Putins leise Drohung

  02 Dezember 2016    Gelesen: 893
Putins leise Drohung
Es ist der alljährliche Aufruf zum Patriotismus. In seiner Rede an die Nation würdigt Russlands Präsident Putin patriotische Werte und das "geeinte Volk". Zugleich schickt er ein deutliches Signal an den Westen.
Die Kulisse ist, wie jedes Jahr, prächtig. Im goldverzierten Georgssaal im Kreml steht Russlands Präsident Wladimir Putin vor der russischen Fahne und hält seine jährliche Rede an die Nation. Es ist ein Appell an sein Volk. Ein Appell an die "Einigkeit in schweren Zeiten", ein "Wir müssen noch besser werden". Vor ihm sitzen rund 1000 Amts- und Würdenträger des heutigen Russlands, Abgeordnete beider Parlamentskammern, Vertreter der Regierung, der Regionen, der Kirche, unter ihnen Ministerpräsident Dmitri Medwedjew und der tschetschenische Machthaber Ramsan Kadyrow. Ihr Applaus ist ihm sicher.

Gleich zu Anfang bezieht sich Putin auf die Revolution, die vor fast 100 Jahren das alte Russland hinwegfegte. "Wir kennen die Jahre des Kampfes, des Leidens", sagt er. "Wir wissen alle, welche Folgen große Erschütterungen haben". Bei den Sicherheitskräften bedankt er sich für den Mut und die Tapferkeit, und dass sie "die Ehre von Russland schützen". Zugleich lobt er das Volk, dessen hohe moralische Eigenschaften und dessen Patriotismus. "Wir sind ein geeintes Volk und haben nur ein Russland", sagt er. Zumindest im Saal wird applaudiert.

Diesem "einen Russland" meint Putin dennoch Mut machen zu müssen. Er schildert Russland als eine Nation, die nicht in die Vergangenheit zurückwolle und die trotz vieler Probleme voranschreite. Was Putin mit einer Masse von Zahlen zu belegen sucht, die ein wenig - nicht zuletzt dank hochgesteckter Ziele für die Jahre 2025-2030 - an sowjetische Zeiten erinnert. Sei es die Geburtenrate (1,78), die von Jahr zu Jahr zunehme und inzwischen höher als in vielen europäischen Ländern sei, die Verbesserung der Straßen in Moskau in den nächsten Jahren (50 Prozent), die Schaffung pränataler Zentren (bald 94), die Kennziffern zeigten nach oben, so der Tenor. Auch werde das Land nach dem "sogenannten Doping-Skandals" das modernste Anti-Doping-Programm entwickeln. Die Landwirtschaft sei erfolgreich, die Inflation so niedrig wie lange nicht, die Verteidigungsbetriebe seien modernisiert, die IT-Branche wachse und solle bald eine der Schlüsselbranchen des Landes werden. Kurzum: "Der Abschwung in der Realwirtschaft geht zurück, es gibt sogar ein kleines industrielles Wachstum", so Putin.

Es gibt auch andere Zahlen. Tatsächlich litt Russland in den vergangenen Jahren unter einer Wirtschaftskrise, 2015 schrumpfte die Wirtschaft um 3,7 Prozent. Zum großen Teil ist dies eine Folge der niedrigen Ölpreise, zum Teil auch eine der Wirtschaftsanktionen, die der Westen nach der Krim-Annexion und den Kämpfen in der Ostukraine verhängt hatte. "Sie haben versucht, uns nach fremder Pfeife tanzen zu lassen, wie wir im Volksmund sagen, damit wir unsere fundamentalen Interessen vernachlässigen", sagt Putin nun, ohne "sie", die fremden Mächte, zu spezifizieren. Doch es verstehen ohnehin alle: "Sie" ist der Westen, sind die USA und Deutschland, die auf die Strafmaßnahmen gedrungen hatten.

Glaubt man Putin, haben die Sanktionen nicht gewirkt. Als Hauptgründe für die letztlich doch nicht ganz so rosige wirtschaftliche Lage zählt er "interne Probleme" auf: Ein schlechtes Geschäftsklima, keine modernen Technologien, Probleme bei der Ausbildung von Führungskräften und im Wettbewerb. Fast klingt es so, als sei es nicht Putin gewesen, der in den vergangenen 16 Jahren diesem Land als Präsident und Ministerpräsident vorstand und im wesentlichen die Geschicke Russlands bestimmte - und dabei die Abhängigkeit von den Rohstoffenexporten nicht verringert hat.

"Ich habe schon den Auftrag gegeben"

Doch in den nächsten Jahren soll einiges anders werden – so hat der Präsident es zumindest angeordnet: "Ich habe schon direkt den Auftrag gegeben, dass man Unternehmen nicht schikaniert", so Putin. "Jeder soll spüren, dass der Staat an seiner Seite steht" - ein Satz, den mancher auch als Warnung auffassen dürfte. Die Arbeit der Aufsichtsorgane solle verbessert, transparenter werden. Und Putin fügt an: Man werde aufmerksam beobachten, was in den Regionen vor sich gehe. Die latente Drohung ist deutlich, schließlich hat Putin in den vergangenen Monaten zahlreiche ältere Kader durch jüngere ersetzt, ganz nach dem Motto: Jeder ist ersetzbar.

Eine latente Drohung schwingt auch mit, als sich Putin am Ende seiner Rede kurz und nur vage der Außenpolitik zuwendet. "Wir brauchen Freunde, aber wir dulden keine Missachtung unserer nationalen Interessen", sagt Putin. Nötig sei eine gleichberechtigte Zusammenarbeit. Belehrungen stünden ihm bis zum Hals.

Mit anderen Worten: Als Regionalmacht, wie es US-Präsident Barack Obama einst getan hat, wird sich das neue Russland nicht mehr bezeichnen lassen. Dazu besteht im Moment wohl auch wenig Anlass. Zumal die Lage außenpolitisch für Putin kaum günstiger sein könnte. In den USA regiert bald ein Präsident Donald Trump, der sich bislang vor allem positiv über Russland geäußert hat, in Frankreich dürften auch in Kürze mit Marine Le Pen oder François Fillon ausgesprochene Russlandfreunde an die Macht kommen. Wenn sich dann noch in Österreich, den Niederlanden und Italien russlandtreue Populisten durchsetzen sollten, dürfte es für Putin noch leichter werden.

Ohne den Namen Trump auch nur zu erwähnen, geht Putin auf die künftige US-Regierung ein. Er sei bereit, mit der neuen Administration zusammenzuarbeiten. "Wir wollen keine Konfrontation, wir suchen keine Feinde", so Putin weiter. Beide Länder hätten eine gemeinsame Verantwortung im Kampf gegen den Terrorismus. "Das ist unsere Aufgabe in Syrien", so Putin weiter. Und fügt dann unter dem großen Applaus seiner Zuhörer an: Die Armee habe gezeigt, dass sie dort effektive Arbeit leisten könne.

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