Berlin wählt, die CDU zittert

  18 September 2016    Gelesen: 500
Berlin wählt, die CDU zittert
Bei den heutigen Wahlen in Berlin geht es nicht nur um die Zusammensetzung des dortigen Abgeordnetenhauses. Es geht auch darum, ob Bundeskanzlerin Merkel weiter geschwächt wird.
Natürlich, es ist nur Berlin. Knapp 2,5 Millionen Wahlberechtigte gibt es in der Hauptstadt, das sind vier Prozent der Wahlberechtigten in ganz Deutschland. Und doch: Wenn die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus so ausgeht wie die letzten Umfragen nahelegen, dann wird sie erhebliche Auswirkungen auf die Bundespolitik haben - nicht zuletzt, weil die AfD dann in ein weiteres Landesparlament einzieht.

Die SPD, die in Berlin seit 2011 mit der CDU eine Koalition bildet, liegt in den fünf im September veröffentlichten Umfragen zwischen 21 und 24 Prozent. Das ist nicht berauschend, sollte aber reichen, um weiterhin den Regierenden Bürgermeister zu stellen.

Vor fünf Jahren hatten die Sozialdemokraten mit Klaus Wowereit an der Spitze mehr als 28 Prozent geholt, was damals gerade noch als ordentliches Ergebnis durchging. Sein Nachfolger Michael Müller, seit zwei Jahren im Amt, dürfte den sich abzeichnenden Einbruch trotzdem halbwegs unbeschadet überstehen. "Hauptsache, wir sind die stärkste Partei", heißt es in der Berliner SPD. Einen neuerlichen Machtkampf muss Müller nicht fürchten, auch wenn er im Wahlkampf so farblos geblieben ist, dass der "Tagesspiegel" schreibt, der Regierende Bürgermeister könne "mitten am Tag zu Fuß von der Friedrichstraße Richtung Brandenburger Tor marschieren – und niemand spricht ihn an".

Ähnlich wie vor zwei Wochen in Mecklenburg-Vorpommern dürfte das noch schlechtere Abschneiden der CDU vom bescheidenen Wahlergebnis der SPD ablenken. Keine der letzten Umfragen sieht die Union stärker als 19 Prozent. Wie Müller ist auch ihr Spitzenkandidat, Innensenator Frank Henkel, nicht für sein Charisma berühmt. Er wirkt viel zu freundlich, um Müller aggressiv anzugreifen. Außerdem hat er das Problem, dass die CDU keine realistische Machtperspektive hat: Die SPD setzt auf Rot-Grün oder Rot-Grün-Rot, für Schwarz-Grün oder gar Schwarz-Gelb gibt es nicht annähernd eine Mehrheit.

Kippt die Stimmung in der CDU?

Für die CDU wäre ein Wahlergebnis unterhalb der 20-Prozent-Marke ein Absturz. Vor fünf Jahren erreichte die Partei, ebenfalls mit Henkel, 23,3 Prozent. Das war nicht viel, aber immerhin ein Zuwachs im Vergleich zu 2006. Bis heute steckt der Berliner CDU der Bankenskandal des Jahres 2001 in den Knochen. Dazu kommen die üblichen Probleme der Union in Großstädten – wenn Angela Merkel nach den Gremiensitzungen der CDU an diesem Montag vor die Presse tritt, wird diese Interpretation sicher nicht fehlen. Allerdings wird Merkel kaum umhinkommen, einen Teil der Verantwortung zu übernehmen. Das hat sie schon nach der Wahl in Mecklenburg-Vorpommern so gemacht. "Natürlich hat das was mit der Flüchtlingspolitik zu tun", räumte sie vor zwei Wochen ein.

Bei der Wahlkampfabschlussveranstaltung der CDU hatte Henkel noch ausdrücklich gesagt, er sei froh, dass Merkel ihn unterstütze. Am Montag wird er im Konrad-Adenauer-Haus wieder neben Merkel stehen und vermutlich einen Blumenstrauß in die Hand gedrückt bekommen. Wenn er seinen Job als Landesvorsitzender der CDU behalten will, wird er versuchen, auf möglichst diskrete Art und Weise möglichst viel Verantwortung bei Merkel abzuladen. Für diese Sicht spricht einiges. Noch vor zwei Jahren sah eine Umfrage die Berliner CDU bei 30 Prozent. Die Montagskommentare aus der CSU kann man sich jetzt schon ausmalen.

Interessanter dürfte werden, ob ein Wahldebakel in Berlin die Stimmung auch in der CDU kippen lässt. Immerhin wäre es nach Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern für die Union bereits die vierte verlorene Landtagswahl in diesem Jahr - und in Sachsen-Anhalt blieb Ministerpräsident Reiner Haseloff ja auch nur dank einer Koalition mit SPD und Grünen im Amt.

Um ein Kippen der Stimmung zu verhindern, dürfte Merkel ihrerseits versuchen, zumindest einen Teil der Schuld auf Henkel abzuwälzen. Gründe dafür gibt es ebenfalls, der Haken ist nur, dass sie SPD und CDU gleichermaßen treffen. Nach fünfzehn sparsamen Jahren haben die öffentlichen Dienstleistungen des Landes Berlin einen katastrophalen Ruf. Termine für einen neuen Personalausweis oder die Anmeldung eines Kraftfahrzeugs können sich Berliner seit einem Jahr auf einem privaten Online-Portal kaufen. Eine Umfrage von RBB und "Berliner Morgenpost" ergab im Sommer, dass 79 Prozent der Eltern von Schulkindern den baulichen Zustand der Berliner Schulen als schlecht oder sehr schlecht beurteilt. Nach Beginn des neuen Schuljahres schaffte es die Senatsverwaltung nicht, den neu eingestellten Referendaren die Gehälter zu überweisen. Vor einem Jahr wurde die Dauerbaustelle BER-Flughafen als Symbol für Berliner Unfähigkeit vom Landesamt für Gesundheit und Soziales, kurz Lageso, abgelöst. Dort mussten Flüchtlinge teilweise mehrere Wochen warten, um einen Termin zu bekommen. Die Verantwortung dafür schieben sich SPD-Bürgermeister Müller und CDU-Sozialsenator Mario Czaja noch immer gegenseitig zu.

Die Opposition kann von alldem nur bedingt profitieren. Den Grünen werden 15 bis 18 Prozent vorausgesagt (2011 holten sie 17,6 Prozent), den Linken 14 bis 15 Prozent (11,7). Die derzeit außerparlamentarische FDP kann hoffen, die Fünf-Prozent-Hürde knapp zu überspringen, die Piraten, der Überraschungserfolg des Jahres 2011, tauchen in den meisten Umfragen gar nicht mehr auf und werden das Abgeordnetenhaus wohl verlassen müssen. Dafür wird die AfD in den ehemaligen Preußischen Landtag einziehen - den Prognosen zufolge mit rund 14 Prozent.

Für die von Müller angestrebte rot-grüne Koalition wird es damit nicht reichen, aber zusammen mit den Linken wäre eine stabile Mehrheit im Berliner Halbtagsparlament möglich. Ist das dann ein bundespolitisches Signal? SPD-Chef Sigmar Gabriel wäre es sicher recht, wenn es so verstanden würde.

Quelle: n-tv.de

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