Jenem atomaren Inferno ist die nordkoreanische Führung heute einen Schritt näher gekommen. Am frühen Freitagmorgen hat sie auf ihrem Testgelände Punggye Ri offenbar einen Atomsprengkopf getestet. Die Detonation soll deutlich stärker gewesen sein als beim letzten Test im Januar dieses Jahres. Selbst in Deutschland war das Erdbeben messbar (Details zu den Messungen lesen Sie hier).
Nordkorea steht nun an der Schwelle zu einer Atommacht, sagt Hans-Joachim Schmidt von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung. Das werde man nicht mehr verhindern können, es sei nur noch eine Frage der Zeit. Eine Entwicklung, die durchaus absehbar war: Die insgesamt vier vorangegangenen Tests mit Atomsprengköpfen des Regimes waren nur Teilerfolge gewesen; da ist es logisch, dass noch ein fünfter folgen musste. War das nun Irrsinn oder Machtkalkül?
Politisch ist der erneute Atomwaffentest durchaus folgerichtig. "Kim Jong Un verfolgt keine irrationale, sondern sogar eine sehr rationale und konsistente Politik", sagt Eric Ballbach, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Koreastudien der Freien Uni Berlin. Diktator Kim hat seine Herrschaft auf zwei Säulen aufgebaut: einerseits die militärische Aufrüstung, andererseits den wirtschaftlichen Fortschritt des Landes. Dieses Prinzip der Byongjin-Politik hatte er erst auf dem Parteitag im Mai als Leitlinie ausgegeben.
Die atomare Aufrüstung ist dabei ein zentraler Bestandteil, mehr noch: "Für Nordkorea ist der Atomwaffentest nicht nur ein militärisches Projekt, es ist ein sinnstiftendes Projekt für die gesamte Nation", sagt Ballbach. Tatsächlich dient es dem Regime vor allem, die eigene Macht nach innen hin zu legitimieren. Die Erfolgsmeldungen sind wichtiges Propagandamaterial. Es soll das Volk stolz machen, schließlich befördert es das kleine Entwicklungsland in einen elitären Klub: den der Atommächte. Berichte über die Fortschritte des Programms helfen dem Regime zudem, das teure Projekt angesichts der bitteren Armut der Bevölkerung zu rechtfertigen.
Gleichzeitig will Kim seinen Militäroberen die eigene Stärke beweisen. Die USA und Südkorea haben in den vergangenen Monaten immer wieder gemeinsame Militärmanöver abgehalten. So probten die Staaten im März gemeinsam eine Erstürmung der nordkoreanischen Strände; 17.000 US- und 300.000 südkoreanische Soldaten waren an der Übung beteiligt. Mit dem erneuten Atomtest versucht Kim nun den Manövern etwas entgegenzusetzen, damit nicht der Eindruck entsteht, er lasse die gefühlten Provokationen einfach geschehen - gleichwohl er sie natürlich nicht verhindern kann.
Kim hofft zudem, damit die USA zumindest so weit abschrecken zu können, dass ihm das Schicksal des ehemaligen libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi erspart bleibt. Er war von einem internationalen Bündnis unter Führung der USA entmachtet - und dann ermordet - worden.
Niemand weiß, was als nächstes passiert
Macht die Angst davor Kim unberechenbar? "Unberechenbarkeit ist Teil der nordkoreanischen politischen Strategie", sagt Ballbach. Zwar suche Nordkorea oftmals symbolträchtige Termine für die Tests, doch lasse sich nicht mit Sicherheit sagen, was als nächstes passiert - oder wann - und auch nicht, was in den engen Zirkeln der Entscheider passiert. "Das bleibt uns völlig verschlossen." Zudem gilt Kim Jong Un als risikobereit. "Sein Vater hat darauf geachtet, dass Konflikte nicht eskalieren. Darauf können wir uns bei seinem jungen Sohn - der noch dazu als jähzornig gilt - nicht verlassen", sagt Schmidt.
Dass Kim Jong Un die Bombe tatsächlich abwerfen würde, glaubt Ballbach nicht. "Die nordkoreanische Führung ist nicht komplett abgekoppelt von internationalen Vorgängen. Sie weiß, wenn sie eine Atomwaffe wirklich einsetzen würde, wäre es das Ende des Regimes." Denn militärisch kommen sie nicht gegen andere Großmächte an. "Die Leute sind keine Wahnsinnigen. Sie kennen die Folgen genau."
Nordkorea hält sich nicht an internationale Regeln, und auch die Verwarnungen und Strafmaßnahmen der Vereinten Nationen haben bisher nicht zu einem Einlenken geführt. Die USA, Japan und Südkorea versuchen, das Land noch weiter zu isolieren - was aber nicht in letzter Konsequenz klappt, weil das Regime mit China immer noch einen mächtigen Verbündeten hat, der das Land etwa mit Nahrungsmitteln versorgt. 90 Prozent seines Außenhandels betreibt Nordkorea mit der Volksrepublik.
Zudem gibt es in der konservativen Führungsclique Chinas durchaus Vertreter, die sich ideologisch mit Nordkorea verbunden fühlen. Deshalb fällt der Druck aus dieser Richtung bislang eher bescheiden aus. "Solange China die Stabilität Nordkoreas wichtiger ist als das Atomprogramm, kann sich das Regime relativ sicher fühlen", sagt Schmidt.
Für Peking ist Nordkoreas Nukleartest dennoch eine Blamage. Am vergangenen Wochenende erst hatte China den G20-Gipfel in Hangzhou ausgerichtet und die angereisten Staats- und Regierungschefs an ihre Verantwortung für die Aufrechterhaltung des Weltfriedens erinnert. Nur drei Tage später erscheint China, das von allen G20-Staaten den größten Einfluss auf Nordkorea hat, nun selbst unfähig, dieser Verpflichtung nachzukommen.
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