Gotteskrieger im ÖPNV

  30 Oktober 2015    Gelesen: 504
Gotteskrieger im ÖPNV

Die US-Serie "Homeland" spielt jetzt in Berlin. Was erzählt der amerikanische Blick über Deutschland?

Ein Mann verlässt den U-Bahnhof Eisenacher Straße in Berlin-Schöneberg und tritt auf die Grunewaldstraße, welche er zügig durchmisst. Er erreicht einen Nachtclub, in dessen Hinterzimmer er dann den Zentralrechner der Berliner CIA-Niederlassung hackt. Bei der aktuellen, fünften Staffel von Homeland, die seit vier Wochen zu sehen ist, interessiert einen denn auch weniger der CIA-Hack als der Umstand, dass dieser Nachtclub tatsächlich an der Grunewaldstraße liegt und dass man tatsächlich am besten mit der U7 bis Eisenacher Straße fährt, um ihn zu erreichen. Das ist schon ganz schön naturalistisch, wenn man bedenkt, wie oft man sonst in Film und Fernsehen aus New Yorker Kneipen auf Straßen von Toronto tritt oder eine Verfolgungsjagd in Long Beach unvermittelt auf dem Santa Monica Boulevard endet. Mit Berlin geht Homeland fast aristotelisch um.

Das Augenmerk dieser Staffel liegt beim deutschen, zumindest Berliner Zuschauer eher auf den Bildern dieser Stadt, die man ja nicht so oft aus der Perspektive einer amerikanischen Topserie zu sehen kriegt – und weniger auf den üblichen fintenreichen Scharmützeln zwischen Terrorscheichs und innerlich zerrissenen CIA-Agentinnen. Auch wenn sich der Fokus auf die Stadt im Laufe der Staffel in dem Maße verliert, wie sich der Plot verdichtet: Homeland liebt an Berlin vor allem den öffentlichen Nah- und Fernverkehr, städtische Bahndämme und Hochbahntrassen. Ob in Kreuzberg, Neukölln, Prenzlauer Berg oder am Hackeschen Markt: Immer ziehen S- und U-Bahnen, die schmucken gelben Trams oder ICEs der verschiedensten Generationen strukturierende Linien durchs Chaos der Berliner Architektur. Nicht für landmarks – nur einmal ist kurz das "Brandenburg Gate" zu sehen – und signature buildings, für einprägsame establishing shots oder pittoresken Berliner Hipsterkitsch interessiert sich die Kamera; sondern für eine Stadt des wohlgeordneten Gewusels, dem dann das ungeordnete Gewusel von Flüchtlingen in libanesischen Camps gegenübergestellt wird.

Die "new Germans" sind dem alten CIA-Fahrensmann Saul Berenson indes ein Rätsel: Früher seien sie so versessen aufs Kämpfen gewesen, heute seien sie so soft und ritten immer auf ihrem Rechtsstaat rum. Amerikanische Internetkommentare ergehen sich zustimmend in großer Zahl über die verdammte europäische Softness und ihr Menschenrechtsgedusel. Ein geheimes deutsch-amerikanisches Programm war bei dem Schöneberger Hack aufgeflogen. Weil die Deutschen so strenge Datenschutzgesetze haben, können sie die Dschihadisten nicht beobachten, die alle Augenblicke Kreuzberg hochjagen wollen. Also muss der BND, geleitet vom brillant fahrigen Martin Wuttke, doch meistens sehr amtlich von Nina Hoss vertreten, mit den Amerikanern zusammenarbeiten. Nach dem Hack und der Veröffentlichung der geheimen Zusammenarbeit müssen die Amerikaner ihren Botschafter abberufen, um die verletzten Deutschen zu beruhigen – nicht sehr plausibel, da bekanntlich kein Portier und keine Reinigungskraft die Abhörzentrale am Pariser Platz wegen der Snowden-Enthüllungen räumen musste.

Überhaupt ist das verantwortungslose Gutmenschentum mal wieder an allem schuld: Der deutsche Philanthrop mit Nazi-Großvater, Otto Düring (Sebastian Koch), für den die CIA-Aussteigerin Carrie Mathison (Claire Danes) mittlerweile arbeitet, gibt seine Millionen nur an muslimische Organisationen – und die bedrohen halt meistens den Staat Israel. In der aktuellen Flüchtlingssituation holen diese humanitär-besoffenen Deutschen nun auch noch stapelweise Gotteskrieger in ihr öffentliches Nahverkehrsparadies. Die CIA kommt mit dem Stopfen der Sicherheitslücken durch großzügig präventives Hinrichten von Kopftuchfrauen kaum hinterher – der sexy-dämonische Quinn (Rupert Friend) operiert statt in Afghanistan nun in den Dunkelzonen von Kreuzkölln.

Deutschland ist aber eben nicht nur der Ort der Handlung, es ist auch der Drehort, und Verschränkungen zwischen dem einen und dem anderen sind ganz offensichtlich erwünscht. Eine Soundcollage aus vorwiegend deutschen O-Tönen, darunter höchst aktuelle Merkel-Sätze, untermalt den Vorspann. Und dass auch das in Babelsberg nachgebaute libanesische Flüchtlingslager auf deutschem Boden steht, hat dann zu den Graffiti-Streichen geführt, die so geräuschvoll wie PR-trächtig durch die Presse gingen. Geheuerte, der arabischen Schrift mächtige Graffiti-Experten hatten sich als Aktivisten entpuppt und statt nichtssagender Glaubensbekenntnisse arabische Schmähungen der Serie an die Wände gesprüht, darunter die, dass Homeland rassistisch sei. Auch wenn man die holzschnittartige Darstellung des muslimischen Feindes nicht unbedingt rassistisch nennen muss: Bös und verkürzt ist sie, wie immer in Them-and-us- Dramaturgien. Die ist bei aller sophistication durch Empathie-Inseln auch für die Dynamik von Homeland zentral, das seine Position schon im Titel unzweideutig klarmacht; auch wenn Carrie in einem bipolaren Rückfall von den toten Seelen ihrer zahlreichen muslimischen Opfer heimgesucht wird.

Doch erkennbar wichtiger als Ideologie ist der Serie, dass sie Gesprächsstoff generieren will. Auch wenn die viel gerühmten Fernsehserien neuen Typus in letzter Zeit eher durch einen quantitativen als einen qualitativen Boom in Erscheinung getreten sind, bleiben sie konkurrenzlos als kultur- und klassenübergreifende, Nischen und Spezialistentum überwindende Ressource von Konversationsmaterial. Durch nichts lässt sich eine Büroparty ebenso gut wie die ästhetische Seminardebatte beleben wie durch den Austausch von Serienbeobachtungen. Ihre Diagnosen dürfen zwar das in den USA Vorstellbare nicht überschreiten, ansonsten sollen sie aber plural sein und sich auf möglichst viele, nie vollends unmenschliche, gern aber zwiespältige Charaktere verteilen – dieses Rezept haben die meisten Serien verstanden: Multipliziert die Zugänge, aber bleibt im amerikanischen Rahmen! Die Bilder dürfen da schon eher mal über die Stränge schlagen: Sie zeigen ja eine andere Welt. Berlin ist da ganz hübsch zu einem unübersichtlichen Zwischenreich, zur Grenzzone geworden und liefert jene gute alte Intransparenz und shadiness, die zu einem Geheimdienstplot gehört.


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