Für den Irak fehlt der Masterplan

  26 Oktober 2016    Gelesen: 632
Für den Irak fehlt der Masterplan
In Mossul deutet sich eine Niederlage des IS an. Doch was auf die Herrschaft der Islamisten folgt, ist nicht klar. Die internationale Gemeinschaft droht trotz militärischer Erfolge ein weiteres Mal im Irak zu scheitern.
Das Treffen der Verteidigungsminister in Paris war bestenfalls ein vorsichtiges Ausloten. Gut eine Wochen nach Beginn der Offensive auf Mossul berieten die Vertreter von einem Dutzend Staaten, die sich an der internationalen Koalition gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) beteiligen, vor allem über das weitere militärische Vorgehen im Irak. Eine mögliche Nachkriegsordnung spielte eine untergeordnete Rolle. Zumindest ließen das die Stellungnahmen nach dem Treffen erahnen.

An den Beratungen nahmen nur die USA, Deutschland, Frankreich, Australien, Belgien, Dänemark, Großbritannien, Italien, Kanada, Neuseeland, die Niederlande, Norwegen und Spanien teil. Keine Macht aus der Region konnte in Paris ihre Stimme erheben – nicht einmal die Verteidigungsminister aus der Türkei und dem Irak waren dabei. Das ist ein sicheres Zeichen dafür, dass die Differenzen in der Frage, was nach einem Sieg in Mossul kommt, noch gewaltig sein müssen. Ein Masterplan, dem sich alle relevanten Beteiligten anschlössen, existiert offenbar nicht einmal in den Eckpunkten.

Der militärische Erfolg der Anti-IS-Koalition könnte eintreten bevor der diplomatische Rahmen für den Sieg gegeben ist. Damit geht die Gefahr einher, dass die internationale Gemeinschaft im Irak ein weiteres Mal scheitert.

Ein ideologisch zersplittertes Land

"Wir konnten im Irak nun über viele Jahre schon eine ideologische und politische Zersplitterung beobachten", sagt Bente Scheller, die das Nahost-Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Beirut leitet. "Diese Zersplitterung verläuft sowohl entlang einer kurdisch-arabischen als auch entlang einer konfessionellen Bruchlinie." Scheller befürchtet, dass sich die bestehenden Konflikte bei der Eroberung Mossuls verhärten, sobald der gemeinsame Feind besiegt ist. Es gibt ein paar Pläne, dies zu verhindern, doch ausgereift sind sie nicht.

Die von Schiiten dominierte Regierung des Iraks in Bagdad und die Kurden im nordirakischen Erbil haben sich darauf geeinigt, dass die Kurden lediglich die Außenbezirke der überwiegend arabisch-sunnitischen Stadt Mossul befreien. Das soll ethnische Spannungen im Zentrum eindämmen. Geht es nach Regierungschef Haidar al-Abadi werden dort nur sunnitische Truppen der offiziellen Streitkräfte eindringen. Doch erstens ist es fraglich, ob Bagdads Truppen dazu allein imstande sind. Und zweitens haben die Kurden im Irak die Wirren im Kampf gegen den IS in den vergangenen Jahren wiederholt genutzt, um ihre territoriale Einflusssphäre auszudehnen – mitunter auch gegen den Willen Bagdads.

Außerdem spricht Ministerpräsident al-Abadi nicht für alle Schiiten des Landes. An der Offensive gegen den IS beteiligen sich etliche schiitische Milizen, die teils vom Iran finanziert werden. Einige dieser Milizen, auf die Bagdad angesichts der Schwäche der eigenen Armee angewiesen ist, fürchten die Unterdrückung ihrer Zivilisten. Als wäre es nicht kompliziert genug, mischen auch türkische Kräfte an der Eroberung Mossuls mit und stellen Ansprüche für ihre Verbündeten im Irak.

Einer der jüngsten Vorschläge für eine Nachkriegsordnung im Irak kam vom ehemaligen Gouverneuer der Provinz Nineve, in der Mossul liegt. Atheel al-Nujaif, sunnitischer Araber mit engen Verbindungen zur Türkei, sagte dem Deutschlandfunk, dass er sich eine Autonomie der Provinz samt einer internen Spaltung wünscht, sodass jede Ethnie von den Jessiden bis zu den Turkmenen ihren Teil bekommt.

Ein gefährliches Machtvakuum

Wer soll wo herrschen und mit welchen Befugnissen? Eine gemeinsame Antwort auf diese Frage gibt es noch nicht, obwohl diese laut Scheller eigentlich sehr klar und einfach ausfallen müsste: "Der Irak hat eine Regierung. Diese müsste angehalten werden, allen seinen Bürgern Schutz und dieselben Rechte zu gewähren."

Die Regierung in Bagdad hat bisher allerdings eher bewiesen, dass sie genau dazu nicht in der Lage ist. Scheller spricht von einer "Auslagerung essentieller Staatsfunktionen an Milizen", von einer "Zerfaserung des Machtmonopols".

Angesichts dieses Machtvakuums sagt Scheller: "Ich denke, dass Unterstützung auf jeden Fall von Nöten ist." An klaren Forderungen des Westens an Bagdad mangelt es ihrer Meinung nicht, sie spricht aber von mangelndem politischem Willen, die Regierung wirklich so auszustatten, dass sie den Ansprüchen an sie genügen könnte.

US-Präsident Barack Obama hat sich nach der gescheiterten Interventionspolitik seines Vorgängers für seine Amtszeit vorgenommen, sich aus dem Irak zurückzuziehen. Rufe nach einer internationalen Schutzmission etwa, die Bagdad für eine Übergangszeit dabei helfen könnte, Stabilität im Irak zu sichern, könnten laut Scheller daher verhallen.

Ähnlich äußert sich Anja Wehler-Schöck, die für die Friedrich-Ebert-Stiftung in Amman sitzt. "Die Frage ist, ob es hierfür den nötigen politischen Willen und die Bereitschaft der finanziellen Unterstützung in der internationalen Gemeinschaft gibt."

Bürgerkrieg nicht ausgeschlossen

Was passiert, wenn es keinen Plan gibt, wenn der IS aus einer Region vertrieben wird, ließ sich im Irak bereits im Kleinen nach der Eroberung des Ortes Tus Khurmatu beobachten. Dort griffen sich schiitische und kurdische Kämpfer gegenseitig an – und beide Seiten argumentierten damit, dass es ihnen allein darum ginge, ihre eigenen Leute zu schützen.

"Es ist aktuell nicht auszuschließen, dass die verschiedenen Parteien beziehungsweise Teile davon die Waffen gegeneinander richten werden und es zu einem Bürgerkrieg kommt", sagt Wehler-Schöck. Sie hält es für gut möglich, dass dem Irak eine Zersplitterung bevorsteht, die allerdings kaum auf eine saubere Dreiteilung in einen kurdischen, einen schiitischen und einen sunnitischen Staat hinauslaufen würde. "Das ist undenkbar", sagt Wehler-Schöck. "Es existieren keine klaren Grenzen zwischen schiitischen und sunnitischen Gebieten, und es gibt nach wie vor viele gemischte Familien." Abgesehen von der komplexen ethnischen Zugehörigkeit der Bürger des Iraks mache die Frage einer gerechten Kontrolle über die Rohstoffe des Landes die Lage kompliziert.

Auf einen militärischen Sieg in Mossul könnte eine noch chaotischere Situation im gesamten Land folgen. Wehler-Schöck sagt: "Es bedarf dringend einer tragfähigen Strategie, wie die Wiederherstellung des staatlichen Gewaltmonopols gefördert und die Waffenproliferation bekämpft werden kann."

Der IS hat einen Plan

Teil dieser Strategie, da sind sich alle Beobachter einig, müssen auch Fragen nach dem Umgang mit den zu erwartenden Flüchtlingen aus Mossul sein. In den Camps, die sich überwiegend in den kurdischen Regionen befinden, fehlt es derzeit an ausreichend Kapazitäten. Und auch die Frage des Wiederaufbaus gilt es noch zu klären. Auch hier scheinen die Pläne nicht sonderlich ausgereift zu sein, obwohl der Sturm auf Mossul schon vor Monaten medienwirksam eingeläutet wurde. "Wir müssen uns schon jetzt darauf vorbereiten, dass dann, wenn die Offensive Erfolg hat und Mossul befreit wird, schnellstmöglich eine Stabilisierung der Stadt und der Region stattfindet", sagte Außenminister Frank-Walter Steinmeier - bei einem EU-Außenministertreffen vor einer Woche. Deutschland gilt, wenn es um humanitäre Hilfe und den Wiederaufbau des Iraks geht, als Vorreiter.

Die Anhänger des IS stellen sich unterdessen darauf ein, das bevorstehende Chaos für sich zu nutzen. Wohlwissend, dass sie selbst Mossul nicht halten können, werden viele die Stadt verlassen - nachdem sie dort für maximale Verwüstung gesorgt haben. Viele der Dschihadisten dürften sich in die syrische IS-Hochburg Rakka zurückziehen. Doch in den Medien, die der IS bespielt, ist einem Bericht der "New York Times" zufolge immer häufiger auch von einer anderen Strategie die Rede. Eine Strategie, die es Dschihadisten schon seit dem Anschlag auf das World Trade Center 2001 ermöglicht hat, im Zweistromland trotz der IS-Invasion nicht nur zu überleben, sondern letztlich zu erstarken. Die Rede ist von "Inhiyaz", dem Rückzug in die Wüste. Gemeint ist der Terror aus dem Untergrund, der die bestehenden ethnischen und konfessionellen Brüche in der Gesellschaft vergrößert. Im ohnehin fragilen Irak soll sich niemand sicher fühlen, sodass das ohnehin schon große Misstrauen zwischen den Bevölkerungsgruppen weiter anwachsen kann. In dieser Situation, so die Strategie der Islamisten, gilt es zu warten, bis das Chaos wieder groß genug ist, um aufs Neue den Aufbau eines Kalifats zu unternehmen.

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