Tödliche Fehler im Stellwerk

  10 November 2016    Gelesen: 647
Tödliche Fehler im Stellwerk
Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt: Michael P. hat so schwere Fehler begangen, dass in Bad Aibling zwei Züge kollidierten und zwölf Menschen starben. Wieviel Schuld trägt der Fahrdienstleiter?
Nur Michael P. kann den Moment beschreiben, in dem ihm bewusst wurde, dass er die Tragödie nicht mehr verhindern konnte. Wie er an jenem 9. Februar an seinem Arbeitsplatz im Stellwerk am Bahnhof von Bad Aibling saß, das Signal wieder auf Rot stellen, das Unglück stoppen wollte. Wie er zweimal vergeblich ein Notsignal absetzte. So fuhren zwei Nahverkehrszüge am frühen Morgen in einer Kurve ungebremst ineinander. Der eine Triebwagen bohrte sich in den anderen, mehrere Waggons kippten zur Seite.

Am Donnerstag wird Michael P. Gelegenheit haben, diesen Moment zu beschreiben; zu erklären, wie es überhaupt dazu kommen konnte. Dann beginnt vor dem Landgericht Traunstein der Prozess gegen den Fahrdienstleiter der Deutschen Bahn, 39 Jahre alt, Familienvater, ein erfahrener Mann, seit 20 Jahren im Dienst. An jenem Februartag war er zuständig für den Zugverkehr auf der eingleisigen Strecke zwischen den Bahnhöfen Kolbermoor und Heufeld.

Michael P. ist angeklagt wegen fahrlässiger Tötung in zwölf Fällen und wegen fahrlässiger Körperverletzung in 89 Fällen. Zwölf Menschen verloren an jenem Morgen bei dem Zugunglück ihr Leben, 89 wurden verletzt. Mehrere hundert Helfer erlebten einen Einsatz, mit dessen Folgen viele von ihnen noch immer zu kämpfen haben.

Das Zugunglück bei Bad Aibling gilt als das schwerste in Bayern seit dem verheerenden Frontalzusammenstoß zweier Eilzüge 1975 in Warngau nahe Bad Tölz. Damals starben 41 Menschen, 122 wurden verletzt.

Wie in Warngau kollidierten auch in Bad Aibling die beiden Personenzüge auf eingleisiger Strecke. Und wie in Warngau sieht die Staatsanwaltschaft auch in Bad Aibling menschliches Versagen als Ursache: Michael P.s Versagen.

Der Fahrdienstleiter soll laut Staatsanwaltschaft Traunstein an jenem 9. Februar - trotz strikten Verbotes - von 5.11 Uhr bis 6.40 Uhr auf seinem Smartphone das Onlinespiel Dungeon Hunter 5 gespielt haben. Noch um 6.38 Uhr soll er einen für dieses Spiel notwendigen Krieger rekrutiert haben.

Fataler Vertipper

Die beiden Züge - der Meridian 79506 der Bayerischen Oberlandbahn von Rosenheim kommend und der Meridian 79505 aus der Gegenrichtung - sollten sich laut Fahrplan im Bahnhof Kolbermoor kreuzen. Michael P. verrutschte nach Ansicht der Ermittler aber um eine Zeile im Kreuzungsplan und glaubte, die beiden Züge sollten sich im Bahnhof Bad Aibling kreuzen. So habe er den entgegenkommenden Personenwagen auf der eingleisigen Strecke jeweils freie Fahrt gegeben.

Um 6.46 Uhr setzte Michael P. über das Mobilfunknetz der Bahn den ersten Notruf ab: "Achtung Betriebsgefahr zwischen Kolbermoor und Bad Aibling, Züge sofort anhalten." Etwa eine Minute später folgte der zweite Notruf.

Beide Hilferufe erreichten das Streckenpersonal, nicht die Triebfahrzeugführer. Michael P. muss den Ermittlungen zufolge beim Funken die falsche Taste gedrückt haben. Hätte er sich nicht vertippt, hätte das Unglück nach Ansicht der Staatsanwaltschaft zumindest mit dem ersten Notruf noch verhindert werden können. Beim zweiten Notruf waren die Züge bereits mit Tempo 51 und 78 kollidiert.

Dutzende Opfer und Hinterbliebene als Nebenkläger

Wie viel Schuld trägt der 39-Jährige, der nach dem Unglück von Psychologen betreut und zu seinem Schutz an einen geheimen Ort gebracht werden musste? Michael P. wurde am 12. April festgenommen und sitzt seither in Untersuchungshaft. Einen Tag später erlag das zwölfte Opfer seinen Verletzungen.

Wie schwer wiegen die Verletzung seiner Sorgfaltspflicht und der Verstoß gegen das ausdrückliche Verbot, in seinem Posten private Handys zu benutzen? Die Überprüfung des gesamten Systems habe, so die Ermittler, keinen Hinweis auf eine andere mögliche Ursache ergeben. Aber ist die Bahn frei von Schuld? Trägt das Unternehmen eine Verantwortung an der Tragödie?

Der Vorsitzende Richter der Zweiten Strafkammer des Landgerichts Traunstein, Erich Fuchs, hat für den Prozess sieben Verhandlungstage anberaumt. Mehr als zwei Dutzend Opfer und Hinterbliebene treten als Nebenkläger auf.

Michael P. hat in den ersten Vernehmungen ein Geständnis abgelegt. Es heißt, er werde sich bereits am ersten Verhandlungstag zu den Vorwürfen äußern - oder seine beiden Verteidiger für sich sprechen lassen. So oder so werden es Worte sein, die das Unerklärliche nicht erklären können.


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