Dazu hämmern Bässe dem feiernden Volk ihren Rhythmus ein, leicht bekleidete Frauen und Männer mit sorgfältig getrimmten Bärten tanzen bis in den Sonnenaufgang; wer will, an sieben Tagen in der Woche. Die Dekadenz kennt keine Sperrstunde, erst recht nicht hier, in Bab Tuma, einer friedlichen Insel mitten im Krieg.
Keine zwei Kilometer weiter ist niemandem nach tanzen zumute. Im Damaszener Stadtteil Jobar gibt es keine Bars und auch keinen Alkohol. Wenn hier etwas die Menschen aufschreckt, dann ist es nicht die laute Musik der Feierwütigen, sondern die krachende Detonation einer Bombe.
Wo noch vor wenigen Jahren Häuser, Schulen und Einkaufsmeilen ein Wohnquartier bildeten, stehen jetzt noch blasse Gerippe aus Stahl und Beton. Unerbittlich lässt Baschar al-Assad hier seine Gegner bekämpfen: mit Streubomben, mit Napalm-ähnlichen Kampfstoffen und marodierenden Milizen.
Tagsüber führen sie Krieg, abends feiern sie
Jobar und Bab Tuma, die beiden Stadtviertel von Damaskus, könnten gegensätzlicher nicht sein. Und doch eint sie das Schicksal des Krieges, der seit 2011 das Land überzieht und bereits eine halbe Million Menschen das Leben gekostet hat. Denn die, die in Jobar aufseiten des Regimes kämpfen, sind diejenigen, die in Bab Tuma die Nächte durchtanzen. Tagsüber führen sie Krieg, abends trinken sie Whisky. Dass sie feiern können, ist staatlich gewollt und gefördert. Viele der ursprünglichen Bewohner des Viertels sind damit gar nicht einverstanden. Sie fühlen sich und ihren Stadtteil vom Regime verraten und verkauft. Für viele Christen war Bab Tuma eine Sicherheitszone, und jetzt scheinen sie die Kontrolle zu verlieren.
Ganz verschont vom Krieg ist Bab Tuma nicht. "Wir haben uns an den Lärm der Bomben gewöhnt", sagt Nour. "Wir können schon an der Lautstärke erkennen, in welcher Entfernung sie fallen." Sie ist 20 Jahre alt und studiert Musik an einem privaten Konservatorium in Damaskus. Wenn sie zum Feiern nach Bab Tuma kommt, muss sie durch viele Checkpoints, die das Regime in der Stadt aufgestellt hat. Die meisten werden von schiitischen Milizen kontrolliert, strengen Türstehern über die Partymeile.
Wer aussieht, als teile er nicht ihre Gesinnung, wird abgewiesen. Nour stört das nicht. Sie hat sich für Pragmatismus entschieden. "Seit fünf Jahren leben wir mit dem Krieg in unserer Nähe", sagt sie. Irgendwann arrangiere man sich halt. "Wir werden hier weiter Musik spielen. In der Hoffnung, dass sie eines Tages den Krieg übertönt."
Bab Tuma war schon lange Jahre der Ort in Damaskus, wo die Jugend verstohlen einen Arak bestellte. Schon vor dem Krieg erteilten die Behörden hier Kneipen die Lizenz, legal Alkohol auszuschenken. Assad beeindruckte seine Gäste mit syrischen Spezialitäten, die er ihnen in prächtigen Innenhöfen servieren ließ. Die teuersten Restaurants des Landes erhalten bis heute ihren Betrieb aufrecht. In den meisten Stadtteilen war das unmöglich, in Bab Tuma von den christlichen Anwohnern geduldet. Je länger der Krieg doch dauert, umso mehr Bars und Restaurants bekommen die begehrten Lizenzen. Eine Maßnahme des Regimes, der Kriegsmüdigkeit seiner Soldaten vorzubeugen.
Antoinette macht das wütend. Die 63-Jährige ist Christin, wie die meisten hier, und hat ihr ganzes Leben in Bab Tuma verbracht. "Unser Viertel verändert sich dramatisch", sagt sie. Viele Christen hatten sich vor dem Krieg mit der Herrschaft des Assad-Clans arrangiert. Als die Revolution begann, traten sie nicht als die Gegner des Regimes auf, zu viel hatten sie zu verlieren. Doch jetzt geht der syrische Krieg in sein sechstes Jahr und viele von ihnen haben das Land verlassen. Bab Tuma, so fürchten die Ersten, könnte seine Seele verlieren.
Das christliche Leben wird verdrängt
Die Altstadt von Damaskus gehört zu den ältesten Siedlungen der Christen. Der heilige Paulus ließ sich der Legende nach hier von Gefolgsleuten über die Stadtmauer helfen, um seinen jüdischen Verfolgern zu entkommen. An der Stelle, wo er Zuflucht fand, steht bis heute eine Kirche. Sechs orthodoxe Patriarchate hatten bis zum Kriegsbeginn in Bab Tuma ihren Hauptsitz. Um sechs Uhr in der Frühe klangen feierliche Liturgien aus den prächtigen Kirchen mit ihren byzantinischen Bogengängen, und das seit zweitausend Jahren.
Doch das selbstverständliche christliche Leben wird langsam verdrängt. "Es begann 2012", schimpft Antoinette. "Seitdem sind die Bilder nicht mehr zu übersehen. Sie kleben überall an den Mauern. Nasrallah, Ahmadinedschad, Khomeini. Die ganzen Schiiten eben." Antoinette findet, dass die Wände in Bab Tuma den Christen gehören. Es ist Sitte, dort die Bilder ihrer Verstorbenen aufzuhängen, schiitische Propaganda habe da nichts zu suchen.
Baschar al-Assad kann sich mit seiner Clique schon lange nicht mehr aus eigener militärischer Kraft an der Macht halten. Unterstützung bekommen sie aus dem Iran, der vor allem die schiitischen Hisbollah-Milizen finanziert. Sie sind es, die die Opposition und die Rebellen im Land bekämpfen und das syrische Regime vor dem Untergang bewahrt haben. Ihre Schergen wollen aber auch bei Laune gehalten werden. Zum Beispiel mit Partys in Bab Tuma.
"Die prägen hier inzwischen das Stadtbild", sagt Antoinette. "Und diese Musik! Den ganzen Tag fahren diese Rüpel mit ihren dicken BMWs durch die Straßen und aus den Autofenstern tönen ihre schiitischen Lieder." Das seien nicht einfach nur Lieder, sagt Antoinette. Sondern selbstbewusste Zeichen der Macht. Die Kunsthandwerker, die noch vor ein paar Jahren kleine Jesusstatuen bastelten, klöppeln nun kleine silberne Schwerter zusammen, auf denen sie schiitische Segensformeln verewigen. Neue Kundschaft, neuer Nippes. Die Händler passen sich dem Markt an.
Bewohner werden durch Alkohol vertrieben
Auch an der jüngeren Generation geht der Wandel des Viertels nicht vorbei. Auch, wenn bei Weitem nicht alle das so kritisch sehen. Der 31-jährige Emad lebt zwar nicht in Bab Tuma, kommt aber gelegentlich auf ein Bier hier vorbei. Er gehört zu denen, die sich mit dem Krieg arrangiert haben. "Die Sicherheitslage um die Stadt herum ist ja wirklich nicht gut, man kann zum Beispiel sehr schlecht verreisen. Wenn man also mal ausspannen will, dann bleibt nur Bab Tuma."
Dass das Stadtviertel sich verändere, habe auch damit zu tun, dass jetzt sehr viel mehr Menschen in Damaskus wohnten als noch vor dem Krieg. "Viele Leute sind aus anderen Gegenden nach Damaskus gezogen, aus den Vororten weiter ins Zentrum. Ich glaube, bestimmt eine Million Menschen. Deren Häuser sind vom Krieg zerstört."
Das ist eine freundliche Umschreibung dessen, was zum kriegerischen Repertoire des Assad-Regimes gehört. Nicht nur in Jobar, auch in sehr vielen anderen Vororten von Damaskus sitzen die Gegner Assads. Darayya ist einer dieser Orte, vielleicht der symbolischste von allen, in denen viele Syrer 2011 friedlich auf den Straßen gegen das Regime demonstrierten. Dessen erbarmungslose Antwort war eine vierjährige Belagerung des Stadtviertels, Scharfschützen, die auf die Zivilbevölkerung zielten, und der Abwurf von 9000 Fassbomben.
Erst vor knapp über einer Woche gaben die Bewohner von Darayya auf. Die bewaffneten Rebellen zogen mit ihren Waffen ab, für den Rest der Bevölkerung stellte das Regime Busse bereit, um sie in anderen Stadtvierteln anzusiedeln. Ein freiwilliger Umzug ist das nicht, auch wenn das Regime es im Staatsfernsehen als einen solchen verkaufen wollte. Viele aus der Opposition sprechen von ethnischen Säuberungen. Ihre Befürchtung: Die sunnitische Bevölkerung aus Darayya wird nie mehr in ihre Häuser zurückkehren, eines Tages werden hier stattdessen schiitische Milizen mit ihren Familien eine neue Heimat finden. Für Bab Tuma fürchten viele Gegner Assads ein ähnliches Schicksal. Nur werden die Bewohner nicht mit Bomben und Scharfschützen vertrieben, sondern durch Alkohollizenzen, immer mehr Bars und unzählige Partys.
Quelle : welt.de
Tags: