Wie eine Ministerin das Grundgesetz austricksen will

  12 Oktober 2016    Gelesen: 494
Wie eine Ministerin das Grundgesetz austricksen will
Computer? Internet? Deutsche Schulen stehen in diesen Punkten katastrophal da. Diverse Initiativen der Regierung scheiterten an der föderalen Struktur im Bildungswesen. Jetzt hat Ministerin Wanka einen Plan.
Sollte es am Ende wirklich so einfach gehen? Der Bund will für die Ausstattung aller 40.000 Schulen in Deutschland mit Computern und WLAN bis 2021 fünf Milliarden Euro bereitstellen. Und dieses Mal ruft überraschenderweise niemand "Nein!"

Das haben die Vorgängerinnen von Bildungsministerin Johanna Wankas noch ganz anders erlebt. Sie hatten bereits 2000 und 2009 vorgeschlagen, jedem Schüler einen Laptop oder ein Tablet zu geben - und scheiterten. Seit Wanka am Wochenende ihren "DigitalPakt#D" ankündigte, gab es bisher keine Querschläger. Womöglich könnte also 2017 das größte Schulprogramm des Bundes seit der Ganztagsschulreform beginnen.

Details will Wanka am Mittwoch präsentieren. SPIEGEL ONLINE kennt bereits die wichtigsten Fakten. Hier ein Überblick.

Was bedeutet der "DigitalPakt#D"?

Der Bund wird das Geld für digitale Technologie in den Schulen zur Verfügung stellen. Dazu gehören Breitbandanschluss, WLAN in der Schule und digitale Endgeräte. Im Gegenzug erwartet die Ministerin auch von den Bundesländern etwas. "Sie sollen gute pädagogische Konzepte, Aus- und Fortbildung der Lehrerinnen und Lehrer sowie gemeinsame technische Standards garantieren", sagte Wanka zu SPIEGEL ONLINE. Ihren Plänen zufolge soll der der "DigitalPakt#D" ein lokal organisiertes Projekt für 40.000 Schulen sein, auch Privatschulen und Berufsschulen können mitmachen.

Beantragt werden die Milliarden von den Schulträgern - "um zu vermeiden, dass einzelne Schulen mit der Erstellung eines Medienentwicklungskonzepts überlastet werden". Ob die Schulen Notebooks oder Tablets anschaffen, wird also vor Ort entschieden. Vertreter der Wirtschaft begrüßten das. "Das Programm ist ein Fest für die Industrie", sagte ein IT-Manager.

Was soll die Digitalisierung der Schulen bringen?

Der Rückstand der deutschen Schulen beim Lernen mit Tablets, Wikis, Blogs und offenen Lernmaterialien ist groß. Nur 1,6 Prozent der deutschen Schüler können in der Schule jeden Tag Computer nutzen, fand die Computernutzungsstudie ICILS 2014 heraus. "Oftmals bildet Deutschland das Schlusslicht des internationalen Vergleichs", resümierten die Forscher - und verursachten damit einen Art zweiten Pisa-Schreck.

Das wichtigste Argument für eine Digitalisierung der Schulen befindet sich aber in den Hosentaschen der Schüler: Laut der jüngsten Jim-Befragung haben 90 Prozent der Jugendlichen Smartphonesund mobiles Internet bei sich. Viele Schulen sind aber de facto offline, oft herrscht sogar noch Handyverbot. Die Bundesregierung lädt daher für Mitte November zu ihrem nationalen IT-Gipfel ein, bei dem Bildung der Schwerpunkt sein soll. Das Fünf-Milliarden-Programm dürfte so etwas wie Angela Merkels Mitgift für den Gipfel im Saarland sein.

Wie kriegt Wanka die Milliarden trotz Kooperationsverbots an die Schulen?

Das ist die größte Überraschung des Wanka-Vorschlags: "Es kann sofort zur Sache verhandelt werden, eine Grundgesetzänderung ist nicht nötig", frohlockte eine Sprecherin des Bildungsministeriums über den Kniff. Wankas Beamte haben nämlich den Artikel 91c in der Verfassung gefunden - der eine Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern in der Informationstechnik erlaubt. Selbst Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU), oberster Hüter des Bildungsföderalismus, hatte gegenüber SPIEGEL ONLINE daran nichts auszusetzen. "Was soll ich da jetzt rumdoktern, falls der 91c eine verfassungsrechtliche Grundlage bietet, wäre das ein gutes Beispiel für kooperativen Föderalismus", sagte Spaenle. "Dann machen wir selbstverständlich mit." Zur Sicherheit lässt Spaenle den Artikel 91c in seinem Haus aber erst auf Tauglichkeit prüfen.

Auch der Koalitionspartner SPD begrüßte das Programm. Es sei der richtige Ansatz des Bundes, digitales Lernen zu fördern, sagte die Koordinatorin für digitale Bildung der SPD-Fraktion, Saskia Esken. "Der Betrag von fünf Milliarden kann sich sehen lassen." Die SPD hat erst kürzlich ein Neun-Milliarden-Euro-Programm für die Schulen vorgeschlagen. Neben der Digitalisierung waren da auch noch die Sanierung der Schulen und ein neues Ganztagsprogramm enthalten. Hier sind noch Fingerhakeleien zu erwarten. Die CDU gibt sich gelassen. "Wankas Vorschlag deckt ab, was wir gemeinsam mit der SPD beschlossen haben", sagte der Digitalexperte der CDU-Fraktion, Sven Volmering.

Welche Probleme stehen noch bevor?

Das wichtigste heißt: Wie bekommt man jene Lehrer und Schulen mit an Bord, die keine Lust haben? "Das Problem sind nicht die Verwaltung und die Eltern, die ziehen mit", berichtet Maik Riecken, ein digitaler Schulentwickler aus Niedersachsen. "Die Hauptaufgabe besteht darin, die Lehrer und die Schulen zu begeistern - und ihnen zu zeigen, was alles möglich ist." In der Industrie denkt man ähnlich. Martin Rist von Hewlett Packard sagt: "Zunächst würde ich erst mal alle Lehrer mit eigenen Tablets oder Laptops ausstatten."

Quelle : spiegel.de

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