Afrikaner drängen nach Europa

  10 Oktober 2016    Gelesen: 1783
Afrikaner drängen nach Europa
Kriege, Umweltkatastrophen, bittere Armut: Es gibt viele Gründe, um aus Afrika nach Europa zu fliehen. Zehntausende Flüchtlinge werden in diesem Jahr erwartet - und die Zahlen könnten in Zukunft rapide steigen.
Ein Ziel der Reise von Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Afrika ist es, auszuloten, wie man afrikanischen Ländern bei der Eindämmung der illegalen Migration helfen kann - auch im Eigeninteresse. Denn in diesem Jahr werden 130.000 bis 140.000 Migranten und Flüchtlinge erwartet, die über Nordafrika und das Mittelmeer in die EU kommen. Das klingt angesichts der Zahlen des Jahres 2015 gering. Aber im Hintergrund steht ein enormer Bevölkerungszuwachs auf dem afrikanischen Kontinent in den kommenden Jahren - bis zu 2,6 Milliarden Menschen im Jahr 2050.

Deshalb will die EU mit etlichen Staaten Migrationsabkommen abschließen. Neben den nordafrikanischen Staaten Ägypten und Tunesien stehen dabei diejenigen Länder im Mittelpunkt, aus denen die meisten Asylbewerber kommen. Von Januar bis September 2016 waren dies aus Nigeria etwa 25.000, aus Ghana 8000, Senegal 6500 und Mali 6500. Dazu kommen Länder wie Niger, das zentrales Transitland für die Migration nach Norden geworden ist. Auf dem EU-Afrika-Gipfel im November 2015 wurde vereinbart, dass die Kommission nun Migrationsabkommen aushandeln soll. Aber Länder wie Deutschland, Frankreich und Italien, die beim Flüchtlingsthema aufs Tempo drücken, wollen auch bilaterale Hilfe vor allem für Mali und Niger vorantreiben. Doch bereits zu Beginn der Merkel-Reise wurde in Mali klar, wie kompliziert die Lage ist.

Zumindest eine kurzfristige Ursachenbekämpfung ist schwierig, wenn Kriege, aber auch Umweltkatastrophen wie am austrocknenden Tschad-See Fluchtbewegungen auslösen. Die allermeisten Flüchtlingen werden dabei wie auch im Falle Malis von den jeweiligen Nachbarsstaaten aufgenommen - nur ein Bruchteil kommt überhaupt nach Europa. Aber erleichtert wird der Weg an die Mittelmeerküste in Nordafrika auch dadurch, dass es auf dem afrikanischen Kontinent eine weitgehende Reisefreiheit gibt. Den Stempel "illegal" bekommen Migranten meist erst mit dem Eintritt in die EU. Malier etwa können ohne Visum und ohne Probleme nach Algerien und Libyen reisen.

Erst 2015 hat Niger überhaupt einen Straftatbestand für Schlepper eingeführt. Nun soll auch nicht genehmigtes Reisen von Ausländern nördlich der Stadt Agadez als illegal eingestuft werden: Hintergrund ist, dass durch Agadez geschätzte 90 Prozent der jährlichen Migranten der Subsahara gen Norden geschleust werden. Dies ermöglicht den nigrischen Behörden erst, Menschen aufzuhalten.

Im Grunde fordern die Europäer also, dass die Afrikaner anfangen, ihren interstaatlichen Personen-Verkehr stärker zu reglementieren, um Migranten erst gar nicht oder in einer geringeren Zahl an die nordafrikanische Küste kommen zu lassen.

Vorbild EU-Türkeiabkommen

Vorbild ist das EU-Türkeiabkommen, bei dem sich die Türkei unter anderem verpflichtet, Angehörige aus Drittstaaten zurückzunehmen. Dies funktioniert aber nur, weil die Türkei ihrerseits das jahrelange visafreie Reisen für Angehörige muslimischer Länder erheblich eingeschränkt und einen Visumszwang für Reisende aus Nordafrika, Pakistan oder Afghanistan eingeführt hat - um ihrerseits Leute in ihre Heimat zurückschicken zu können.

Zum anderen muss mit jedem Staat ein sehr individuelles Migrationsabkommen verhandelt werden. Mali etwa ist sowohl Herkunftsland von Migranten in Europa als auch Transitland für Menschen aus Guinea, Gambia und Senegal. Und Ausland-Malier tragen mit ihren Überweisungen einen großen Teil des Bruttoinlandsproduktes (BIP) des Landes bei. Also muss Mali etwa mehr Wirtschaftshilfe angeboten werden. Das bitterarme Niger wiederum ist Transitland, hat aber selbst Zehntausende Flüchtlinge etwa aus Mali aufgenommen. Es braucht Hilfe bei der Versorgung von Migranten sowie alternative Einkommensquellen für die Bewohner Agadez, wenn wirklich der Schleuserhub Richtung Norden geschlossen werden sollte. "Eine Migrationspartnerschaft bedeutet, dass wir Verantwortung übernehmen für die jeweils spezifische Situation in einem Land", sagte Merkel am Sonntag in der malischen Hauptstadt Bamako.

Deshalb ist aber die Frage, ob die bereits bestehenden Migrationsabkommen Vorbild für die EU sein können. Die Schweiz etwa hat Verträge mit einzelnen afrikanischen Staaten geschlossen und bietet abgeschobenen Migranten eine Ausbildung in ihrer Heimat an. Spanien finanziert als Gegenleistung zur Rücknahmen von Migranten einen besseren Küstenschutz in Senegal.

Und im EU-Türkei-Migrationsabkommen sind dem Land nicht nur drei Milliarden Euro für die Versorgung von Millionen syrischer Flüchtlinge versprochen worden, sondern auch eine Ablösung illegaler Migration durch eine Kontingentlösung, bei der die EU der Türkei "legal" Flüchtlinge abnimmt. Die EU-Kommission und Merkel haben aber schon gewarnt, dass nun nicht jedes afrikanische Land ebenfalls mit Milliarden-Überweisungen rechnen könne.

Dazu kommt noch ein ganz anderes Problem: Länder wie Deutschland oder die EU insgesamt sind zwar nun zu mehr Unterstützung bereit, damit afrikanische Länder sich gegen Rebellengruppen durchsetzen und mehr Jobs schaffen können. Aber gleichzeitig soll vermieden werden, dass Regierungen sich bequem zurücklehnen und darauf verlassen, dass andere für sie die Probleme lösen. Nicht ohne Grund warnte Merkel auch in Bamako, dass es wirkliche Lösungen nur durch Eigeninitiative der afrikanischen Länder und nicht nur durch staatliche Entwicklungshilfe gebe.


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