Der Aufenthaltstitel kostet 360.000 Euro

  24 Oktober 2016    Gelesen: 754
Der Aufenthaltstitel kostet 360.000 Euro
Offiziell lehnt der ungarische Präsident Viktor Orban Einwanderung strikt ab. Aber an eine Aufenthaltsgenehmigung des Landes zu kommen ist leicht. Es kostet nur eine Menge Geld.
Ungarns Ministerpräsident nennt Migration „Gift“ und sagt, sein Land brauche „keinen einzigen Migranten“. Man kennt Viktor Orbáns Parolen. Er wiederholt sie ja auch ständig. Nur, er meint es gar nicht so. Denn Ungarn hat in den vergangenen vier Jahren ungefähr 18.000 Menschen aus Ländern außerhalb der Europäischen Union Zuflucht gewährt. Leise, schnell und unkompliziert geht das Land dabei vor. Innerhalb von 30 Tagen bekommen die Personen eine unbegrenzte Aufenthaltsgenehmigung.

Der Antragsteller kann seine ganze Familie mitbringen. Der Partner, die Kinder, sogar die Eltern dürfen mit. Alle können sich im Schengen-Raum frei bewegen, Firmen gründen oder eine Anstellung suchen. Hat Viktor Orbán also doch ein heimliches Herz für Flüchtlinge? Für Steuerflüchtlinge vielleicht, denn es gibt eine Bedingung: Der Aufenthaltstitel kostet 360.000 Euro.

Vor vier Jahren erlaubte das ungarische Parlament Ausländern den Kauf des Aufenthaltsrechts. Bis Juni dieses Jahres musste man dafür 250.000 Euro in ungarische Staatsanleihen investieren. Seitdem sind es sogar 300.000 Euro. Nach fünf Jahren bekommt man das Geld zurück, ohne Zinsen. 60.000 Euro Gebühren kommen hinzu. Das verlangen die Agenturen, die den Kauf abwickeln. Die hohe Summe schreckt Kunden nicht ab. Seit 2012 haben sich gut 3600 Menschen in Ungarn eingekauft. Von ihnen brachte jeder im Schnitt vier Verwandte mit. Die meisten Antragsteller stammen aus China und Russland. Auf den weiteren Plätzen folgen: Syrien, der Irak, Afghanistan, der Jemen und Pakistan. Mehr als eine Milliarde Euro hat Ungarn auf die Art eingenommen.

Sicher, auch andere Länder verdienen so Geld. In mindestens sieben weiteren EU-Staaten können sich Fremde einkaufen. Personen, die einen „hohen Nettowert“ besitzen, wie es im Jargon des internationalen Passhandels heißt. Auch in Kanada und den Vereinigten Staaten existieren ähnliche Programme. Doch keines dieser Länder kämpft offiziell so vehement und lautstark wie Ungarn gegen die Aufnahme von Flüchtlingen. Nach dem Verteilungsschlüssel der EU soll das Land gerade mal 1300 Asylbewerber aufnehmen. Doch was tut Orbán? Zieht vor den Europäischen Gerichtshof. Baut einen Zaun. Hält ein Referendum gegen Flüchtlinge ab.

Ungarns Botschaft in Deutschland sieht darin keinen Widerspruch. Das Programm könne man mit Masseneinwanderung nicht vergleichen, sagte der Pressesprecher. Es handle sich um ein Programm, das auf „internationaler Praxis und auf EU-Regeln beruht, mit strengen gesetzlichen Voraussetzungen, insbesondere was die nationale Sicherheit betrifft“, schrieb die Botschaft später. Sicherheit ist den Ungarn wichtig. Im Juli sagte Orbán, dass eine Sicherheitsprüfung von Migranten mehrere Monate in Anspruch nehmen würde. Beim Aufenthaltstitel-Programm reichen dagegen 30 Tage. Wie gründlich geprüft wird, ist nicht ganz klar. Eine ungarische Zeitung berichtete kürzlich von einem verurteilten russischen Steuerhinterzieher, der einen Aufenthaltstitel erwerben konnte.

Ganz korrekt hingegen kam Herr M. aus dem Jemen. Über das Programm gelangten er, seine Frau und ihre drei Kindern nach Budapest. „Alles funktioniert so, wie es die Agentur beschrieben hat“, sagt er. Weder in Ungarn noch an einer Auslandsvertretung müsse man persönlich vorstellig werden. Alle Dokumente könne man per Post schicken. Herr M. hat früher in Sanaa für einen internationalen Ölkonzern gearbeitet. Als die Kämpfe zwischen Rebellen und Regierung vergangenes Jahr die Hauptstadt erreichten, entschloss er sich zur Flucht. Er verglich verschiedene europäische Programme und entschied sich für Ungarn. Ende Juli überwies er das Geld. Seit Anfang September ist er im Land.

„Es funktioniert wie Korruption und es ist Korruption“

Das Programm beißt sich nicht nur mit Orbáns offizieller Politik. Es überrascht auch durch seine „Wettbewerbsfähigkeit“. Das sagt Armand Arton, der Präsident von Arton Capital, einer der fünf Agenturen. Unter den europäischen Programmen ist es das günstigste, schnellste, unkomplizierteste und großzügigste. „Ich war selbst überrascht, dass man sogar seine Eltern mitbringen darf. Das gibt es nirgendwo sonst“, sagt Arton, dessen Firma für alle Länder des Nahen Ostens zuständig ist. „Ungarn will attraktiver als die anderen europäischen Staaten sein.“

Vieles an der Regelung wirkt halbseiden. Ohne Ausschreibung gingen die Lizenzen an Agenturen mit Hauptsitz in Steueroasen wie Liechtenstein und den Cayman Islands. Der Wirtschaftsausschuss des Parlaments kann die Lizenzen nach Gutdünken entziehen und neu vergeben.

„Dieses Konstrukt sieht aus wie Korruption, es funktioniert wie Korruption, und es ist Korruption“, sagt Viktor Szigetvári, Parteivorsitzender der Liberalen. Seit einiger Zeit erscheinen in regierungskritischen Zeitungen Artikel über Verbindungen von Politikern aus Orbáns Partei und deren Angehörigen zu den Offshore-Agenturen. Die Nachrichtenseite 444.hu fand beispielsweise heraus, dass Orbáns älteste Tochter auf einer „Urlaubsreise“ nach Bahrein den Energieminister traf. Begleitet wurde sie vom ungarischen Honorarkonsul. Der hatte die Website einer Offshore-Firma, die mit Anleihen handelt, angemeldet. Im Magazin „African Business“ beschrieb er die Vorzüge einer ungarischen Aufenthaltsgenehmigung. Und der Schöpfer des Programms, Ungarns Kanzleramtsminister Antal Rogán, wurde über einen alten Weggefährten mit der Agentur Voldan in Verbindung gebracht. Sie verkauft Anleihen in den ehemaligen Sowjetrepubliken und der Türkei.

„Im Gegenzug erwartet man Stimmen bei Wahlen“

Szigetvári sagt, dass Orbáns Vorgehen bei den Aufenthaltstiteln keine Überraschung ist. „Wenn es der Partei dient, ist Orbán auch bei der Staatsbürgerschaft nicht zimperlich.“ Ungarischen Minderheiten in Nachbarstaaten ließ die Regierung Hunderttausende Pässe ausstellen. „Im Gegenzug erwartet man Stimmen bei Wahlen“, sagt Szigetvári.

Doch dieser Fall ist anders. Orbán richtete sich in seiner Politik fast immer nach dem Mehrheitswillen. Häufig will er ihn sogar verstärken. Doch das Volk zieht bei den Anleihen nicht mit. 60 Prozent der Ungarn lehnen das Programm ab. Das ergab eine Umfrage der Sozialdemokraten. „Orbán ignoriert diesmal die Mehrheit“, sagt Tamás Harangozó, Abgeordneter der Sozialdemokraten. Auch die Stimmen wollten dem Ministerpräsidenten zuletzt nicht mehr zufliegen. Das Referendum war ungültig, weil nur 40 Prozent der Wahlberechtigten teilnahmen. Szigetvári meint sogar, dass sich der Wind dreht. „Lange Zeit hat man Orbán im Ausland unterschätzt, jetzt darf man ihn aber auch nicht überschätzen.“

Orbán hat dennoch angekündigt, dass er die Verfassung aufgrund des Referendums ändern will. Das „Ansiedeln fremder Ethnien“ soll in Ungarn verboten werden. Herr M. fühlt sich davon nicht angesprochen. „Ich habe noch nie so höfliche Menschen wie die Ungarn erlebt.“


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