Die EU-Kommission hat ihre Pläne vorgestellt, wie sie den europäischen Rüstungs- und Verteidigungssektor reformieren will. Die Maßnahme ist Teil eines umfassenden Konzeptes der Kommission, das Mitte Dezember von den Staats- und Regierungschefs beschlossen werden soll: dem Aufbau einer "Sicherheits- und Verteidigungsunion".
Bisher, so heißt es aus der Kommission, laufen rund 80 Prozent der Rüstungseinkäufe auf nationaler Ebene ab. Weil dadurch der Vorteil sogenannter "Economies of Scale" (Ersparnisse beim Kauf großer Stückzahlen) nicht ausgenutzt wird und weil nationale Alleingänge zu kostspieligen Doppelkäufen von Rüstungsgütern führen, schätzt Brüssel die Höhe unnötiger Mehrkosten für die Verteidigung der EU auf 25 bis 100 Milliarden Euro pro Jahr.
Im Kern der Reform steht deshalb das Ziel: neues und besseres Rüstungsmaterial wie Drohnen oder Kampfhubschauber für vergleichsweise wenig Geld zu bekommen. Es geht um Effizienz. Neben dem geplanten Fonds sollen dazu stärkere gemeinsame Investitionen in die Forschung und Entwicklung beitragen. Die Rede ist von jährlich bis zu 90 Millionen Euro zum Ende des Jahrzehnts und danach je 500 Millionen Euro für jedes weitere Jahr. Um die Mitgliedsstaaten zu ermuntern, künftig wirklich gemeinsam zu arbeiten, sind mehrere Förder- und Anreizsysteme im Gespräch.
Ein besonders reizvolles Instrument soll die Möglichkeit für Mitgliedstaaten sein, Mittel, die sie in den geplanten Verteidigungsfonds einzahlen, nicht mehr auf den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt anrechnen zu müssen. Wirtschaftlich angeschlagene Länder wie Frankreich oder Italien könnten so ihre Verteidigungsausgaben praktisch auslagern.
Kommissionsvize Katainen sagt: Es gehe nicht darum, die Mitgliedsstaaten zu höheren Verteidigungsausgaben zu drängen, sondern die vorhandenen Mittel sinnvoller einzusetzen. Das Volumen des Fonds soll laut Katainen pro Jahr rund fünf Milliarden Euro umfassen.
Europa gibt zu wenig für Verteidigung aus
Tatsächlich hecheln die EU-Staaten den notwendigen Ausgaben für ihre Militärs allerdings auch dann hinterher, wenn es nicht um Effizienz, sondern schlicht um Masse geht – zumindest aus Perspektive der Nato. Die Regeln des transatlantischen Bündnisses sehen vor, dass jedes Mitglied zwei Prozent seines Bruttoinlandsproduktes für die Verteidigung ausgibt. Das schaffen derzeit nur vier EU-Staaten: Griechenland, Großbritannien, Estland und Polen. Deutschland kommt derzeit nur auf knapp 1,2 Prozent, alle EU-Staaten zusammen im Schnitt auf 1,4 Prozent.
Druck, mehr Geld in die Rüstung zu stecken, kommt neben der Führungsebene der Nato vor allem aus den USA. Die Forderung ist schon alt, der gewählte Präsident Donald Trump hatte die EU im Wahlkampf aber besonders heftig kritisiert, weil diese das Zwei-Prozent-Ziel der Nato nicht einhalten. Er stellte gar die Beistandspflicht im Falle eines Angriffs infrage, solange europäische Staaten nicht ihren gerechten Beitrag zur Bündnisverteidigung leisten.
Ob sich Trump mit der Initiative der EU-Kommission zufrieden geben wird, ist ungewiss. Die Kluft ist gigantisch. Im vergangenen Jahr gaben die USA mit rund 600 Milliarden Euro drei Mal so viel Geld für Verteidigung aus wie die Mitgliedstaaten der EU. Diese kamen auf 203 Milliarden Euro.
Nato fürchtet doppelte Kommandostrukturen
Katainen versicherte allerdings, dass die Pläne der Kommission nichts mit dem Ausgang der US-Wahl zu tun hätten, sondern schon lange geplant gewesen seien.
Eine weitere Sorge der Amerikaner brachte ein Journalist der "New York Times" bei der Präsentation der EU-Pläne zum Ausruck. Die zusätzlichen Mittel, die in gemeinsame Rüstung fließen sollten, gingen mit dem Bau eines militärischen Hauptquartiers der EU einher, sagte dieser. Seine Feststellung zielte auf die bereits mehrmals geäußerte Befürchtung ab, die EU könnte zwar eigene Parallelstrukturen bündeln, zugleich aber Parallelstrukturen zur Nato aufbauen und das transatlantische Bündnis dadurch schwächen.
Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini versuchte die Bedenken zu zerstreuen. "Es ist kein Wettbewerb mit der Nato", sagte sie. "Wenn die Europäer besser investieren können, wird die Nato gestärkt."
Nicht nur die USA, sondern auch Nato-Generalsektretär Jens Stoltenberg blicken allerdings trotz diverser Beteuerungen mit einem gewissen Misstrauen auf die Pläne der Kommission – wohl auch, weil diese noch im Abstimmungsprozess stecken und nicht klar ist, wie die Details am Ende ausgestaltet werden. Erst vor wenigen Tagen sagte Stoltenberg, er fürchte, dass die EU eigene Nato-ähnliche Kommandostrukturen aufbauen könnte. "Das würde bedeuten, mit uns selbst in Wettstreit zu treten."
Die EU steht mit ihren Plänen für den Aufbau einer "Sicherheits- und Verteidigungsunion" vor einer schwierigen Abwägung. Einerseits gilt es, den Rückzug der USA aus der Weltpolitik so gut es geht auszugleichen. Andererseits soll nicht der Eindruck entstehen, dass Europa das Vertrauen in die Stärke des transatlantischen Bündnisses Nato verliert.
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