Auch Warschau will vom Brexit profitieren

  17 September 2016    Gelesen: 503
Auch Warschau will vom Brexit profitieren
Viele internationale Großbanken haben in Polen mehr Mitarbeiter als an jedem anderen Standort auf dem Kontinent. Wächst dort ein neues Finanzzentrum?
Die Londoner Banker sind heiß begehrt. Wohin ziehen sie, wenn sie ihr Geschäft nach einem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union nicht mehr oder nur noch eingeschränkt von der Themse aus machen können? Frankfurt, Paris, Dublin oder Luxemburg; das sind die Finanzplätze, die jedem als Erstes in den Sinn kommen.

Mehr oder weniger etablierte Bankenzentren, die alle ihre Vor- und Nachteile haben. An Warschau denkt erst mal niemand. Dabei hat sich in Polen weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit über die vergangenen Jahre ein weiteres Zentrum gebildet, in dem viele internationale Banken schon heute Tausende Mitarbeiter beschäftigen.

Spardruck der Nachkrisenjahre
Als Anfang des Monats der stellvertretende polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki nach London reiste, um für sein Heimatland als künftiges „finanzielles Herz Europas“ zu werben, hatte er imposante Zahlen im Gepäck. So soll die amerikanische Großbank Citi Group 5000 Mitarbeiter in Warschau beschäftigen, die Royal Bank of Scotland 2000. Und auch die Schweizer Finanzkonzerne haben zuletzt in Polen kräftig Personal aufgebaut: Die UBS beschäftigt 3000 Mitarbeiter in Krakau, die Credit Suisse 4000 Mitarbeiter in Breslau. Alles in allem sollen in dem Land 200.000 Mitarbeiter in ausgelagerten Abteilungen internationaler Konzerne arbeiten, 50.000 davon bei internationalen Banken.

Es war vor allem der Spardruck der Nachkrisenjahre, der viele Großbanken dazu getrieben hat, in dem vergleichsweise günstigen EU-Land Standorte aufzubauen. Dort verlangen die Mitarbeiter weniger Gehalt, gelten aber als bestens ausgebildet. Von den Universitäten drängt reichlich Nachwuchs auf den Arbeitsmarkt, die Englischkenntnisse sollen gut sein. Und Büroflächen sind in den polnischen Städten auch weitaus günstiger zu haben als in den etablierten Finanzzentren in Westeuropa.

Verwaltungsbüros

Die amerikanische Investmentbank Goldman Sachs hat vor gut einem Jahr damit begonnen, ganze Abteilungen von England nach Warschau zu verlegen, um ihre Kosten zu drücken. Der Standort in der polnischen Hauptstadt, den die Bank erst 2011 eröffnete, soll innerhalb von drei Jahren mit 900 Mitarbeitern der größte in Kontinentaleuropa werden. Zum Vergleich: Am zweitgrößten Standort in Frankfurt arbeiten nur etwa 200 Mitarbeiter. Profitieren konnte Goldman Sachs jetzt schon von der Osteuropa-Strategie. Als die Bank im Juli ihre Halbjahresergebnisse vorlegte, glich unter anderem die Kostenersparnis durch den Umzug nach Warschau die mauen Geschäfte aus.

Doch Mannstärke allein ist freilich nicht alles im Spiel der internationalen Finanzzentren. Und wenn man sich ein wenig unter Bankern umhört, ob Warschau Chancen hat, das neue London zu werden, erntet man doch eher ein müdes Lächeln. Denn die Einheiten der internationalen Finanzhäuser in Polen mögen zwar groß sein, doch bislang fungiert das Land vor allem als ausgelagertes Backoffice der großen Finanzzentren. Dort werden die technischen und operationellen Verwaltungsaufgaben erledigt. Die Händler und Berater, die in direkten Kundenkontakt kommen, sitzen indes noch an den klassischen Finanzplätzen.

Insofern sei Warschau gar kein richtiges Finanzzentrum, sondern eher eine Werkbank, sagt ein Frankfurter Spitzenbanker. Warschau fehle alles, was etwa Frankfurt für Banken attraktiv mache: die gute und schnelle Erreichbarkeit von allen größeren Städten in der Welt, die Nähe zu den wichtigen Aufsichtsbehörden und der Europäischen Zentralbank oder auch die Größe der Volkswirtschaft. Ein Vertreter einer großen deutschen Bank verweist zudem auf die politischen und rechtlichen Unsicherheiten, die sich nach der Ministerpräsidentenwahl im vergangenen Jahr gezeigt hätten.

Und doch gibt es auch Stimmen, die darauf verweisen, dass mancher Bank ein großer Standort innerhalb der Union reichen würde; vor allem, da sie auch nach dem Brexit weiter viele Mitarbeiter in London behalten würden. Auch wenn in Polen nicht die direkten Bankgeschäfte erledigt würden, könnten die Geldhäuser vor den Aufsichtsbehörden so argumentieren, dass mit den Abwicklungsfunktionen ja zentrale Teile aller wichtigen Geschäfte in der EU abliefen.

Der polnische Vize-Ministerpräsident Morawiecki, der selbst früher bei dem spanischen Banco Santander gearbeitet hat, stellte den Banken in London immerhin schon einmal ansehnliche Rabatte in Aussicht, wenn sie in seinem Land größere Standorte ausbauen wollten. Auch spezielle Trainingsprogramme oder auf die Finanzwelt ausgerichtete Studiengänge könne sein Land anbieten. Die Liste der Finanzunternehmen, die auf seiner Londoner Besuchsliste standen, las sich in jedem Fall schon einmal wie ein Who’s who der Bankenwelt.


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