Lawrow schätzte die neue Initiative der Amerikaner als „Versuch, Zeit zu gewinnen“, ein, „damit die Kämpfer sich erholen und ihre Vorräte auffüllen können“. Die Situation um den Beginn der Genfer Verhandlungen sei „eine Detektivgeschichte“, wenn man den spontanen Sinneswandel Washingtons bedenke, betonte er.
„Uns wird allmählich klar, dass ein ernsthaftes Gespräch mit unseren amerikanischen Partnern nicht funktioniert“, sagte der russische Chefdiplomat weiter. „Das passierte schon mit unseren Vereinbarungen mit Kerry vom 9. September, die getroffen wurden und sogar in Kraft traten. Dann begannen die USA plötzlich, nach Vorwänden zu suchen, um sie nicht zu erfüllen, und fanden auch einen solchen Vorwand. Jetzt ist eine ähnliche Situation entstanden: Was die Amerikaner auf dem Papier vorschlugen, und was auch von uns unterstützt wurde, passt ihnen jetzt wieder nicht.“
Zugleich vermutete Lawrow, dass ein gewisser Teil des amerikanischen Establishments dem Ruf seines Amtskollegen Kerry schaden wolle.
Die frühere Initiative der Amerikaner war von der russischen Seite positiv bewertet worden. Es handelte sich dabei um den Abzug der in Ost-Aleppo verbleibenden Kämpfer durch besondere Korridore, die von russischen und amerikanischen Experten zu vereinbaren wären. Gleich danach sollte den Amerikanern zufolge die Waffenruhe ausgerufen werden.
Am Montag hatte Russland gemeinsam mit China und Venezuela einen von Neuseeland, Spanien und Ägypten in der Uno initiierten Resolutionsentwurf blockiert. Dabei hatte Russlands UN-Botschafter Vitali Tschurkin sofort gewarnt, er würde auf sein Vetorecht zurückgreifen: „In diesem Resolutionsentwurf geht es nicht um den Abzug der Kämpfer aus Ost-Aleppo, sondern um die unverzügliche Feuereinstellung. Dabei hätten die Kämpfer zehn Tage, um sich zu entscheiden, ob sie sich am Waffenstillstand beteiligen oder nicht. Aber wie wir wissen, haben sie solche Pausen jedes Mal genutzt, um ihre Reserven zu vervollkommnen und sich zu erholen.“ Die stellvertretende US-Botschafterin bei der Uno, Michele Sison, warf Moskau die Absicht vor, die Mitglieder des UN-Sicherheitsrats zu betrügen. „Wir konnten keinen Durchbruch erreichen, weil sich Russland vor allem um seine militärischen Erfolge und nicht um die Unterstützung der Einwohner Aleppos bemüht“, zitierte Reuters die US-Diplomatin, der zufolge es kaum möglich sei, mit Russland Vereinbarungen zu treffen.
„In den letzten Monaten hatte das US-Außenministerium im Grunde keine klare Position zu Aleppo“, meint Leonid Issajew von der Abteilung für politische Wissenschaften an der Moskauer Higher School of Economics. „Es gibt nur gewisse Prinzipien, von denen die USA ausgehen, beispielsweise dass Russland keine Kriegshandlungen führen sollte, dass der Waffenstillstand gelten sollte, dass die Normen des humanitären Rechts eingehalten werden sollten. Aber eine Strategie, die umgesetzt werden könnte, gibt es in den letzten Monaten nicht. Deshalb können die Amerikaner uns nichts vorschlagen“, so der Experte.
Zugleich stimmte er der Meinung Lawrows zu, dass die Amerikaner nur Zeit gewinnen wollen. In Ost-Aleppo befinden sich unter anderem Kämpfer der Gruppierung Fath-Khaleb, die der oppositionellen Freien Syrischen Armee (FSA) angehören. „Sie verstehen sehr gut, dass es sinnlos ist, die Stadt zu verteidigen. Die östlichen Stadtbezirke werden definitiv (von den syrischen Regierungstruppen) erobert. Aber ich glaube nicht, dass dort richtige terroristische Strukturen verbleiben“, ergänzte der Experte.
Quelle : sputnik.de
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