Es ist die erste Plenarwoche nach der Sommerpause, noch ein Jahr bis zur Bundestagswahl. Der Vizekanzler steht da, wo 24 Stunden zuvor Angela Merkel gesprochen hat. Die Kanzlerin hat eine für ihre Art sehr kämpferische Rede gehalten. Sie hat ihre Flüchtlingspolitik verteidigt und dabei – nicht namentlich, aber für jeden deutlich erkennbar – Seitenhiebe gegen ihre Kritiker verteilt, auch gegen Gabriel. Der muss darauf nun irgendwie reagieren. Nur wie?
Gabriel geht erst einmal gar nicht darauf ein. Er nimmt einen Umweg, spricht über sinkende Arbeitslosigkeit "in dieser aufgewühlten Zeit", über steigende Einkommen. "Wenn sich Arbeit und Anstrengung lohnt, ist das der stärkste Stabilitätsanker", so Gabriel. "Die Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung muss also irgendwas richtig gemacht haben", sagt er. Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik – beide Ministerien führt Gabriels Partei. Er lobt also sich selbst und die Arbeit von Arbeitsministerien Andrea Nahles. Dass es dem Land so gut geht, ist – so kann man Gabriel verstehen – natürlich der SPD zu verdanken. Ist denn schon Wahlkampf?
Aber Gabriel lobt nicht nur den roten Teil der Bundesregierung. "Die Arbeit der Großen Koalition" habe Deutschland gute drei Jahre gebracht, sagt er und bekommt dafür auch Applaus von den Abgeordneten von CDU und CSU. Der SPD-Chef redet auch über die Herausforderung für die Flüchtlingspolitik. Es spricht ein anderer Gabriel als in den vergangenen Tagen. Nicht der, der den Kurs der Kanzlerin und ihr "Wir schaffen das" scharf kritisiert. Der über die Flüchtlingspolitik spricht, als wäre er in den vergangenen Monaten nicht Teil derselben Bundesregierung gewesen. Nein, Gabriel gibt nun wieder den Staatsmann und nicht den Wahlkämpfer in der Aufwärmphase. Plötzlich klingt das alles sehr nach Merkel, nach ihrem "Wir haben viel geschafft"-Duktus. Eine Million Menschen aufzunehmen und zu integrieren, ohne Verteilungskämpfe und Steuererhöhungen, "es gibt kein Land, das dazu so schnell in der Lage gewesen wäre", sagt er mit anerkennender Miene.
Gabriel und die "Schicksalsfrage"
Dann wechselt Gabriel allmählich den Modus. Im Zusammenhang mit den Überschüssen im Bundeshaushalt fordert er Entlastung, etwa in Form der Abschaffung der Kitagebühren. So etwas solle man "nicht vor Wahlen ankündigen, sondern vor Wahlen machen", sagt er und fügt nach kurzer Pause hinzu: "Wir haben die Bereitschaft, solche Entlastungen noch in dieser Legislatur anzupacken." Dennoch warnt Gabriel. Falsche Wahlversprechen seien "der Nährboden für Rechtspopulisten. Das haben wir alle schon gemacht. Wir sollten lieber weniger versprechen und das halten", sagt er und schaut in die Runde.
Die Kanzlerin hat Gabriel bis zu diesem Zeitpunkt weder erwähnt noch angesprochen. Merkel hatte die Parteien im Umgang mit der AfD am Vortag in die Pflicht genommen. "Wenn auch wir anfangen, in unserer Sprache zu eskalieren, gewinnen nur die, die es immer noch einfacher und noch klarer ausdrücken", hatte sie gesagt. Indirekt hatte sie auch Gabriel angesprochen, der sie zuletzt viel kritisiert und nach der Wahl in Mecklenburg-Vorpommern für das Erstarken der AfD verantwortlich gemacht hatte. "Wenn wir untereinander nur den kleinen Vorteil suchen, um zum Beispiel noch irgendwie mit einem blauen Auge über einen Wahlsonntag zu kommen, gewinnen nur die, die auf Parolen und scheinbar einfache Antworten setzen", sagte Merkel. "Ich bin ganz sicher, wenn wir uns das verkneifen und bei der Wahrheit bleiben, dann gewinnen wir, und wir gewinnen so das Wichtigste zurück, was wir brauchen: Vertrauen der Menschen."
Das will Gabriel nicht einfach auf sich sitzen lassen. Die Gesellschaft zusammenzuhalten, sei die "Schicksalsfrage", erwidert er im Bundestag. Man dürfe keine Spaltung in Gewinner und Verlierer hinnehmen und den sozialen Frieden aufs Spiel setzen. "Die Konkurrenz auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt betrifft vor allem die, die nicht viel Geld haben. Darauf hinzuweisen, heißt nicht den Rechtspopulisten das Wort zu reden, sondern die Menschen ernst zu nehmen und dafür zu sorgen, dass sie erfahren, dass niemand vergessen wird", verteidigt sich Gabriel. Auf Merkels "Wir schaffen das" anspielend, sagt er: "Politik lebt vom aktiven Handeln, nicht von Durchhalteparolen."
Gabriel fehlen fünf Minuten
Er schaut dabei nicht zu Merkel, mit der er eben noch einträchtig auf der Regierungsbank gesessen hat. Dass er ihr antwortet, ist aber offensichtlich. Gabriel wehrt sich, aber zaghafter als man das von ihm gewohnt ist. Noch bis Herbst 2017 muss er mit Merkel die Große Koalition führen. In einem Jahr will er sie aus dem Amt drängen. Ein schwieriger Spagat. Auch die Kritik von Wolfgang Schäuble kontert Gabriel. Der Bundesfinanzminister hatte an Gabriels Adresse zuletzt angemerkt: "Wenn wir Flüchtlingen - Menschen, die in bitterer Not sind - nur noch helfen dürfen, wenn wir anderen, die nicht in so bitterer Not sind, das Gleiche geben oder mehr, dann ist das erbarmungswürdig." Gabriel reagiert darauf: Gleichzeitig Flüchtlinge zu integrieren und sich um die Menschen zu kümmern, die schon da seien, sei "der einzige Weg, die Gesellschaft zusammenzuhalten".
Gabriel bleibt nicht viel Zeit, über sein eigenes Ressort zu sprechen. Er verteidigt sein umstrittenes Eingreifen in die Fusion von Edeka und Kaiser`s Tengelmann. Er hatte die Fusion genehmigt, obwohl das Bundeskartellarmt sie untersagt hatte. "Wenn es einen Gemeinwohlgrund gibt, dann doch wohl den der Sicherung von 8000 bis 16.000 Arbeitsplätzen", so Gabriel. "Ich will mal sehen, wer das ernsthaft in Frage stellen kann, deswegen bin ich ganz gelassen." Der Wirtschaftsminister will eigentlich auch über ein weiteres wichtiges Thema reden: TTIP. Es gäbe viel zu sagen, Gabriel hatte das Freihandelsabkommen zuletzt für gescheitert erklärt und war dafür kritisiert worden. Er kommt aber nicht weit, denn der Bundestagspräsident erinnert ihn dezent daran, dass er zu lange geredet hat. Die Kanzlerin hatte am Mittwoch 25 Minuten Redezeit, Gabriel hat fünf Minuten weniger. Er ist schließlich nur Vizekanzler.
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