Sogar die Fans wenden sich vom HSV ab

  06 November 2016    Gelesen: 434
Sogar die Fans wenden sich vom HSV ab
Mit der Erwartungshaltung überfordert, von den eigenen Fans verhöhnt - der Hamburger SV steckt in der vielleicht größten Krise der Vereinsgeschichte. Die Konzeptlosigkeit zieht sich durch alle Ebenen.
Nur zwei Punkte nach zehn Saisonspielen, ein desaströses 2:5 gegen Borussia Dortmund - ist der HSV überhaupt noch zu retten? Diese Frage musste Trainer Markus Gisdol gestern gleich mehrfach beantworten. "Die Mannschaft und der Verein befinden sich in einer sehr schwierigen Situation", antwortete er. Und das habe einen simplen Grund: "Vor der Saison wurde eine Erwartungshaltung im nicht angemessenen Maße aufgebaut. Das ist das größte Problem für unser Team. Von der Erwartungshaltung dort oben müssen wir auf die Realität schauen, und die lautet Existenzkampf."

Die hohen Erwartungen kamen nicht von ungefähr: Knapp 33 Millionen Euro wurden in neue Spieler investiert. Investor Klaus-Michael Kühne hatte sein Portemonnaie geöffnet. Der HSV sollte einen Schritt nach vorne machen. Nach dem zehnten Tabellenplatz der vergangenen Saison war ein einstelliger Tabellenplatz das Ziel. Manch einer mag sogar still und heimlich von der Europa League geträumt haben. Experten wie Lothar Matthäus trautem dem HSV das jedenfalls zu. Nun wird selbst der Klassenerhalt zu einer Mammutaufgabe.

"Erste Liga, keiner weiß warum!"

Erschwerend kommt hinzu: Der HSV hat den Rückhalt der Fans verloren. Dabei waren die Anhänger in den letzten Jahren der größte Trumpf. Sie realisierten tolle Choreographien, standen bei der Busankunft der Mannschaft Spalier und marschierten in großen Scharen zum Training. Alles nur, um die stets abstiegsgefährdete Mannschaft irgendwie zu motivieren. Vergangenheit! Selbst die hartgesottenen Fans haben nur noch Spott übrig.

"Erste Liga, keiner weiß warum!" Dieses Spruchband hatten nicht etwa die Fans aus Dortmund mitgebracht. Es hing in der Nordtribüne. Dort also, wo die treuesten Fans stehen. "Außer Uwe könnt ihr alle gehen", schrien sie in Anlehnung an den 80. Geburtstag der Vereinslegende Uwe Seeler. Mit einer La-Ola-Welle verhöhnten sie ihre eigene Mannschaft. Die Spieler behaupteten später, davon nichts mitbekommen zu haben - schwer zu glauben. Trainer Gisdol kritisierte: "Bei allem Verständnis dafür helfen uns jetzt keine Pfiffe. Wir müssen alle zusammen aus der Situation herauskommen."

Gisdol kam Ende September als Hoffnungsträger. Der Effekt ist längst verpufft. Kein HSV-Trainer der Bundesliga-Geschichte startete so schlecht wie er. Der 47-Jährige wirkt ratlos: "Dass Woche für Woche jemand anderes die Fehler macht, ist eine verdammt unglückliche Situation. Aber ich kann den Spielern nicht den Kopf herunterreißen. Sie machen das ja nicht mit Absicht."

90 Millionen Euro für neue Spieler in nur zwei Jahren

Der Trainer gibt selber keine gute Figur ab. Ein Konzept ist bislang nicht zu erkennen. Mal lässt Gisdol eine Dreierkette auflaufen, mal eine Viererkette. In manchen Spielen bringt er zwei Stürmer, in anderen Partien nur einen. Auch seine Personalentscheidungen sind fragwürdig. Ein paar Beispiele: Den einstigen Hoffnungsträger Alen Halilovic ließ er gegen Frankfurt von Beginn an spielen, schmiss ihn dann für die nächsten drei Partien aus dem Kader. Stürmer Pierre-Michel Lasogga hat seinen Stammplatz sicher, obwohl er aus seinem Formtief nicht herausfindet. Stürmerkollege Luca Waldschmidt hingegen ist Dauer-Reservist. Dabei hat er in den Testspielen zehn Tore erzielt.

Die Konzeptlosigkeit zieht sich beim Bundesliga-Gründungsmitglied durch alle Ebenen. Der Aufsichtsratsvorsitzende Karl Gernandt hat Vereinsboss Dietmar Beiersdorfer erst kritisiert, stärkte ihm dann wieder den Rücken. Dabei ist Kritik gegenüber Beiersdorfer durchaus angebracht: Seit seinem Amtsantritt im Sommer 2014 wurden rund 90 Millionen Euro für neue Spieler ausgegeben. Klangvolle Namen waren auch in diesem Sommer dabei: Halilovic vom FC Barcelona, der brasilianische Olympiasieger Douglas Santos oder 14 Millionen-Mann Filip Kostic. Richtig eingeschlagen haben sie bislang alle nicht.

Beiersdorfers Doppelfunktion als Vorstandsvorsitzender und Sportdirektor steht in der Kritik. Selbst der sonst so zurückhaltende Uwe Seeler sagte: "Beiersdorfer ist überfordert." Die Suche nach einem Sportdirektor läuft holprig. Ex-HSV Spieler Nico-Jan Hoogma hat bereits abgesagt. Die offizielle Begründung: Er war mit dem Auswahlprozess nicht einverstanden. Klingt so, als konnten sich die Verantwortlichen des HSV nicht entscheiden. Nun gilt Horst Heldt als Favorit.

Noch dringender als einen Sportdirektor benötigt der HSV den ersten Saisonsieg. Einfacher werden die Aufgaben nicht: Nach der Länderspielpause geht es zur TSG Hoffenheim. Die ist noch ungeschlagen, hat gestern sogar beim FC Bayern München 1:1 gespielt. Torschütze für Hoffenheim war übrigens Kerem Demirbay. Der stand vor vier Monaten noch in Hamburg unter Vertrag. Für läppische 1,7 Millionen Euro wurde er weggegeben. Er galt als nicht gut genug.

Quelle: n-tv.de

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