SS -Mann vererbt Vermögen an schottisches Dorf
Seine Beziehung zur Insel begann am 28. August 1944. Der in Schlesien geborene Steinmeyer, der zwei Jahre zuvor im Alter von 17 Jahren aus einem Job als Hilfmetzger heraus der Waffen-SS beigetreten war, hob die Hände, als sich britische Soldaten mit Waffen im Anschlag vor ihm aufbauten. Man nahm ihm seine Waffen und ließ ihm, was er noch Essbares bei sich hatte.
Damit begann, was er viel später im Gespräch mit einem norddeutschen Lokalreporter einmal seinen Aufenthalt im "Ferienlager" nennen sollte - zumindest im Vergleich zur Front in der Normandie. Man verschiffte Steinmeyer als britischen Gefangenen zuerst nach England und von dort nach Schottland - und alles, was er dort erlebte, war zutiefst "menschlich". So sehr, dass er freiwillig blieb, als man ihn 1948 aus dem Lager entließ.
Steinmeyers zweites Leben
Steinmeyer hatte sich in Schottland, in die Lebensweise und die Mentalität der Menschen dort verliebt. Kein Wunder: Das Lager, rund 30 Kilometer Luftlinie westlich von Perth, liegt am Rand der Trossachs in den südlichen Ausläufern der Highlands. Es ist eine Gegend von unwirklicher Schönheit und großer Einsamkeit, so nass wie friedlich. Weiter entfernt vom Krieg, seinem Wahnsinn und seinen Nachwirkungen konnte man kaum sein. Dazu kam die Gastfreundschaft der Einwohner, selbst ihm gegenüber, dem SS-Häftling.
Er fügte sich ein, Schlesien war kein Ort, an den er zurückkehren wollte. Als Dorfbewohner erfuhren, dass die nach Westen geflohene Mutter dieses Ex-Gefangenen erkrankt war, schickten sie Steinmeyers Familie Pakete. Für den Rest seines Lebens sollte er Cultybraggan bei Comrie verbunden bleiben, dem Ort seiner Internierung.
Seine Kontakte hielten auch noch, als er zurück nach Deutschland ging. Steinmeyer ließ sich 1970 in Delmenhorst nieder, baute ein Haus, pflegte bis zu ihrem Tod seine Mutter. Arbeitete, gab nie viel aus, fiel nicht groß auf und wenn, dann wegen seiner Sparsamkeit: "Schotte" nannten sie ihn auch deshalb und nicht nur wegen all der Souvenirs in seinem Haus. Im Dorf erzählte man sich davon, wie viel er besäße, obwohl er doch nur einfacher Arbeiter auf den Docks in Bremen gewesen sei.
Aber er leistete sich ja auch absolut nichts. Kein Auto, kein Urlaub im eigentlichen Sinn, keine Extravaganzen. Geizig, Schotte, klar doch: sitzt auf Geld. Was sie nicht wussten war, dass er nun zeitweilig bis zu fünf Familien in Comrie unterstützte, Geschenke und Pakete schickte. Heinrich geizig? Hätten sie dort nicht verstanden. Irgendwann begann man im schottischen Dorf, ihn "Onkel Heinz" zu nennen. Wenn er kam, freuten sich viele.
Wort ist Wort: Als er ging, gab er alles
Jetzt kam noch einmal Nachricht von Heinrich Steinmeyer, seine letzte, eine Überweisung: Mehrfach hatten Medien in Deutschland wie Großbritannien bereits darüber berichtet, dass Steinmeyer sein gesamtes Vermögen angeblich dem Dorf seiner Gefangenschaft vermacht habe. Steinmeyer selbst hatte das schottischen Freunden in Comrie versprochen: Wenn ich gehe, dann kriegt Ihr mein Geld, und dann soll damit etwas für das Dorf und die Alten dort getan werden. Sicher, Heinrich, machen wir, hieß es dann, und wie großzügig das wäre. Im Februar 2014 starb Steinmeyer im Alter von 90 Jahren - und nichts geschah.
Bis zur vergangenen Woche. Erbschafts- und Hinterlassenschaftsangelegenheiten können sich ziehen in Deutschland, zumal wenn einer ein Dorf im Ausland bedenkt statt die eigene Verwandtschaft. Wenn dann noch ein Haus verkauft werden muss. Wenn dann noch ein Empfänger für das Geld gefunden werden muss, weil George Carson, der ursprünglich benannte Verwalter, bereits vor dem Erblasser verblich. Kompliziert, so etwas.
Und sensationell, wenn es dann doch geschieht: 386.000 Pfund, berichtete die "Daily Mail" am Freitag, seien in Cultybraggan eingegangen. Fast gleichlautend berichten "Mirror" und "Sun" vom "ehemaligen SS-Kriegsgefangenen", der in ihrer leicht aufgebohrten Version "400.000 Pfund dem kleinen Dorf" hinterließ, das ihn "mit Höflichkeit und Großzügigkeit behandelt" habe.
"Nazi Gold" aus dem Sparerstrumpf
Nur die "Sun" konnte es sich nicht verkneifen, das alles noch mit dem kleinem Zusatz "Nazi Gold" publizistisch aufzuwerten - kann ja nicht angehen, dass so eine Geschichte völlig ohne sinistere Nebentöne erzählt wird. Im Text erfahren dann aber auch verwunderte Teutonen-Hasser, dass dieses Gold aus dem Strumpf eines langjährigen Sparers stammte.
Und wie viel genau? 457.180 Euro, sagen sie in Comrie. Nach gestrigem Wechselkurs etwa 383.000 Pfund, aber das fluktuiert ja derzeit kräftig, Brexit sei Dank. Das Geld wird in eine frisch begründete Stiftung laufen, die vom Comrie Development Trust verwaltet wird. Der Heinrich Steinmeyer Legacy Fund soll ausschließlich dazu benutzt werden, die Infrastrukturen und Versorgungslage für ältere Bürger in und um Comrie zu verbessern.
Onkel Heinz kümmert sich auch posthum weiter um die, die sich einst so sehr um ihn bemühten. Und um die deutsch-britischen Beziehungen gleich mit.
Quelle : spiegel.de