Die Comic-Optik färbt auf alle Lebensbereiche ab: "Die Japaner dekorieren ihre Handys phantasievoller, sie ziehen sich ausgefallener an - und sie stehen auf bunte, ausgefallene Autos", sagt Satoru Tei. Das gebe ihnen die Möglichkeit, aus der Uniformität der Masse auszubrechen und sich selbst unter neun Millionen Menschen in Tokio noch irgendwie individuell zu fühlen.
Kei-Cars sind die automobile Essenz dieses Phänomens: Sie dürfen höchstens 3,39 Meter lang sein, nicht breiter als 1,47 Meter und einen Motor mit höchsten 660 Kubikzentimetern Hubraum haben. Weil in japanischen Metropolen beim Kauf eines Autos der Besitz eines Stellplatzes nachgewiesen werden muss, sind Kei-Cars auf dem japanischen Markt mit einem Anteil von rund 40 Prozent extrem dominant: Sie darf man nämlich auch ohne eigenen Parkplatz erwerben.
Und Tei nennt noch einen weiteren Grund, weshalb Autos in Japan bisweilen aussehen wie Spielzeuge: "Sie werden hier lange nicht so ernst genommen wie im Rest der Welt", sagt der Designer: "Man fährt nicht so weit und nicht so schnell, da setzt man andere Prioritäten: Statt Fahrwerk und Antrieb rücken Form und Farben in der Bedeutung viel weiter nach oben."
Honda hat ein Auto für Menschen mit Handicap entwickelt
Dass viele Autos so niedlich sind, dass man mit ihnen am liebsten kuscheln möchte, hat für Tei durchaus eine soziologische Dimension. In einer extrem reglementierten Gesellschaft mit wenig Raum für Gefühle sei jedes Ventil willkommen, sagt der Designer. Aus diesem Grund sei in Japan vor 30 Jahren das Tamagochi erfunden worden, ein Computerwesen, das gefüttert und gepflegt werden wollte. Und aus demselben Grund gebe es heute Bars, in denen man Katzen zum Streicheln bekommt.
Europäer können über die niedlichen Autos oft nur schmunzeln, doch Designexperten sind begeistert: "Während die Studien in Europa stinklangweilig geworden sind, erlauben sich die Japaner mehr Freiheiten", sagt der Kölner Designkritiker Paolo Tumminelli: "Sie sind einfach weniger in Marken- und Designmythen gefangen." Auch Lutz Fügener, Designprofessor an der FH Pforzheim, hält "die Sozialisation mit den omnipräsenten Mangas, das große Vertrauen in Technik und das historisch gewachsene Verständnis für die Relation von Natur und Artifiziellem" für eine Mischung, "die sich im Ergebnis wohltuend aus dem weltweiten Einheitsbrei von Produkten abhebt."
Im Ausland hat dieses erfrischende Design allerdings keine Chance. "Wir fürchten, dass Europäern oder Amerikanern die Phantasie für solche Autos fehlt", sagt Nissan-Designer Tei. Und Fügener sieht die Schuld indirekt sogar bei den Deutschen: "Deren Autos stehen beim Management der japanischen Hersteller eindeutig am höchsten im Kurs und haben deshalb den größten Einfluss auf das Styling." Während sich die Designer bei den Kei-Cars treu bleiben dürften, versuchten sie in den größeren Segmenten eher europäisch oder amerikanisch zu denken, analysiert der Experte.
Mittlerweile allerdings registrieren die Design-Experten eine gewisse Emanzipation der Japaner und eine erfrischende Durchmischung. Nicht nur Mazda erntet derzeit viel Applaus für Studien und Serienmodelle. Sondern ausgerechnet Toyota bringt ein bisschen Japan-Style in die Welt, sagen Fügener und Tumminelli. Den aktuellen Lexus-Modellen zum Beispiel attestiert der FH-Professor zwar westliche Proportionen.
Doch der übertrieben aggressive Grill sei Manga in Reinkultur. Genau wie die Comic-Schnute des Toyota Aygo, für den sich Projektleiter David Terai vom japanischen Zeichentrickhelden Astro Boy hat inspirieren lassen. Das könnte Schule machen, glaubt Tumminelli: "Jetzt, wo auch im Westen das Marktpotential für kleine Autos mit großem Charakter wächst, könnte die Toy Story aus Tokio auch im Rest der Welt weitergehen."