Von der Leyen trauert den Briten nicht nach

  16 September 2016    Gelesen: 1266
Von der Leyen trauert den Briten nicht nach
Verteidigungsministerin von der Leyen sieht nach dem Brexit die Gelegenheit gekommen, die europäische Verteidigungspolitik umzukrempeln. Eine Buchpräsentation bietet ihr eine Bühne, um für ihre Pläne zu werben.
Ursula von der Leyen klopft bei jedem dieser Worte auf den Tisch. Es gehe in der europäischen Politik nun darum, die realistischen (klopf), die machbaren (klopf), die pragmatischen (klopf, klopf) Schritte zu tun. Ihre romantischen Schwärmereien von den "Vereinigten Staaten von Europa" seien längst einem geschärften und nüchternen Blick gewichen, beteuert sie. "Wir überfordern die Menschen, wenn wir die ganz großen Bilder zeichnen."

Von der Leyen sitzt im Berliner Adlon-Hotel. Der Journalist Thomas Schmid ("Die Welt") hat sie eingeladen, um sein neues Buch über die Krise der Europäischen Union vorzustellen. Auch, wenn es in diesem Moment so wirken könnte, Schmid hat die CDU-Politikerin nicht bestellt, um kräftig auf den Tisch zu hauen und gegen die fortwährende Vertiefung der Gemeinschaft zu wettern. Sein Buch heißt zwar: "Europa ist tot." Doch das ist nur die Hälfte des Titels. Die andere heißt: "Es lebe Europa! Eine Weltmacht muss sich neu erfinden."

Von der Leyen sitzt vor allem hier, weil sie wie kaum ein anderes Mitglied der Bundesregierung ein Kind Europas ist. Die CDU-Politikerin kam in Brüssel zur Welt, lebte dort 13 Jahre, ist Tochter eines Politikers, der gern behauptete, die Römischen Verträge "mitgeschrieben" zu haben. Von der Leyen ist zudem Verteidigungsministerin und für Schmid damit die Idealbesetzung. Denn anhand dieses Ressorts lässt sich ein Grundproblem der EU besonders gut beleuchten: Die Diskrepanz zwischen der Regelungswut bei scheinbar bedeutungslosen Details und der großen Machtlosigkeit, wenn es um die Dinge geht, in der eine starke EU wirklich gebraucht wird.

Vorerst keine europäische Armee

Es ist kein Zufall, dass es in Schmids Buch ein Kapitel gibt, das mit einem Ausrufezeichen hervorgehoben ist: "Merkur und Mars: Mehr Außenpolitik!" Schmid wirft Brüssel und den Mitgliedstaaten vor, bei allen Entwicklungen wie eine Sekte stets nur mit der Binnenbetrachtung beschäftigt zu sein. Während in der Welt Krise auf Krise folgte, "ging man im Europäischen Haus des Friedens daran, mit der Nagelfeile noch die kleinsten Details der europäischen Verfassung, des europäischen Regelwerks und der europäischen Institutionen zu bearbeiten".

Von der Leyen stimmt mit ein, denn Schmids Anliegen ist ganz in ihrem Interesse. Sie ergänzt dessen Ausführungen um Beispiele: Der Kampf gegen den internationalen Islamismus, die Abwehr der Ebola-Gefahr – es gebe Bereiche, in denen die Menschen zu Recht fragen, was die europäische Antwort darauf sei. Sie sei erstaunt darüber gewesen, wie "brach" das Feld der europäischen Außen- und Verteidigungspolitik lag, als sie ihr Amt 2013 antrat. Das Missverhältnis dieser Machtlosigkeit zu überregulierten aber eher unbedeutsamen Lebensbereichen beschreibt von der Leyen als augenscheinlich und preist das Prinzip der Subsidiarität. Ihr (und auch Schmids) Credo: Europa muss sich auf das Wesentliche konzentrieren.

Von der Leyen hat sich längst daran gemacht, etwas gegen dieses Missverhältnis zu tun. Ganz gemäß ihrem Pochen auf realistische, machbare und pragmatische Lösungen ist sie von der Europa-Armee, einem sehr alten Konzept, das stets an nationalen Widerständen scheiterte, vorerst abgekehrt. Im neuen Weißbuch, den Eckpfeilern der deutschen Sicherheits- und Verteidigungpolitik, kommt diese Armee anders als noch im Koalitionsvertrag von Union und SPD nicht mehr vor. Von der Leyen setzt nun auf einen Weg, den einzelne Mitgliedstaaten nicht durch ein Veto versperren können.

Vorlage für den EU-Gipfel in Bratislava

In einer deutsch-französischen Initiative empfiehlt sie, ein gemeinsames militärisches Hauptquartier in Europa aufzubauen, Aufklärungssatelliten gemeinsam zu nutzen und in der Rüstungsproduktion und bei der militärischen Logistik zusammenzurücken. Das soll nicht durch eine großangelegte Vertragsänderung geschehen, die die Zustimmung aller Mitgliedsstaaten erfordert, sondern durch das Vehikel der sogenannten "ständigen strukturierten Zusammenarbeit", die diese Möglichkeit bereits auf Basis der Lissaboner Verträge einräumt. Entscheidend dabei: Wer mitmachen will, kann, wer nicht, muss es nicht. Das Mitmachen, das versichert sie, gelte auch für Nicht-EU-Staaten wie Norwegen.

Den Rückhalt der EU-Kommission hat die deutsch-französische Initiative. In seiner Rede zur Lage der Union am Mittwoch sprach sich Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker für ähnliche Schritte aus. Schon beim EU-Gipfel in Bratislava in dieser Woche könnte sich herauskristallisieren, wie viele Staaten sich mit von der Leyen auf diesen Weg begeben wollen.

Europa à la carte?

Die Verteidigungsministerin gibt sich angesichts des Brexit optimistisch. Großbritannien hatte bisher praktisch alle größeren Reformen der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik blockiert. Von der Leyen spricht nun von einem "Momentum", das es zu nutzen gelte.

Schmid und von der Leyen können der Schwerfälligkeit der EU - trotz ihres Beharrens auf die Konzentration auf das Wesentliche - etwas Positives abgewinnen. Die Schwerfälligkeit beschreiben sie als Begleiterscheinung einer Gemeinschaft, die sich nicht auf der Grundlage von Machtgefällen ordnet, sondern auf Verträgen und dem permanenten Ringen um den Kompromiss. Von der Leyen sagt: "Wir sind gelebte Rechtstaatlichkeit. Sowas finden sie kaum nochmal auf der Welt."

Doch diese Sichtweise führt zu einer Frage, in der von der Leyen und Schmid nicht einer Meinung sind. Der Journalist setzt auf ein "Europa à la carte", spielt mit Gedanken verschiedener Eurozonen, vorübergehenden Austritten und wirbt um einen versöhnlichen Umgang mit Großbritannien. Er fordert ein Partnerschaftsabkommen mit London, das nicht durch die Enttäuschung über das Nein der Briten zur EU geprägt ist.

Von der Leyen wird hier nicht sonderlich konkret, versucht aber eines deutlich zu machen. "À la carte heißt immer, dass es für denjenigen, der à la carte bestellt, teurer wird."

Nichtsdestotrotz ist der Auftritt für beide ein Gewinn. Für Schmid, weil er in von der Leyen eine Debattenpartnerin gefunden hat, die zu Recht etliche Journalisten zur Buchpräsentation lockt. Für die Ministerin, weil der Termin ihr rechtzeitig zum Auftakt des EU-Gipfels eine Bühne bietet, um für ihre Pläne zu werben. Das "Momentum" für eine neuen europäische Verteidigungspolitik, das der Brexit gebracht hat, soll auf keinen Fall in die Leere gehen.


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