Die Türkei wird wie eine Diktatur geführt“

  27 Oktober 2015    Gelesen: 526
Die Türkei wird wie eine Diktatur geführt“
Die türkische Regierung geht weiter hart gegen kritische Stimmen vor. Wenige Tage vor den Neuwahlen wurde ein großes Medienunternehmen unter Zwangsverwaltung gestellt.
Sechs Tage vor den Neuwahlen hat ein Gericht in Ankara das Unternehmen Koza İpek Holding unter Zwangsverwaltung gestellt. Betroffen davon sind vor allem zwei TV-Sender (Bugün Gazetesi, Millet Gazetesi), zwei Zeitungen (Bugün TV, Kanaltürk) und ein Radiosender, die zur Holding gehören.

Grund für die Maßnahme sei die Führung des Unternehmens. Beanstandet wurde unter anderem, dass die selben Führungspersonen mehrere Unternehmen der Holding leiteten. Zudem sei die Zusammensetzung der Teilhaber von Koza İpek Holding „undurchsichtig“. Angeblich wurde auch beanstandet, dass die Unternehmensführung „auffällig fehler- und einwandfrei“ sei. Für ein Unternehmen dieser Größe sei das in der Türkei nicht normal. Die Maßnahme habe nichts mit der Pressefreiheit zu tun.

Der Vorstandsvorsitzende des Holdings, Akin İpek, war mit dieser Schilderung nicht einverstanden. Durch diese Maßnahme, die politisch motiviert sei, solle sein Unternehmen, das zu den reichsten in der Türkei zählt, „ausgeplündert“ werden: „Wir hätten in der Vergangenheit an allen staatlichen Ausschreibungen teilnehmen und alles, was wir wollten, erreichen können. Das haben wir aber nicht getan. Ich ziehe es vor, als ein besitzloser Mensch zu leben, anstatt Teil eines Pooles zu sein, in dem Verleumdung und Bestechung zum Tagesgeschäft gehören.“ Mit Pool meint İpek die regierungsnahen Medien und Unternehmen.

Seit einigen Monaten ist das Medienhaus und İpek persönlich im Visier der Regierung, weil sie den zunehmend autokratischen Kurs von Erdoğan kritisiert und der Hizmet-Bewegung nahe steht. Das wird sich jetzt wohl mit der Zwangsverwaltung ändern. Schon Anfang September waren mehrere Firmen des Konzerns durchsucht worden.

„Ideologie der Unterdrückung gibt Anlass zur Sorge und Angst“

Die Maßnahme der Regierung hat national und international für Empörung gesorgt. „Die Ideologie der Unterdrückung gibt Anlass zur Sorge und Angst“, erklärte Nazmi Bilgin, Vorsitzender des türkischen Journalistenverbandes. Empört zeigte sich auch der renommierte Jurist und der Vorsitzende des Verbandes der Anwaltskammern, Metin Feyzioğlu. „Niemand braucht den anderen anzulügen. Wir erkennen, dass der Saray oppositionelle Medien übernimmt.“ Mit „Saray“ ist Ak Saray gemeint, Sitz des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan.

Die auflagenstärkste türkische Tageszeitung Zaman solidarisierte sich mit Koza İpek mit einer Stellungnahme, die in der heutigen Ausgabe der Zeitung veröffentlicht wurde. Darin heißt es: „Es gibt kein Zurück von der Demokratie. Wir erleben eines der dunkelsten Tage unserer Demokratie. [...] Das Recht auf Eigentum und Pressefreiheit stehen unter dem Schutz unseres Grundgesetzes und des internationalen Rechts. Diese sind offen verletzt worden.“

Der Chefredakteur der Tageszeitung Cumhuriyet, Can Dündar, und CHP-Vorsitzender Kemal Kılıçdaroğlu statteten dem Medienhaus einen Solidaritätsbesuch ab. „Die Türkei wird wie eine Diktatur geführt. Wir werden gegen diese Unterdrückung gemeinsam kämpfen und sie gemeinsam abwähren. Wir werden uns niemals geschlagen geben. Diese Gebäude sind vergänglich. Auch diese Sender und Zeitungen. Aber wir werden immer hier sein und uns niemals ergeben. Egal, welcher Ansicht jemand ist und wie seine Vergangenheit aussieht“, sagte Dündar. Auch die US-Botschaft äußerte sich zu dem Fall. Die Maßnahme sei „besorgniserregend“, ließ die diplomatische Vertretung der USA mitteilen.

Die Unternehmensführung kritisierte, dass ein Teil der eingesetzten Zwangsverwalter aus dem regierungsnahen Medienhaus ATV komme, ein anderer verwandt mit einem AKP-Abgeordneten sei. Laut Gesetz müssen Zwangsverwalter unabhängig sein.

Das Unternehmen war in den vergangenen zwei Jahren immer wieder ins Visier der Regierung geraten. In den Medien tauchten Berichte über die Machenschaften der AKP auf – darunter Korruptionsfälle von Regierungsmitgliedern, Verhandlungen mit Terrororganisationen sowie illegale Waffenlieferungen an unbekannte Gruppen in Syrien.

EJN-Direktor widerspricht Erdoğan

Das Netzwerk Ethischer Journalismus (Ethical Journalism Network - EJN) verurteilte das Vorgehen. „Diese Maßnahme ist genau die Art von Verhalten, die zu einer internationalen Kritik führen wird. Es ist ein Kennzeichen von Intoleranz und einem Mangel an Respekt für Medienpluralismus, wenn eine Regierungspartei kritische Medien unter Zwangsverwaltung stellt, insbesondere so kurz vor Wahlen. Es ist ein regelrechter Skandal, der dem internationalen Ansehen der Türkei leider weiteren Schaden zufügen wird“, so Aidan White.

Erdoğan selbst hingegen vertrat zuletzt die Auffassung, dass die Türkei die „freieste Presse der Welt“ habe.

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