Zuvor hatte sein Katalog für Krisen- und Katastrophenfälle Irritationen ausgelöst. Das Konzept beschreibt auf 70 Seiten Strategien gegen Cyberangriffe, Terroranschläge oder Attacken auf die Energie- und Wasserversorgung. Unter anderem wird Bürgern geraten, für mögliche Notlagen ein paar Vorräte im Haus zu haben. Eine Binse, eigentlich.
Doch nur wenige Wochen nach der Juli-Gewaltserie in Süddeutschland konnten solche Hinweise beunruhigend wirken. "Dieses Timing ist völlig verfehlt", kritisierte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann am Montag - und griff den Koalitionspartner damit frontal an.
Auf Gegenattacken lässt sich de Maizière gerade nicht ein. Er bleibt bei seinem Auftritt dabei: Dass das Papier genau jetzt fertig wurde, mitten in der Sommerpause und ohne ersichtlichen Zeitdruck - das sei reiner Zufall. Sich "angemessen und mit kühlem Kopf" auf Katastrophenfälle vorbereiten, "das macht jedes Land der Welt".
Comeback als Spitzenmann der Sicherheit
Überhaupt fällt der Innenminister in den vergangenen Wochen durch demonstrative Gelassenheit auf. In der Diskussion über Anschlagsrisiken und internationale Konflikte ist es häufig er, der zwischen Hardliner-Stimmen zu Besonnenheit mahnt. "Wir werden die Taten der Terroristen nicht mit Hass und Spaltung beantworten", sagte er über sein voriges Sicherheits- und Asylrechtspaket.
Inhaltlich geht er zwar in die Offensive, unterstützt ein Burkateilverbot und fordert Gesichtskontrollen an Flughäfen. Als Ressortchef für alles, was mit Gefahrenabwehr und Bevölkerungsschutz zu tun hat, war er über den Sommer umtriebiger als alle anderen Minister.
Doch verglichen mit seinem zeitweise ungeschickten Auftreten in der Flüchtlingskrise wirkt er plötzlich wie ein Ruhepol. Keine Patzer, keine impulsiven Ausrutscher mehr.
Bis vor Kurzem war das noch anders. Da setzte de Maizière überzogene Behauptungen zu Flüchtlingen in die Welt, was ihm Rücktrittsrufe einbrachte. Nun fordert ausgerechnet er Präzision und warnt vor voreiligen Ängsten.
Woran liegt das?
1. Womöglich hat er aus seinen Fehlern gelernt: De Maizière kritisierte Flüchtlinge, die angeblich massenhaft betrügen, Taxi fahren oder sich krankschreiben lassen. Er thematisierte damit reale Fälle, warf aber fiktive Zahlen in den Raum. Damit schürte er Vorurteile, Probleme wurden nicht gelöst. Unterm Strich wirkte er in der Flüchtlingskrise unsouverän, zumal Angela Merkel (CDU) die Federführung auch noch ins Kanzleramt verlagerte. Diesen schlechten Eindruck will er nicht erneut hinterlassen. Er verzichtet momentan auf Schnellschüsse und macht gleichzeitig klar: Sicherheitsfragen liegen eindeutig in meinem Revier.
2. Streit mit Merkel kann er sich nicht mehr leisten: Meinungsverschiedenheiten in der Flüchtlingsfrage nützten der Kanzlerin und ihrem Innenminister nicht, die Umfragewerte gingen runter. Aktuell stimmen sie sich besser miteinander ab. Merkel setzt die Botschaft, um das allgemeine Sicherheitsgefühl zu stärken ("Wir werden alles Menschenmögliche tun"), er ist für den Feinschliff zuständig. Alles andere wäre in der angespannten Lage wohl auch zu riskant.
3. Seine Partei ist auf Sicherheitsthemen angewiesen. Terrorismus und globale Konflikte, das werden bestimmende Themen im Bundestagswahlkampf 2017. Gleichzeitig wird es für die Parteien immer schwieriger, sich voneinander abzugrenzen. Auf dem Stammgebiet der Konservativen möchte de Maizière weder den Sozialdemokraten noch der Alternative für Deutschland (AfD) Platz lassen. Auch deshalb bietet er gerade kaum Angriffsfläche für Kritiker.
Nur mit der Glaubwürdigkeit, da hapert es manchmal. Das Zivilschutzkonzept sei lediglich ein "Rat, wie man sich selbst versorgen kann, wenn Probleme entstehen", sagt de Maizière im Wasserwerk. Das erweckt den Eindruck, hier ginge es nur um irgendeinen Leitfaden, der später in Behördenregalen vergammelt. Warum dann aber eine einstündige Präsentation mit Pressekonferenz?
Faktisch hat de Maizière recht: Die Vorbereitungen für das Konzept laufen seit Jahren. "Jetzt stand es auf der Tagesordnung, so einfach ist das." Doch es liegt verständlicherweise im Interesse eines Innenministers, die Bürger für Gefahren zu sensibilisieren, ein Bewusstsein für Schutzmöglichkeiten zu schaffen. Insgeheim dürfte der Minister froh darüber sein, dass das Papier so große Aufmerksamkeit erregte.
Jetzt geht das umstrittene Konzept erst einmal in die einzelnen Ministerien, "die prüfen dann, ob sich für ihre Fachbereiche Konsequenzen ergeben" - oder auch nicht, räumt de Maizière freimütig ein. Er setzt keinen Zeitplan, keine Prioritäten. Ob zeitnah Gesetze daraus entstehen, ist also eher unwahrscheinlich.
Dem Minister kann das vorerst egal sein. Er war im richtigen Moment zur Stelle.
Quelle : spiegel.de
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