Keine Beweise, aber ein fataler Eindruck

  16 Auqust 2016    Gelesen: 318
Keine Beweise, aber ein fataler Eindruck
Seit Wochen stieg der Druck auf Hardy Peter Güssau wegen der Wahlfälschungen in Stendal. Einwohner haben über Unregelmäßigkeiten geklagt. Nun tritt Sachsen-Anhalts Landtagspräsident zurück – doch sieht er sich weiter im Recht.
Lange hatte Hardy Peter Güssau die Ansicht vertreten, die Affäre um seine Person sei anhand juristischer Kategorien zu bewerten. Wieder und wieder legte der CDU-Politiker dar, dass er im Strafverfahren zur Fälschung der Stendaler Stadtratswahl nicht als Beschuldigter geführt werde. In drastischen Worten („dann ist das nicht mehr mein Land“) machte Güssau auch deutlich, dass er keinesfalls vom Amt des Landtagspräsidenten zurücktreten werde.

Der 53 Jahre alte Mann aus der Altmark brachte seine Partei damit in eine heikle Lage. Am Wochenende versuchte der CDU-Landesvorsitzende Thomas Webel dem Landtagspräsidenten noch einmal klarzumachen, dass sein weiteres Schicksal nicht von juristischen Kategorien oder seinen eigenen Moralvorstellungen abhängt, sondern einer politischen Logik folgt. „Es geht in dem Konflikt nicht mehr um Schuld oder Unschuld. Wenn das Vertrauen der Abgeordneten nicht mehr da ist, muss ein Präsident sich dem Votum beugen“, sagte Webel der „Mitteldeutschen Zeitung“. Dieses Vertrauen genoss Güssau zuletzt nicht einmal in den eigenen Reihen. In der vergangenen Woche veröffentlichte die CDU 14 Fragen an Güssau. Deutlicher konnte die Partei, deren Landtagsfraktion ihm vor zwei Wochen noch einhellig unterstützt hatte, ihm den Rückhalt nicht entziehen.

Die anderen Parteien hatten Güssau schon länger einen Rücktritt nahe gelegt. Die Fraktion der Linkspartei kündigte sogar einen Abwahlantrag an. Güssau blieb trotz allem kämpferisch, schickte am Sonntag tatsächlich noch ausführliche Antworten an seine Partei. Erst am Montagmittag, kurz vor der Sitzung des Ältestenrates, lenkte er ein. Die vergangenen beiden Wochen hätten ihm gezeigt, „dass die notwendige Vertrauensbasis in einer Weise beeinträchtigt ist, die mir die sachgerechte Fortführung meines Amtes unmöglich macht“, teilte Güssau mit. Er trete daher als Landtagspräsident zurück. Ein Koalitionsbruch, wie ihn die mitregierende SPD für den Fall angekündigt hatte, dass die CDU an Güssau festhält, war damit abgewendet. In den Reihen der Magdeburger Koalitionäre machte sich Erleichterung breit. Niemand hatte zuvor ausschließen können, dass Güssau nicht doch den Koalitionsbruch herausfordert.

„Ich habe nicht vertuscht, nicht getarnt und auch nicht getrickst“
Von seiner Unschuld ist Güssau auch weiterhin fest überzeugt. Der von ihm zuletzt wie ein Mantra vorgetragene Satz „Ich habe nicht vertuscht, nicht getarnt und auch nicht getrickst“, findet sich auch in seinem Rückschrittschreiben – in Fettdruck. Einen Beweis, dass Güssau eine Wahlfälschung vertuschen wollte, liegt in der Tat heute auch nicht vor. Es ist vielmehr die unabweisbare Nähe zu den für die Stendaler Wahlfälschung verantwortlichen Personen, die Güssau zum Verhängnis geworden ist.

Im Zentrum der Vorgänge in Stendal stand der CDU-Kandidat Holger Gebhardt, der zum Zeitpunkt der Stadtratswahl am 25. Mai 2014 nebenbei als Sekretär der Kreistagsfraktion der CDU arbeitet. Bei der Wahl erhielt Gebhardt 689 Briefwahlstimmen, also beachtliche 11,3 Prozent. In den Wahllokalen erhielt Gebhardt aber nur 148 Stimmen – das sind 0,494 Prozent, eine krasse Differenz. Güssau erklärt dazu im Rückblick, als Vorsitzender der Stendaler CDU habe er gewusst, dass Gebhardt sich insbesondere um Briefwähler bemüht habe. Die Differenz bei den Stimmen habe ihn deshalb nicht verwundert – auch nicht in dieser Dimension. Dabei gab es schon am Wahltag erste Hinweise von

Stendalern, die im Wahllokal wählen gehen wollten, aber dort gesagt bekamen, sie hätten bereits per Briefwahl gestimmt. Ein Stendaler erkannte sogar, dass seine Unterschrift gefälscht worden war. In den Wochen darauf konnte man dann allmählich das Ausmaß des Vorgangs erahnen. An nur zwölf Bevollmächtigte waren vor der Wahl 179 Briefwahlunterlagen (inzwischen gehen die Ermittler sogar von 189 aus) ausgegeben worden. Dabei waren je Bevollmächtigten nur vier Vollmachten erlaubt. Güssau sagt dazu, diese Begrenzung sei damals neu gewesen und ihm nicht bekannt. Es sei ihm daher auch nicht ungewöhnlich erschienen, dass auch der CDU-Kreisvorsitzende Wolfgang Kühnel – er gehört mittlerweile zum Kreis der Beschuldigten – und die beiden Mitarbeiterinnen der Parteigeschäftsstelle zu jenen gehörten, die sich zahlreiche Briefwahlunterlagen abholten.


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