Islamische Verbände fühlen sich vorverurteilt

  28 September 2016    Gelesen: 595
Islamische Verbände fühlen sich vorverurteilt
Seit zehn Jahren gibt es die deutsche Islamkonferenz. Die Rolle der Mitglieder ist derzeit allerdings so umstritten wie nie in der Geschichte des Forums – das lässt sich auch beim offiziellen Festakt nicht kaschieren.
Innenminister Thomas de Maizière ist sichtlich bemüht, ausgleichend zu wirken. "Ich weiß, dass es im Moment super bequem ist auf Ditib einzudreschen", sagt der CDU-Politiker. Aber er sei nicht bereit die "erfolgreiche Arbeit" des größten deutschen Moscheenverbands der vergangenen zehn Jahre wegen der kritischen Debatten der vergangenen sechs Monate "in die Tonne zu kloppen".

De Maizière spricht beim Festakt, der das zehnjährige Bestehen der Deutschen Islam-Konferenz feiern soll. Ditib ist Mitglied des Forums, und es gibt wohl kaum schwierigere Zeiten für diesen Festakt.

Ditib ist der türkischen Religionsbehörde Diyanet unterstellt. Deswegen bestimmt Ankara, was in den Freitagsgebeten der knapp 900 dazugehörigen Gemeinden gepredigt wird. Auch die Imame werden aus der Türkei entsandt und bleiben in der Regel nur für ein paar Jahre in der Bundesrepublik. Insbesondere nach dem niedergeschlagenen Putsch in der Türkei geriet der Verband in Deutschland in die Kritik, weil er teils die Propaganda der türkischen Staatsführung ungefiltert nach Deutschland transportierte. Es gab sogar Berichte, dass ein Ditib-Imam den Angriff auf eine Einrichtung der Gülen-Bewegung gutgeheißen hat. Fethullah Gülen wird in Ankara für den Putschversuch verantwortlich gemacht und ist Staatsfeind Nummer eins.

"Politische Einflussnahme aus dem Ausland auf Deutschland unter Berufung auf die Religion können wir nicht akzeptieren", sagte de Maizière. Zugleich versuchte der Innenminister aber die Errungenschaften der Islamkonferenz, an der neben Ditib auch eine Reihe weiterer muslimischer Verbände beteiligt sind, zu loben.

Verbitterung bei muslimischen Verbänden ist groß

Erstmals war es 2006 gelungen, mit der Konferenz unter der Schirmherrschaft des damaligen Innenministers, Wolfgang Schäuble, ein Forum zwischen Vertretern des Islams und der Bundesregierung in Deutschland zu schaffen. Das Ergebnis der vielen, teils sehr kontroversen Debatten, die darauf folgten, ist unter anderem die Einführung des islamischen Religionsunterrichts in mehreren Bundesländern und fünf Universitäten, an denen islamische Theologie studiert wird. Derzeit wird über eine islamische Seelsorge in Krankenhäusern und Gefängnissen sowie islamische Wohlstandsverbände diskutiert.

Doch obwohl De Maizière versucht, die Erfolge, die auch Ditib anzurechnen sind, angesichts der Kritik nicht kleinzureden, ist dort die Verbitterung groß.

Es sei falsch, "Muslime als Vertreter ausländischer Mächte zu brandmarken und ihnen ihre Vertretungsrolle abzusprechen", sagt Ditib-Generalsekretär Bekir Alboga. Die engen Verbindungen seines Verbands zur Türkei versucht er zu rechtfertigen. "Ein dekultivierter Islam ist kein besserer, sondern allenfalls ein selbstbezogener, schwacher und anfälliger Islam", sagt er.

Auch der zweite große islamische Verband in Deutschland, der Zentralrat der Muslime, sieht sich in der Defensive. Die deutsch-islamische Publizistin Sineb El Masrar wirft dem Verband eine unheilvolle Nähe zu den Muslimbrüder und salafistischer Ideologie vor. Innenminister de Maizère fordert, dass sich die Verbände wieder öffentlichkeitswirksamer von islamistischem Fundamentalismus und islamistischer Gewalt distanzieren. Er habe Verständnis dafür, dass einzelne Muslime für sich behaupten, dass Islam und Terror nichts miteinander zu tun hätten und sich fragen, warum sie sich immer für jene entschuldigen müssten, die ihren Glauben instrumentalisierten. Er fügt aber hinzu, dass er von den Verbänden mehr erwarte. "Ich halte es für ratsam, die Sicherheitsdebatte künftig wieder intensiver und auch öffentlich zu führen."

Ayman Mazyek klagt unterdessen über eine "Misstrauensdebatte" und einen "Extremismusvorbehalt". Auf den Vorwurf, salafistische Ideen zu verbreiten, reagiert er mit einem Verweis auf die Größe seines Verbands. Dem Zentralrat gehören eigenen Angaben zufolge rund 10.000 Mitglieder aus verschiedenen Unterorganisationen an. Man müsse da für den Kurs einer "großen Breite" geradestehen, so Mazyek. Er verwies zugleich darauf, dass eine adäquate Auslegung des Islam, für die sein Verband stehen wolle, die beste Immunisierung gegen Islamismus darstelle.

Wer spricht für die Mehrzahl der Muslime?

Die Debatte über den Islam in Deutschland ist derzeit so aufgeladen wie wohl seit dem Anschlag auf das World-Trade-Center 2001 nicht mehr. Grund dafür sind nicht nur die antidemokratischen und antirechtstaatlichen Entwicklungen in der Türkei, denen angesichts der rund drei Millionen Deutsch-Türken in der Republik auch eine große Bedeutung in Deutschland beigemessen wird. Grund dafür ist auch die große Zahl an überwiegend muslimischen Flüchtlingen, die im vergangenen Jahr ins Land gekommen sind. An Anschlägen in der Bundesrepublik aber auch in anderen europäischen Staaten waren Terroristen beteiligt, die sich als Flüchtlinge ausgegeben hatten. Dabei gerät in der hitzigen Debatte schnell in Vergessenheit, dass es der sogenannte Islamische Staat (IS) darauf anlegt, die Staaten, die Flüchtlinge aufnehmen und die Asylsuchenden gegeneinander auszuspielen. Denn gelingt es ihm, die Gesellschaften Europas gegen muslimische Flüchtlinge aufzuwiegeln, fällt es dem IS leichter, das Bild eines Religionskrieges zu zeichnen und Sympathisanten zu gewinnen.

Kritisch beäugt wird das Wirken der Islamkonferenz noch aus einem anderen Grund. Im Leitungsgremium der Konferenz sind nur noch Verbandsvertreter organisiert. Dabei sind nur 25 Prozent der Muslime in der Bundesrepublik in Verbänden organisiert. Die stehen in der großen Mehrzahl zudem für einen eher konservativen religiösen Kurs und verfügen über Strukturen, die zumindest zum Teil in Staaten wie der Türkei oder Saudi-Arabien verankert sind. Liberale Einzelvertreter, die sich als Sprachrohr der Mehrheit der Muslime in Deutschland sehen, jenen, die nicht in Verbänden organisiert sind, spielen dagegen keine Rolle mehr. Einige dieser früheren Mitglieder werfen den Verbänden vor, ihnen unbequeme kritische Themen wie die Rolle der Frau im Islam oder die Radikalisierung von Jugendlichen allzu gern auszusparen.

Die Verbände weisen die Vorwürfe zurück und sprechen wiederum den Einzelvertretern die Fähigkeit ab, für die stille Mehrheit der Muslime, die nicht organisiert sind, sprechen zu können.

An diesem Punkt gibt sich de Maizière an diesem Tag ausnahmsweise nicht sonderlich ausgleichend. Als CDU-Politiker müsse er sich auch ständig fragen lassen, ob er eigentlich noch Mitglied einer Volkspartei sei, wen die Union eigentlich vertrete. "Ich muss das ertragen", sagt der Minister und fordert die Verbände in der Islamkonferenz auf, bei diesem Punkt nicht so "mimosenhaft" zu sein. Das Problem, dass die Bundesregierung in der Islamkonferenz nur mit Vertretern einer Minderheit der Muslime in Deutschland verhandelt, löst weniger "Mimosenhaftigkeit" allerdings auch nicht. Wie es gelingen kann, die Muslime in all ihrer Heterogenität in ein Diskussionsforum einzubinden ist auch nach zehn Jahren Islamkonferenz, eine Frage, auf die es keine abschließende Antwort gibt.

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