Doch diesmal ist das anders. Das Ehedrama der Jolie-Pitts geht weit über flüchtiges Entertainment hinaus, es ist richtig großes Kino. Die ersten Gerüchte über den Grund des Unglücks – Brad Pitt trinkt, raucht und flucht im Privatflugzeug – hörten sich so sensationell wie oberflächlich an. Welche Hollywood-Ehe zerbricht schon trocken?
Doch nach und nach schürft die Boulevardpresse tiefer. Und was dort, in den Tiefebenen der schillerndsten Ehe der Welt zutage tritt, ist so menschlich wie tragisch. Da wird dem Publikum ein geradezu epischer Einblick gewährt in die Natur des Menschen. Und der Zuschauer lernt – ganz im Sinne der großen griechischen Tragödie –, dass niemand zufrieden ist mit dem, was er hat, und mit dem, was er ist. Das Leben ist ungerecht, und zwar so ausnahmslos ungerecht, dass damit wieder eine Art absurde, ausgleichende Gerechtigkeit hergestellt wird.
Sehnsucht nach etwas anderem
Zugrunde liegt dem Eheaus offenbar Angelina Jolies unstillbare Sehnsucht danach, jemand anders zu sein, als sie ist. Was an sich schon ein Wahnsinn ist. Schließlich sehnt sich die ganze Welt danach, so zu sein wie Angelina Jolie. Doch laut einschlägiger, nie mit Namen benannter Quellen will sie die neue Prinzessin Diana werden. Das Original wiederum – um den Kreis der Unzufriedenen zu schließen – wünschte sich zu Lebzeiten nichts mehr, als ihrem goldenen Käfig zu entkommen und so normal zu sein wie der Rest der Welt.
Doch der Reihe nach: Dass Angelina Jolie sich schon mehrmals neu erfunden hat, weiß man. Die widersprüchlichen Rollen, die sie im Leben gespielt hat – eine extremer als die andere – sind Teil ihrer Faszination. Als Hollywood und die Klatschpresse auf sie aufmerksam wurden, war sie ein labiler Teenager am Rande des Wahnsinns.
Sie kombinierte ihre Schönheit mit einem beispiellosen Hang zur Selbstzerstörung und behauptete, sie konsumiere harte Drogen – am liebsten Heroin –, habe einen Auftragsmörder auf sich selbst angesetzt und liebe blutigen Sadomasochismus. Sie heiratete zweimal jung, ließ sich scheiden, und als das Spiel mit Sex und Gewalt seinen Reiz zu verlieren drohte, begann sie, Kinder zu adoptieren.
Aus Angelina, der Überwilden, wurde Angelina, die Übermutter. Sie zähmte sich sozusagen selbst. In Brad Pitt fand sie den Vater, der das neue, extrem schöne Bild vervollkommnete. Sechs Kinder bekamen sie zusammen – drei eigene und drei adoptierte. So wurden sie die berühmteste Familie der Welt.
Die Frau, die tragisch scheitern kann
Doch wie jede tragische Figur – oder anders ausgedrückt: wie jeder Mensch – wollte Angelina Jolie mehr. Diesem Gefühl zu folgen, bedarf einer Menge Mut. Die meisten trauen sich nicht und werden unzufrieden. Angelina dagegen wagte sich wieder auf neues Terrain – und scheiterte, zumindest auf den ersten Blick, spektakulär.
Als Drehbuchautorin und Regisseurin landete sie drei grandiose Flops. Es waren ernste, schwere Filme, die kaum jemand sehen wollte: „In the Land of Blood and Honey“, „Unbroken“ und das Ehedrama „By the Sea“. Der Durchbruch zur Überregisseurin gelang ihr damit, so viel lässt sich sagen, nicht.
Dafür passierte etwas anderes, praktisch als Nebeneffekt: Einer Britin bosnischer Herkunft, die als Bürgerkriegsflüchtling nach Großbritannien gekommen war und sich dort bis in Außenministerium als Beraterin hochgearbeitet hatte, gefiel Jolies erster Film. Sie überredete Außenminister William Hague zu einer offiziellen Vorführung im ehrwürdigen Foreign and Commonwealth Office.
Einmal die Welt verbessern, bitte
Und der Rest, wie es heißt, ist Geschichte: An diesem Abend im Jahr 2012 begann Angelina Jolies dritte Verwandlung. Sie hatte zwar schon zuvor als Sonderbotschafterin für die Uno gearbeitet und sich für Frieden eingesetzt. Doch nun verwandelte sich der Wunsch, den viele Stars und Sternchen hegen, die Welt zu verbessern, in konkretes Engagement. An diesem Abend im Gespräch mit dem britischen Außenminister verwandelte Angelina Jolie sich in eine Politikerin.
Von nun an sah die Welt sie hauptsächlich in Krisengebieten, wo sie mit Opfern sexueller Gewalt redete, oder in Konferenzräumen, wo sie an der Seite von Machthabern Pressekonferenzen gab. Für ihren Einsatz verlieh die Queen ihr einen Orden und die London School of Economics eine Gastprofessur. Doch damit ist ihr Ehrgeiz nicht gestillt. Es heißt, sie wollte entweder Uno-Generalsekretärin oder US-Senator oder Mitglied des britischen Oberhauses werden oder – wie gesagt – Prinzessin Diana.
Ein selbst erklärter Freund kolportierte der britischen Presse: „Dianas Leben hat sie in allen Einzelheiten studiert und meint, dass sie ihre Arbeit fortsetzen kann.“ Zu diesem Zweck verfolge sie das geheime Ziel, in die königliche Familie einzuheiraten: „Sie hat Prinz Andrew auf ihrem Radarschirm.“
Dieses Gerücht ließ sich zwar bislang nicht bestätigen – doch allem Anschein nach passt Brad Pitt nicht mehr in das neue Leben. Es heißt, dass er sich stört an den Beraterinnen, die Jolie engagiert hat, um ihre politische Karriere voranzutreiben. Außerdem missfallen ihm die endlosen Reisen ins Elend, auf die Angelina die Kinder mitnimmt, weil sie findet, das sei gut für ihre Entwicklung.
Wechsel vom sexiest man zum unsexiest man
Und schließlich gibt es bereits einen neuen Mann an Jolies Seite. Einen, der kaum weniger geschaffen sein könnte für diese Rolle. Der Sex-Appeal von William Hague, dem ehemaligen britischen Außenminister, ist in der deutschen Politik etwa mit dem von Peter Altmaier zu vergleichen. Hague ist das Gegenteil eines Frauenschwarms. Doch er ist jetzt Vorsitzender des britischen Oberhauses. Im vergangenen Jahr hat er sein Unterhausmandat niedergelegt, weil er mehr Zeit mit Angelina Jolie im Kampf gegen sexuelle Gewalt im Krieg verbringen will.
Das ungleiche Politpaar hat die „Prevent Sexual Violence Initiative“ gemeinsam gegründet, hat eine von 125 Staaten besuchte Anti-Vergewaltigungskonferenz in London gemeinsam organisiert und wird gemeinsam an der London School of Economics lehren.
Eine Partnerschaft, die über das Politische hinausgeht, wird William Hague und Angelina Jolie nicht nachgesagt. Doch es dürfte außer Frage stehen, dass es in der Tragödie der weltbewegenden Scheidung zumindest einen gibt, der zufrieden ist mit seinem Los. Der blasse, kahlköpfige William Hague will wohl derzeit mit ziemlicher Sicherheit niemand anderes sein als William Hague.
Quelle : welt.de
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