Ungarische Unternehmen "konkurrieren nicht nur mit den lokalen Mitbewerbern um Arbeitskräfte, sondern auch mit Arbeitgebern in den angrenzenden westeuropäischen Ländern", wird der Ungarn-Chef der ManpowerGroup, Laszlo Dalanyi, zitiert. Der größte Nachteil Ungarns sei das niedrige Lohnniveau, das es schwierig mache, gute Mitarbeiter zu halten oder anzuwerben.
"Die ungarischen Unternehmen befürchten, dass höhere Löhne ihre Wettbewerbsfähigkeit gefährden könnten", sagte Dalanyi. "Allerdings hat der Mangel an Arbeitskräften ein Ausmaß erreicht, das ebenfalls die Wettbewerbsfähigkeit schädigt."
In der Umfrage gab ein Drittel der ungarischen Unternehmen an, freie Stellen nicht besetzen zu können, weil es gar keine Bewerber für die angebotenen Jobs gebe. Ein weiteres Drittel sagte, die Bewerber seien nicht ausreichend qualifiziert gewesen. Am größten ist der Umfrage zufolge der Mangel an Tischlern, Elektrikern, Installateuren oder Fahrern, aber auch Ingenieure, Ärzte, IT-Experten und Buchhalter werden händeringend gesucht.
Am größten ist laut Manpower-Studie der Arbeitskräftemangel in Japan, wo 86 Prozent der Unternehmen mit dem Problem kämpfen. Sehr schwierig ist die Situation auch in Rumänien (72 Prozent) und Bulgarien (62 Prozent).
Der Gang nach Osten
Samsung musste ukrainische Arbeiter anheuern, um den Betrieb in seiner ungarischen Fabrik aufrecht zu erhalten. Auch die deutschen Autobauer Audi und Daimler spüren in Ungarn den Arbeitskräftemangel.
Die Regierung von Viktor Orban hat angekündigt, die Lohnnebenkosten über zwei bis drei Jahre zu senken. Darüber hinaus sind Anreize für Arbeitgeber geplant, die Löhne zu erhöhen.
Schlechte Ausbildung, eine große Diskrepanz zwischen nachgefragten und angebotenen Qualifikationen sowie ein "Brain Drain" durch beschleunigte Auswanderung sind die Hauptursachen für den zunehmenden Mangel an Fachkräften in den Ländern Zentral- und Osteuropas. Zu diesem Schluss kommen auch die CEE-Experten der UniCredit in London in einer Analyse.
Wachstum beginnt zu leiden
Das Wirtschaftswachstum in der Region habe sich heuer im zweiten Quartal merklich verlangsamt, und es deute auch nichts auf eine Beschleunigung hin, während sich die Anzeichen für einen Rückgang des Produktionspotenzials mehren würden, heißt es in der Analyse. Zahlreiche Studien des World Economic Forum (WEF) und der Weltbank sowie nationale Umfragen kämen übereinstimmend zu dem Schluss, dass vor allem das niedrige Ausbildungsniveau der Arbeitskräfte bzw. ein Mangel an Fachkräften auf Investoren abschreckend wirken.
Ein Grund dafür sei, dass sich die demographische Situation der ehemaligen Ostblockstaaten seit Jahrzehnten verschlechtere - ähnlich wie in Westeuropa. Dieser Trend habe sich seit den frühen 1990er-Jahren verstärkt. Die Fertilitätsrate (Geburten pro 1.000 Einwohner) sei vom ohnehin schon niedrigen Wert von 2 Promille in den 1990er-Jahren auf 1,1 bis 1,4 Promille in den frühen 2000ern gesunken. Das habe zu einem Rückgang der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter geführt, der seit 2010 spürbar sei und mindestens ein Jahrzehnt anhalten werde.
Zuwanderung als Chance
Während die Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter seit 1995 etwa um die Hälfte gewachsen ist, ist sie in Polen etwa auf dem gleichen Niveau wie vor 20 Jahren, in Russland bei rund 95 Prozent des damaligen Niveaus und im CEE-Durchschnitt bei 90 Prozent. Das Bevölkerungswachstum ist in allen Transformationsländern negativ - vor allem in Bulgarien und Rumänien. Diese beiden Länder sind auch besonders stark von Abwanderung betroffen. Insgesamt ist die Bevölkerung Bulgariens seit 1995 um 15 Prozent geschrumpft, jene Bulgariens um 12 Prozent.
Andererseits haben Russland und Tschechien von einer Netto-Zuwanderung vor allem aus den GUS-Ländern profitiert. In Polen konnte durch die Zuwanderung aus der GUS der negative Effekt der Abwanderung in Richtung Westen immerhin etwas abgeschwächt werden.
Aber auch die im Vergleich zu den Männern nach wie vor niedrige Beschäftigungsquote von Frauen dämpft das Wachstumspotenzial der CEE-Länder. Verringert hat sich dieser "gender gap" seit dem Jahr 2000 in Bulgarien, Ungarn, Tschechien und in der Türkei, vergrößert hat sich die Differenz aber in Polen, Rumänien, Russland und der Slowakei.
Frauen am Herd
Die UniCredit-Analysten kritisieren, dass in den meisten Ländern der Region Mütter vor allem finanziell dabei unterstützt würden, länger mit ihren Kindern zu Hause zu bleiben. Russland sei in dieser Hinsicht allerdings eine Erfolgsstory, weil sich die russische Regierung seit 2007 darum bemüht habe, vor allem Mehrkinder-Familien zu unterstützen. In Russland sei es seither gelungen, sowohl die Fertilität als auch die Beschäftigungsquote von Frauen zu steigern. Die Regierungen sollten sich vor allem darauf konzentrieren, Kinderbetreuung, Ausbildung und leistbaren Wohnraum zu fördern statt einfach nur Geld auszuzahlen, empfehlen die UniCredit-Experten.
Könnte man den Unterschied zwischen den Beschäftigungsquoten von Männern und Frauen völlig beseitigen, würde das Produktionspotenzial in Bulgarien um 3 Prozent steigen und in Rumänien sogar um 7 Prozent, schreiben die UniCredit-Analysten. In der Türkei, wo die Beschäftigungsquote von Frauen besonders niedrig ist, beträgt der mögliche Zuwachs sogar ein Viertel.
Für das Wachstumspotenzial mindestens so schädlich wie die negative demographische Entwicklung sei die Qualität des Arbeitskräfte-Angebotes, sagen die Wirtschaftsforscher. Schuld daran sei vor allem die Abwanderung gut ausgebildeter junger Menschen. Besonders besorgniserregend sei dieser "Brain Drain" in den neue EU-Mitgliedsländern Zentral- und Osteuropas. Auch die Qualität der Ausbildung sei in den CEE-Ländern - mit Ausnahme Tschechiens - deutlich schlechter als im Westen.
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