Deutsche Angst kostet 200 Milliarden Euro

  22 September 2016    Gelesen: 676
Deutsche Angst kostet 200 Milliarden Euro
Die konservative Geldanlage hierzulande wird teuer bezahlt. Im Weltvermögensvergleich treten die Deutschen auf der Stelle. Andere sind im Sinkflug.
Bezüglich der Geldanlage ist kaum ein Volk so ängstlich wie die Deutschen. Nur in Österreich wird noch mehr Geld auf Bankkonten und noch weniger am Kapitalmarkt angelegt. Dies hat gerade im Niedrigzinsumfeld erhebliche Auswirkungen auf die Vermögensbildung.

Wie die Allianz in ihrem aktuellen Weltreichtumsbericht ausrechnet, hätten die Deutschen allein in den vergangenen vier Jahren ohne viel Aufwand 200 Milliarden Euro mehr Vermögen ansammeln können. Sie hätten dazu nur den Anteil ihres Vermögens auf den praktisch unverzinsten Bankkonten von 40 auf 30 Prozent reduzieren müssen und die frei gewordenen 10 Prozent in Aktien und Aktienfonds anlegen müssen. Die Gesamtrendite ihres Vermögens hätte sich von 3,4 auf 4,4 Prozent erhöht - in der Summe wären 200 Milliarden Euro zusammengekommen.

Mehr Aktien, mehr Rendite
Anzeichen für solche Umschichtungen gibt es hierzulande trotz der Niedrigzinspolitik allenfalls punktuell. Nur 6,5 Prozent ihres Geldvermögens haben die Deutschen in Aktien angelegt. Nur die Österreicher sind mit 4,5 Prozent noch zurückhaltender. Die Finnen halten hingegen ein Drittel ihres Ersparten in Aktien, die Spanier zu 22 Prozent und die Franzosen immer noch zu 14 Prozent. Im Ergebnis lag die Vermögensrendite der Österreicher daher mit 2,7 Prozent am Ende der Rangliste; Deutschland kam auf die genannten 3,4 Prozent, die Finnen allerdings auf 8,5 Prozent.

Durch ihr Anlageverhalten trifft das niedrige Zinsniveau die Deutschen auch besonders hart. Von der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) haben nämlich die Aktienkurse tendenziell profitiert, die Zinsen auf Sparkonten haben aber gelitten.

Anders als die Bundesbank sieht Michael Heise, Chefvolkswirt der Allianz, daher auch eindeutige Verteilungswirkungen der Geldpolitik: „Wertpapiere spielen für Vermögende eine größere Rolle und haben profitiert, während niedrigere Vermögen eher unter dem Zinsrückgang leiden.“ Dass die Geldpolitik konjunkturfördernde Aspekte habe, wie die Bundesbank meint, und dadurch auch weniger Vermögenden geholfen habe, sieht Heise nicht als erwiesen an. „Es sprechen keine Indizien dafür, dass die Geldpolitik größere konjunkturelle Effekte hatte.“

Insgesamt konstatiert die Allianz jedoch, dass die kursfördernde Wirkung der Geldpolitik langsam ausläuft. „Die Kapitalrenditen dürften die nächsten Jahre niedriger ausfallen“, sagt Heise. Im Jahr 2015 stieg das Vermögen in 53 untersuchten Ländern der Welt um 4,9 Prozent auf 155 Billionen Euro. In Deutschland betrug der Zuwachs 4,6 Prozent auf 5,5 Billionen Euro.

An der Spitze bleiben die Vereinigten Staaten mit einem Vermögen von 65 Billionen Euro. Das Wachstum betrug allerdings nur 2,4 Prozent. China holte damit weiter kräftig auf und kommt nach einem Wachstum um 18,3 Prozent nun auf knapp 20 Billionen Euro. Dritter ist Japan mit fast 14 Billionen Euro vor Großbritannien mit 8,6 Billionen Euro und dann folgt Deutschland auf Rang 5.

Je Einwohner bleibt die Schweiz allerdings vor den Vereinigten Staaten an der Spitze. Deutschland verharrt auf Rang 18. Frankreich und Italien haben in den vergangenen Jahren deutlich an Boden verloren, bleiben aber vor Deutschland. Schweden und Dänemark, aber auch Australien, Singapur und Taiwan haben deutlich gewonnen.

Der Aufholprozess vieler Schwellenländer führt zudem global zu einer vermehrten Verteilung von Vermögen. Zwar befindet sich das Vermögen mehrheitlich weiterhin in Besitz des oberen Zehntels. Die von der Allianz als Mittelschicht eingestufte Gruppe mit Nettogeldvermögen zwischen 7000 und 42.000 Euro (also Geldvermögen ohne Immobilien und abzüglich Schulden) wird reicher und wächst auch in der Personenzahl.

Allein in China sind in den vergangenen 15 Jahren mehr als 450 Millionen Menschen in diese Vermögensklasse hineingewachsen. Es gibt aber auch Absteiger. Dazu zählt insbesondere Frankreich, wo viele aus der oberen Vermögensschicht in die mittlere Vermögensklasse abgestiegen sind.

Deutsche Einheit hat Ungleichheit verstärkt
In Deutschland sind die Verhältnisse stabil, die Verteilung ist aber besonders ungleich. Dies wie auch die relativ schwache Vermögenssituation in Deutschland insgesamt wird mit der deutschen Einheit erklärt, als 16 Millionen neue Einwohner weitgehend ohne Finanzvermögen in der unteren Vermögensklasse hinzukamen und nur langsam Vermögen angesammelt haben.

Zudem ist aber auch die Altersvorsorge in kaum einem anderen Land so wenig am Kapitalmarkt orientiert wie hierzulande. Ansprüche an das Umlagesystem der deutschen Rentenversicherung sind in der Statistik nicht enthalten, da sie der Höhe nach ungewiss und zudem von politischen Entscheidungen abhängig sind.

Die Verschuldungsquote der privaten Haushalte ist hierzulande jedoch vergleichsweise niedrig. Darin sieht Heise einen Grund, warum Deutschland so gut durch die Krise gekommen ist und auch gute Zukunftsperspektiven hat. „Niedrige Verschuldung ist die beste Basis für Wachstum“, sagt der Chefvolkswirt. „Kreditwachstum mit allen Mitteln künstlich erzeugen zu wollen, führt zu hohen Risiken“, mahnt er die Geldpolitiker. „Hohe Schulden sind letztlich eine Wachstumsbremse.“

Dass Deutschland im europäischen Vergleich in den vergangenen Jahren aufgeholt hat, liegt aber auch an der guten Einkommensentwicklung vor allem dank der niedrigen Arbeitslosigkeit. Zudem legen die Deutschen einen besonders hohen Anteil ihres Einkommens zurück. Lag das deutsche Geldvermögen je Einwohner im Jahr 2006 noch 6000 Euro unter dem Durchschnitt im Euroraum, liegt es nun 2000 Euro darüber.


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