Scheidung? Für Iranerinnen kein Tabu mehr!

  01 September 2016    Gelesen: 900
Scheidung? Für Iranerinnen kein Tabu mehr!
Vergangenes Jahr wurden im Iran pro Stunde durchschnittlich 19 Ehen geschieden. 70 Prozent der Scheidungsanträge reichten die Ehefrauen ein. Damit rebellieren sie gegen das Frauenbild in der traditionellen Gesellschaft.
Tahereh ließ sich scheiden - vor drei Jahren, trotz des Protests ihrer Familie. "Es war eine Liebeshochzeit. Aber erst nach der Hochzeit habe ich verstanden, worauf ich mich eingelassen hatte", erzählt die 36-jährige Managerin aus Teheran im Gespräch mit der DW. Neun Jahre lang war sie verheiratet, unglücklich. Sie hatte keine Möglichkeit, ihren Mann vor der Ehe näher kennen zu lernen. Die Ehe ist immer noch die einzige gesellschaftlich und offiziell anerkannte Form des Zusammenseins zwischen Mann und Frau im Iran.

Ein persisches Sprichwort sagt: "Eine Frau verlässt das Haus ihres Vaters im Weiß des Hochzeitskleides. Das Haus ihres Mannes verlässt sie im Weiß des Leichenhemdes." Bis zu ihrem Tod aber wollte Tahereh nicht warten. Sie brach mit der Tradition und reichte die Scheidung ein. Eine schwierige Entscheidung: Laut Gesetz können nur Männer ihre Ehe ohne Begründung beenden. Die Frauen dagegen müssen die Scheidung oft in einem langen Prozess erstreiten.

Das nahm Tahereh in Kauf. Sie verzichtet auch auf ihre "Mahr": Eine einmalige Zahlung seitens des Ehemannes für den Fall einer Scheidung, die zu Beginn der Ehe vereinbart wird. Tahereh befreite sich - wie viele andere Frauen.

Frauen wollen Gleichberechtigung in der Ehe

Scheidung ist für viele iranische Frauen kein Tabuthema mehr. Die Scheidungswelle beschränkt sich dabei keineswegs auf eine westlich orientierte Oberschicht: Vergangenes Jahr wurden landesweit pro Stunde im Schnitt 19 Ehen geschieden. Und trotz der größeren Probleme für die Frauen, waren sie es, die 70 Prozent der Scheidungsanträge stellten.

"Das Frauenbild in der Gesellschaft hat sich verändert", analysiert die Frauenaktivistin und Journalistin Jila Bani Yaghub im DW-Gespräch. "Das hat vor allem mit dem Bildungsniveau der Frauen zu tun und ihrem neu entwickelten Selbstbewusstsein. Außerdem sind ihre Erwartungen gestiegen. Dazu gehört auch die Gleichberechtigung in der Ehe."

Gleichberechtigung ist ein wichtiges Thema für iranische Frauen. Laut den auf der Scharia fußenden Gesetzen sind sie unmündige Staatsbürger. Alle wichtigen Entscheidungen werden von den Vätern oder Ehemännern getroffen.

Für ihre Selbstbestimmung als erwachsene Frauen müssen die iranischen Frauen sich oft mit ihren Ehemännern auseinander setzen. So entscheidet nach der Hochzeit der Ehemann, ob seine Frau arbeiten darf. Er bestimmt auch, wo die Familie lebt. Er entscheidet sogar, ob seine Frau das Land oder auch nur die Stadt verlassen darf.

Auch Tahereh musste nach der Hochzeit auf ihren Job verzichten. Entsprechend schwer war ihr Wiedereinstieg in den Beruf. "Nach der Scheidung hat mein Vater mich eine Weile finanziert. Es war nicht einfach, nach Jahren der Unterbrechung noch mal auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Das hat sich inzwischen gerändert. Zwei Freundinnen und eine Cousine von mir, die sich in den letzten drei Jahren ebenfalls scheiden gelassen haben, haben viel schneller als ich einen Job gefunden.

Staatliche Statistiken zeigen, dass von März bis November 2015 auf vier Eheschließungen eine Scheidung kam. Vor 20 Jahren war die Relation noch 13 zu eins. Landesweit scheitern 50 Prozent der Ehen sogar in den ersten drei Jahren. Die enorm gestiegene Scheidungsrate wird offiziell als ein gesellschaftliches Problem gesehen, gleichgestellt mit Drogenabhängigkeit oder Prostitution. Konservative Kräfte machen die Frauenförderung auf dem Arbeitsmarkt unter Präsident Hassan Rohani mit verantwortlich für diese Entwicklung.

"Warum wird immer mehr darauf bestanden, dass Frauen arbeiten, obwohl so viele unserer Männer arbeitslos sind", kritisierte Großajatollah Jussef Tabatabeinedschad im Dezember 2015. In einem islamischen Land müssten schließlich Männer die Frauen ernähren und nicht umgekehrt. Manche konservative Kreise wollen inzwischen sogar den Zugang zu Bildung für Frauen einschränken.

"Die iranische Gesellschaft ist im Wandel. Das müssen die Machthaber verstehen", erklärt der iranische Soziologe Saeed Paivandi gegenüber der DW. "Ein Merkmal dieses Wandels ist die Rolle der Frau. Iranische Frauen wollen nicht mehr nur Tochter, Ehefrau oder Mutter eines Mannes sein. Sie wollen gleichberechtigte Bürger sein. Trotz aller Repressalien in den letzten 37 Jahren hat sich die Situation Frauen erstaunlich positiv entwickelt. Ihr Anteil an der Universitäten ist von 27 Prozent vor der Revolution von 1979 auf aktuell mehr als 50 Prozent gestiegen. Auf dem Arbeitsmarkt sind sie noch nicht so weit, aber sie kämpfen dafür.“ Eine Realität, die in den Schulbüchern noch nicht angekommen ist.

Paivandi von der Universität de Lorraine in Frankreich recherchiert über das iranische Bildungssystem im internationalen Vergleich. In einem kritischen Bericht für die US-amerikanischen Nichtregierungsorganisation Freedom House schilderte er 2008, wie das Frauenbild in den iranischen Schulbüchern von systematischer Diskriminierung und Intoleranz geprägt ist.

"Das Frauenbild in den Schulbüchern ist extrem rückwärts gewandt. Es entspricht nicht der Realität in der iranischen Gesellschaft. Zwar durchlaufen die Mädchen dieses Bildungssystem erfolgreich. Das dort vermittelte Frauenbild aber akzeptieren sie nicht als Vorbild. Also: eine Frau, die sich fügt, verschleiert und unterordnet."

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