Doch bei der vorletzten Frage ist Schluss mit lustig, das Thema wechselt abrupt. "Ich bin Landwirt, aber auch ein besorgter Bürger", meldet sich ein Mann aus Anklam. Er sei unsicher, ob die Bundesregierung in der Außenpolitik auf dem richtigen Weg sei, sagt er und fordert von Merkel: "Bitte setzen Sie sich dafür ein, dass unsere Kinder noch eine sichere Zukunft haben."
Der Mann sagt nicht, wovor genau er Angst hat. Aber er beschreibt ein Gefühl der Unsicherheit, das derzeit viele Menschen umtreibt. Mit den Anschlägen von Würzburg und Ansbach hat der islamistische Terror Deutschland erreicht. Dazu kam der Amoklauf von München. Danach hat eine, zumindest in Teilen alarmistische, Debatte eingesetzt, wie der Staat seine Bürger besser schützen kann.
Merkel versucht dieses Thema am Donnerstag auszublenden, sie macht Wahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern. Am 4. September wählen die Bürger hier einen neuen Landtag, im nach der Einwohnerzahl drittkleinsten Bundesland. Nur 1,6 Millionen Menschen leben in Mecklenburg-Vorpommern.
Für Merkel ist es dennoch eine besondere Wahl. Es ist ihre Heimat. Der erste Termin an diesem Tag findet sogar in ihrem Wahlkreis statt, auf dem Marktplatz von Ribnitz-Damgarten.
Wichtiger aber noch: Merkels CDU droht bei der Landtagswahl und bei der zwei Wochen später stattfindenden Wahl in Berlin erneut für die Flüchtlingspolitik abgestraft zu werden. Die rechtspopulistische AfD kann in Mecklenburg-Vorpommern laut Umfragen auf ein Ergebnis um die 20 Prozent hoffen. Sollte die rechtsextreme NPD zudem erneut in den Landtag einziehen, könnte es für die Große Koalition knapp werden.
Spitzenkandidat der CDU im Norden ist Lorenz Caffier. Der Landesinnenminister setzt im Wahlkampf auf populistische Töne, um die von Merkel enttäuschten Wähler zu halten. Caffier fordert unter anderem ein Burkaverbot und die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft.
Merkel hält davon wenig. Das lässt sie in einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland durchblicken. Thomas de Maizière habe ihre volle Unterstützung, sagt sie. Der Innenminister lehnt ein generelles Burkaverbot ab.
Bei den Bauern in Boldekow und auf dem Marktplatz in Ribnitz-Damgarten meidet die Kanzlerin das Thema. Lieber spricht sie über Pflege, Ausbau von schnellem Internet und die Schulpolitik. Es wirkt fast pflichtschuldig, als Merkel sagt, es handle sich bei der Inneren Sicherheit um eine große Aufgabe, alle Akteure seien sich einig, dass man mehr Polizisten brauche und schließlich: "Bei der CDU ist das Thema in guten Händen."
Immerhin: Große Unmutsäußerungen bekommt Merkel diesmal nicht zu spüren. Vor einem Jahr hatten Bürger in Heidenau die Kanzlerin ausgepfiffen und beschimpft, Mitte Mai legten Unbekannte einen Schweinekopf vor ihr Wahlkreisbüro. Dieses Mal bleibt alles ruhig.
Begeisterung löst Merkel aber auch nicht aus. Mehrere hundert Besucher verfolgen ihre Rede auf dem Marktplatz schweigend. Wirklich erfreut, die CDU-Chefin zu sehen, scheinen nur zwei Gruppen zu sein: Touristen aus Berlin und Bochum, denen Merkel auf dem Weg zur Bühne die Hand schüttelt und einige syrische Flüchtlinge, die Merkel um Hilfe beim Nachzug ihrer Familien bitten.
Auch der 17-jährige Izzeddin hofft darauf. Er lebt seit sieben Monaten in der Bundesrepublik, spricht bereits gut Deutsch und erzählt, insgesamt fühle er sich in Mecklenburg-Vorpommern wohl, "es gibt freundliche Menschen und auch nicht so nette."
Zur letzten Gruppe zählt die NPD. Bei Merkels Auftritt lassen sie sich nicht blicken. Aber Katrin Stadtaus, die sich ehrenamtlich für Flüchtlinge engagiert, erzählt, am vergangenen Freitag hätten etwa 20 Rechtsextreme vor der Flüchtlingsunterkunft der Stadt demonstriert. "Sie haben Frauen angebrüllt: `Nimm doch mal das Kopftuch ab!`", berichtet Stadtaus. Viele Flüchtlinge seien verängstigt und wollten Ribnitz-Damgarten verlassen.
Bereits jetzt sind laut Ministerpräsident Erwin Sellering von den 25.000 Flüchtlingen, die im vergangenen Jahr nach Mecklenburg-Vorpommern kamen, mehr als die Hälfte wieder weggezogen. Auf ihren Wahlplakaten erwecken NPD und AfD dennoch den Anschein, als stehe das Land kurz vor dem Kollaps.
Merkel könnte sich dazu positionieren, sie könnte sagen, wie wenig Verbote und Angstmacherei im Umgang mit den Flüchtlingen bringen. Stattdessen antwortet sie dem besorgten Bürger in Boldekow: "Wir arbeiten jeden Tag mit vollem Herzen daran, dass unsere Kinder auch weiterhin in Sicherheit leben können."
Quelle : spiegel.de
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