Zwischenfälle wie dieser belegen immer wieder, dass das Anschnallzeichen über den Sitzen keine lästige Tyrannei von Sicherheitsfanatikern ist. Meist wackelt es beim Durchqueren von Turbulenzen nur ein wenig, und der größte Schaden ist ein verschütteter Kaffee. Doch gelegentlich können Kräfte wirken, die auch schwergewichtige Menschen bis an die Kabinendecke befördern.
Besonders tückisch für Bordcrew und Passagiere sind sogenannte Clear Air Turbulences, also Turbulenzen in wolkenfreier Luft. Sie kommen für den Piloten im wahrsten Sinne des Wortes aus heiterem Himmel und lassen nicht einmal mehr die Zeit, alle Reisende zu warnen. Die starken Bewegungen der Luftmassen sind durch keinerlei Hinweise zu erkennen.
Turbulenzen nehmen zu
Dr. Paul Williams, Atmosphärenforscher an der britischen Universität Reading, prognostiziert eine starke Zunahme der gefährlichen Turbulenzen. Verursacht durch den Klimawandel, werden sich die Verhältnisse in der Stratosphäre verändern, erklärt der Wissenschaftler dem britischen „Guardian“.
Auf der ganzen Welt gibt es Dutzende Todesfälle durch das Phänomen bei kleineren Flugzeugen, Hunderte Verletzte werden in größeren Passagiermaschinen gezählt. Die Anzahl stieg in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich an, und diese Entwicklung werde mit steigenden Kohlendioxidwerten weiter anhalten.
Das Treibhausgas sorgt in der üblichen Reiseflughöhe von 10.000 bis 12.000 Metern für Temperaturveränderungen, die wiederum Luftströme zwischen verschiedenen Schichten beschleunigen. Wenn diese ungleichmäßigen Strömungen zu Turbulenzen führen, können Kräfte entstehen, die auch eine Passagiermaschine zu ihrem Spielball machen.
Tausende Flugzeuge pro Jahr betroffen
Das starke und plötzliche Abfallen des Flugzeugs reißt nicht angeschnallte Fluggäste leicht aus den Sitzen. Laut Williams geraten Tausende Flugzeuge pro Jahr in derart schwere Turbulenzen. Die Kosten allein in den USA durch Verspätungen, Schäden und Flugunterbrechungen aufgrund des meteorologischen Effekts sollen bei rund 500 Millionen Dollar liegen.
Die US-Luftfahrtbehörde FAA dokumentierte schwere Unfälle durch Turbulenzen und stellte in der Zeit von 1982 bis 2003 eine Verdoppelung der Ereignisse fest. Mehrere andere Studien belegen die Zunahme der folgenschweren Turbulenzen, bestätigt Williams. Der Forscher selbst hat seine Einstellung zum Angurten bei Flügen auch erst nach dem Studium der verschiedenen Verletzungen durch die tückischen Luftlöcher geändert.
Warnsysteme in der Entwicklung
Während eine mittelfristige Änderung der Kohlendioxidemissionen durch politische Maßnahmen wohl nur schwer zu erreichen ist, könnten technische Innovationen Passagiere vor Schäden schützen. Bessere Algorithmen für die Voraussage meteorologischer Ereignisse werden entwickelt, doch noch reicht die erzielte Präzision für die folgenschweren Turbulenzen nicht aus.
Erfolg versprechender sind neuartige Sensorsysteme an Bord der Maschine, die mit ultraviolettem Licht arbeiten. Über die reflektierten Strahlen des UV-Lichts lässt sich kurzfristig ein Alarm auslösen, wenn die Maschine auf eine Luftturbulenz zusteuert.
Die Systeme müssten jedoch an allen Flugzeugen nachgerüstet werden. Und für die Luftfahrtbranche überschritten die Kosten dafür bislang die Summe, die für Schäden durch Turbulenzen aufgebracht werden muss. Laut Williams könnte sich dies aber demnächst ändern, denn das Problem der steigenden Kohlendioxidwerte wird sich vorerst nicht in Luft auflösen.
Quelle : welt.de
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