzt würden, die höheren Preise auch zu zahlen – etwa durch eine Senkung der Einkommenssteuern. Sei beides im Gleichgewicht, könne die Wirtschaft ohne Belastung der öffentlichen Haushalte auf Trab gebracht werden. "Wenn die Rezession überwunden ist, sollten diese Maßnahmen jedoch wieder rückgängig gemacht werden", sagte GfK-Experte Rolf Bürkl. "Durch die dann wieder niedrigeren Preise ließe sich möglicherweise sogar noch einmal ein Schub für den privaten Konsum auslösen."
Freilich entwickeln fiskalische Maßnahmen wie eine Erhöhung der Mehrwertsteuern oder eine Entlastung bei den Einkommenssteuern regelmäßig hohe politische Sprengkraft. Auch für eine Kehrtwende, wie Bürkl sie nach Eintreten der gewünschten Effekte fordert, lassen sich nicht ohne Weiteres Mehrheiten finden. Für eine Umsetzung des Rezepts wäre also erhebliche Überzeugungsarbeit nötig.
"Natürliches Experiment"
Doch die würde sich lohnen, folgt man der Forschergruppe. Im Schnitt hätten Haushalte, die einen Teuerungsschub erwarten, eine um acht Prozent erhöhte Ausgabenbereitschaft, fand sie heraus. Vor allem die Anbieter langlebiger Güter wie Immobilien, teure Elektrogeräte oder Autos profitierten davon. Am stärksten ausgeprägt sei der Effekt bei gut ausgebildeten und gut verdienenden Stadtbewohnern.
Die Experten nutzten eine seltene Gelegenheit, die sie als "natürliches Experiment" bezeichnen: Im Januar 2007 hatte die damalige große Regierungskoalition angekündigt, die Mehrwertsteuer um drei Prozentpunkte zu erhöhen. "Die Tatsache, dass die Ankündigung unerwartet war und unabhängig von künftigen Konjunkturerwartungen erfolgte, erlaubt es, einen kausalen Zusammenhang zwischen Inflationserwartungen und Ausgabebereitschaft von Verbrauchern herzustellen", erläuterte der Hochschullehrer Michael Weber von der Booth School of Business in Chicago.
Die Wirtschaftsforscher nahmen unter die Lupe, wie sich die Kaufneigung der Deutschen nach der überraschenden Botschaft aus Berlin veränderte. Zur Kontrolle analysierten sie die Entwicklung der Kauflust in Großbritannien, Schweden und Frankreich, wo in diesem Zeitraum keine Mehrwertsteuererhöhungen auf der politischen Tagesordnung standen. Neben der GfK und der Booth School waren die University of Maryland und das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) an der Untersuchung beteiligt.
Verblüffender Effekt
Unmittelbar nach der Ankündigung in Deutschland entkoppelte sich die zuvor weitgehend parallele Entwicklung in den einzelnen Ländern, so KIT-Forscher Daniel Hoang. "Die Konsumneigung der deutschen Verbraucher stieg im Vergleich zur Kontrollgruppe deutlich an." Ihren Höhepunkt erreichte die Anschaffungslust im November 2006, also kurz von Inkrafttreten der Steuererhöhung zu Anfang 2007. "Zu diesem Zeitpunkt war die Bereitschaft der Verbraucher, hochwertige Produkte zu kaufen, um mehr als 33 Prozent höher als bei der Kontrollgruppe", sagte GfK-Experte Bürkl.
Verblüffend sei der dann folgende Effekt. Nach Inkrafttreten der Steuererhöhung sei die Konsumbereitschaft zwar wieder abgeflaut, aber nicht unter das Niveau vor deren Ankündigung gesunken. Die Verbraucher hätten also nach der Steuererhöhung nicht weniger Geld für hochwertige Waren ausgegeben als vor ihrer Ankündigung im Vergleich zu Haushalten in den Vergleichsländern, so die GfK.
Die Studiengruppe wertet ihre Ergebnisse als Durchbruch. Erstmals sei es gelungen, wissenschaftlich zu belegen, dass die Erwartung steigender Teuerungsraten bei gleichbleibenden Zinsen die Kaufbereitschaft anheizen.
Die Ergebnisse könnten für die südeuropäischen Krisenländer wie Italien, Spanien oder Griechenland eine zusätzliche Möglichkeit aufzeigen, das Wirtschaftswachstum zu beflügeln, heißt es. "Die Forschungsergebnisse erweitern den politischen Werkzeugkasten", so die Wissenschaftler selbstbewusst.
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