Miss Normas große Fahrt durch Amerika ist zu Ende

  05 Oktober 2016    Gelesen: 680
Miss Normas große Fahrt durch Amerika ist zu Ende
Eine 90 Jahre alte Großmutter erfuhr, dass sie Krebs hat. Sie reiste mit einem Wohnmobil durch die USA – und entzückte Hunderttausende bei Facebook. Dabei ging es auch um Liebe zu Bier und Kuchen.
Als Norma Bauerschmidt zwei Tage nach dem Tod ihres Mannes erfuhr, dass sie unheilbar krank an Gebärmutterkrebs erkrankt sei, gaben ihr die Ärzte drei Optionen, um ihr Leben so erträglich wie möglich zu machen: sofortige Operation, Chemotherapie und Bestrahlung.

Norma Bauerschmidt wollte von all dem nichts hören. Sie hatte gerade gesehen, wie ihr Mann, mit dem sie seit 67 Jahren verheiratet war, qualvoll an Krebs gestorben war. Das wollte sie am eigenen Leib nicht auch erleben. Norma hatte eine andere, in ihren Augen bessere Idee: „Ich bin 90 Jahre alt“, soll die Frau aus Michigan damals ihrem Hausarzt trotzig gesagt haben. „Ich gehe lieber auf Reisen.“

Was dann folgte, war ein Trip, von dem andere ihr ganzes Leben nur zu träumen wagen. Norma bestieg das elf Meter lange Wohnmobil ihres Sohnes Tim und dessen Frau Ramie und fuhr mit den beiden einmal kreuz und quer durch Amerika. Die Reise ihres Lebens dokumentierte die Schwiegertochter unter dem Titel „Driving Miss Norma“ auf Facebook.

Mehr als 450.000 Fans, darunter Erfolgsautor Paulo Coelho, der „seine Liebe“ an Miss Norma und ein Foto von sich postete, verfolgten die Seite am Ende und machten Norma nicht nur zu einer Berühmtheit im Internet, über die amerikanische Zeitungen und Fernsehanstalten berichteten. Für viele Leser wurde Norma auch so etwas wie eine Ikone des Lebensmutes, eine Frau, die trotz fataler Diagnose ihr Leben bis zum Ende genießen wollte.

Am vergangenen Freitag ist Norma Bauerschmidt im Alter von 91 Jahren gestorben, in einem Hospiz auf der Pazifikinsel San Juan vor der Küste des US-Bundesstaates Washington, wo sie im vergangenen Monat zum ersten Mal in ihrem Leben noch Orca-Wale gesehen hatte. Sie hatte länger gelebt, als ihr die Ärzte prognostiziert hatten. Und das ohne Operation, ohne Chemotherapie oder Bestrahlung.

„Leben ist das Gleichgewicht zwischen Festhalten und Loslassen“, schrieben ihr Sohn und Schwiegertochter in einer letzten, gemeinsamen Botschaft auf Facebook. „Heute lassen wir los.“

Mann, Pudel und ein weiterer Gast

Doch bevor es so weit war, konnte Norma auf eine Reise zurückblicken, die im August 2015 in Presque Isle, ihrer 1700 Einwohner zählenden Heimatstadt am Oberen See an der kanadischen Grenze und sieben Autostunden nördlich von Chicago, begonnen hatte.

„Ich glaube, ich komme mit euch mit“, erinnerte sich Ramie später an die Worte ihrer Schwiegermutter, als die von dem Gespräch mit ihrem Arzt zurückkam. Die 50-Jährige und ihr Mann Tim waren gerade mit dem Packen ihres Wohnmobils beschäftigt. Zusammen mit ihrem Pudel Ringo wollten sie in den Urlaub und nahmen ihren weiteren Gast spontan auf. Ein Trip von mehr als 21.000 Kilometer, der sie durch insgesamt 32 Bundesstaaten führte und zu 75 Orten sowie Sehenswürdigkeiten.

„Sie hat die Präsidenten bewundert“, schrieb Ramie in einem ihrer Berichte über das erste Ziel der „Fantastischen Vier“, wie sie sich mit Hund nannten. Das war Mount Rushmore in South Dakota, wo vier Präsidenten Amerikas in Fels gemeißelt wurden. Danach ging es weiter in den Yellowstone-Nationalpark, wo Norma zum ersten Mal in ihrem Leben Bisons sah und den speienden Geysir „Old Faithful“ bestaunte. Anschließend ging es entlang der Rocky Mountains nach Arizona zum Grand Canyon.

Doch nicht nur die Nationalparks und die Sehenswürdigkeiten schienen Norma zu begeistern. Auch an ihre erste Pediküre, die sie irgendwo im Bundesstaat Georgia bekam, konnte sie sich später erinnern, genauso wie an das Pflücken von Haselnüssen in Oregon oder das Hummeressen in Maine. Und natürlich an die verschiedenen Biersorten, die sie auf dem Trip probierte, und die vielen Stücke Kuchen.

„Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich jemals so viel Bier getrunken und Kuchen gegessen habe“, sagte sie. Das konnte auch die Schwiegertochter bestätigen. „Sie hat zwischendurch sogar an Gewicht zugenommen“, sagte Ramie später einmal über Normas Liebe fürs Süße.

„Mit 90 noch einmal so viel Spaß“

Als sie losgefahren seien, habe die eher kleine Frau knapp 42 Kilogramm gewogen, zwischendurch habe die Waage sogar einmal 49 Kilogramm gezeigt. „Man hat den Eindruck, sie wird jeden Tag gesünder“, sagte Ramie während des Trips gegenüber dem TV-Sender ABC. „Sie isst gut, ist immer an der frischen Luft und vor allem mit den Menschen zusammen, die ihr am wichtigsten sind.“

Als Reporter Norma selbst fragten, was ihr am besten gefallen habe, fiel ihr oft spontan eine Heißluftballonfahrt in Florida ein. „Das war großartig“, sagte sie. „Mein Mann und ich haben davon immer geträumt.“ Leider habe es nie geklappt.

Meistens schien sie aber dort glücklich zu sein, wo sie gerade war, am Golf von Mexiko, auf dem Flugzeugträger „USS Gerald Ford“ in Ohio, im French Quarter in New Orleans, in Disney World in Florida oder an den Niagarafällen im Bundesstaat New York. „Mir gefällt es genau hier“, antwortete sie auf die Frage von Fans auf der Straße, wo es denn am schönsten war. „Ich hätte nie gedacht, dass ich mit 90 noch einmal so viel Spaß haben könnte.“

Die Reise erweckte Miss Norma wieder zum Leben

„Ich habe meine Mutter noch nie in ihrem Leben so viel lachen gesehen“, erzählte auch der 58 Jahre alte Sohn Tim später. Sie sei nach dem Tod ihres Mannes sehr traurig gewesen. Doch die Reise habe sie wieder zum Leben erweckt. „Ich konnte wieder das Funkeln in ihren Augen sehen, was ich so lange schon an ihr vermisst hatte.“

So schien das auch eine glückliche Norma selbst zu sehen. Sie soll bis wenige Wochen vor ihrem Tod, als auch das Reisen für sie immer mühsamer wurde, nicht einmal beim Arzt gewesen sein.

„Du kannst die Uhr nicht zurückdrehen“, schrieb sie auf der Facebook-Seite „Driving Miss Norma“. „Aber du kannst sie definitiv wieder aufziehen.“

Quelle : welt.de

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