Das Gemetzel stößt auf Anerkennung

  08 September 2016    Gelesen: 517
Das Gemetzel stößt auf Anerkennung
Im Schnitt 44 Menschen sterben derzeit pro Tag im blutigen Drogenkrieg auf den Philippinen. Die Leichen stapeln sich gewissermaßen in den Straßen. Die breite Masse jedoch ist vom Kurs des neuen Präsidenten begeistert.
July erzählt, eine Freundin aus Deutschland habe ihr kürzlich geschrieben: Was denn auf den Philippinen los sei und ob es ihrer Familie gut gehe. July entgegnete, warum sie das frage. Die Antwort der Freundin: "Liest du denn nicht die Nachrichten? Euer neuer Präsident errichtet eine Schreckensherrschaft und veranstaltet ein Blutvergießen." Man könne beinahe von einem Völkermord sprechen.

In ihrem Hostel im Süden des Landes wird July regelmäßig mit dem Thema konfrontiert. Europäer und Amerikaner, die hier ankommen, lesen in den Nachrichten von einem regelrechten Krieg auf den Straßen des Landes.

July erzählt dann immer die Geschichte, wie sich ihr Land verändert habe. Vor der Wahl habe sie gehofft, dass Duterte Präsident wird und endlich in dem "Chaos", was sie ihr Heimatland nennt, aufräumt. Nun passiert genau das. Sie erzählt, dass man nach zwei Monaten unter Dutertes Regierung die Notfallnummer 911 wählen könne und jemand abhebe, dass über eine halbe Million Drogenabhängige sich in Therapie begeben hätten, dass das rostige Eisenbahnnetz renoviert werde, dass philippinischen Gastarbeitern in Saudi-Arabien geholfen werde und so weiter. Und ja, es gebe auch Tote, aber das seien Kriminelle, die in legitimen Polizeioperationen getötet worden seien. Sie hätten sich eben der Verhaftung widersetzt.

Demnach widersetzen sich derzeit durchschnittlich 44 Kriminelle pro Tag der Verhaftung. Das ist die Zahl der Toten, die der blutige Kampf gegen die grassierende Drogenkriminalität auf den Philippinen fordert, den Präsident Duterte fordert. Manila, Cebu, Davao - kein Tag vergeht, an dem in den Großstädten des Landes keine Kugeln fliegen und meist junge Männer in ihrem Blut liegen. Anfang der Woche noch hatte der Präsident angesichts wachsender internationaler Kritik versichert, weitermachen zu wollen, bis der letzte Drogenhändler getötet sei.

Seit Dutertes Amtsantritt vor gut zwei Monaten wurden bereits fast 3000 Menschen von Polizei und Bürgerwehren getötet, wie die Polizei selbst mitteilt. Demnach gab es bei Anti-Drogen-Einsätzen der Polizei landesweit 1033 Tote. Weitere 1894 Menschen seien unter nicht geklärten Umständen getötet worden. Menschenrechtler führen diese Morde auf Bürgerwehren, Auftragsmörder und Sicherheitskräfte zurück, die auf eigene Faust handeln. Die Opferzahl liegt aktuell bei mindestens 2927 Toten.

91 Prozent vertrauen ihrem Präsidenten

Schon vor der Wahl hat der Mann das Land gespalten. Viele sahen in ihm einen Präsidentschaftskandidaten, der an die Tradition des letzten philippinischen Diktators Marcos anschließen könne. Duterte drohte damit, notfalls das Kriegsrecht auszurufen und damit das Parlament auszuschalten, um die Kriminalität effektiv bekämpfen zu können. Viele erinnerte er mit seinen derben Sprüchen auch an Donald Trump. 39 Prozent der Philippiner wählten ihn im Mai. Als er Präsident wurde, war es, als ginge ein erschrockenes Raunen durch das Land.

Inzwischen hat sich das Blatt gewendet. Während sich die Leichen der Kriminellen gewissermaßen in den Straßen des Landes stapeln, erfreut sich der Präsident einer Zustimmung, von der europäische Politiker nur träumen können. 91 Prozent der Philippiner vertrauen der letzten großen Umfrage von Pulse Asia zufolge Duterte. Misstrauen gegen den Mann hegen in den nördlichen Regionen sagenhafte null Prozent und auf der Visayas-Inselgruppe ein Prozent.

Duterte hat die meisten Philippiner in seiner erst kurzen Amtszeit überzeugt. Bei seiner Rede zur Lage der Nation - traditionell eine Art gesellschaftliches Großereignis - ließ er das Budget für das üppige Buffet für die Schönen und Reichen des Landes halbieren. Zuvor staffierte er seine Minister mit neuen Dienstwagen aus - sie fahren bald Toyota-Minivans statt deutscher Limousinen. Nach Jahrzehnten blutiger Kämpfe mit kommunistischen Rebellen kündigte er einen Waffenstillstand an und lässt die Armee mit Entschlossenheit gegen die Islamistentruppe Abu Sayyaf im Süden vorgehen. Den Nahverkehr der Hauptstadt Manila - ein Thema, über das landesweit gesprochen wird - hat er gewissermaßen zu seinem persönlichen Projekt erklärt. Und nicht zuletzt vermittelt Duterte den Philippinern, einer von ihnen zu sein. Denn seit dem Ende der Marcos-Ära in den 1980ern bekleideten stets Sprösslinge reicher und mächtiger Familien das höchste Amt des Landes. Duterte aber kommt aus einfachen Verhältnissen.

"Er scheint die Dinge in den Griff zu bekommen"

Auch Ole Nielssen, ein Däne, der auf der Insel Negros eine Tauchschule betreibt, hatte zunächst Angst bei der Vorstellung, dass jemand wie Duterte an die Macht kommen könnte. Inzwischen sagt er: "Ich hätte das nicht gedacht, aber er scheint die Dinge in den Griff zu bekommen und die Leute stehen hinter ihm". Nielssen ist seit sechs Jahren auf den Philippinen. Vor der Wahl hatte er noch darüber nachgedacht, das Land zu verlassen, falls "Dirty Harry" Präsident wird. Inzwischen sieht er die Dinge anders.

Fraglich ist jedoch, welches Erbe das derzeit blutige Vorgehen von Polizei und Bürgerwehren hinterlassen wird. Nach einem Bombenanschlag in Dutertes Heimatstadt Davao vergangene Woche ließ Duterte eine Art Vorstufe zum Kriegsrecht verhängen und lässt nun auch die Armee gegen Kriminelle vorgehen. Vom Präsidenten legitimierte Bürgerwehren und ein von höchster Stufe erlassener "Zustand der Gesetzlosigkeit" sind Mittel fernab der Rechtstaatlichkeit. Menschenrechtsorganisationen und Vereinte Nationen sind entsetzt von den derzeitigen Zuständen in dem Land. Fraglich ist, ob es Duterte gelingt, mit seinen drastischen Mitteln auf Dauer geordnete Verhältnisse herzustellen oder ob die Philippinen beginnen, sich in eine Spirale der Gewalt zu drehen.

Außerdem verscherzt es sich Duterte mit seinen internationalen Partnern - zuletzt mit US-Präsident Barack Obama, den er als "Hurensohn" bezeichnete und der daraufhin ein Treffen mit ihm absagte. Die ruppige Art mag viele Philippiner amüsieren - dem Land, das auf Hilfe von außen angewiesen ist, würde etwas mehr Diplomatie mehr helfen. Dieses Mal ging die Sache für ihn noch gut aus, ein Treffen kam trotz der Bemerkung zustande. Abzuwarten bleibt, wie sich Donald Trump oder Hillary Clinton mit seiner Art arrangieren können. Ein Bruch im Bündnis mit den USA wäre für die Philippinen, die von den Vereinigten Staaten gegenüber den Interessen Chinas im Südchinesischen Meer vertreten werden und aus den USA umfassende Unterstützung im Kampf gegen Abu Sayyaf erhalten, in jedem Fall zutiefst bedauernswert.

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