Die blutige Strategie der IS-Terroristen

  21 Dezember 2016    Gelesen: 836
Die blutige Strategie der IS-Terroristen
Anders als Al-Kaida setzt der Islamische Staat weniger auf große, spektakuläre Anschläge. Der IS setzt darauf, Terror alltäglich zu machen. Erst im November beschrieb ein IS-Magazin, wie man mit Fahrzeugen möglichst blutige Attentate verübt.
Als die Meldungen vom Anschlag auf dem Breitscheidplatz in Berlin kamen, fühlte Philippe Pradal sich an den Anschlag von Nizza erinnert. "Die gleiche Vorgehensweise. Die gleiche verblendete Gewalt. Der gleiche Hass auf fröhliche Menschen", schrieb der Bürgermeister auf Twitter. In seiner Stadt hatte ein Tunesier am 14. Juli, dem französischen Nationalfeiertag, 85 Menschen getötet, indem er einen Lastwagen auf der Strandpromenade in eine Menschenmenge lenkte.

Die Hintergründe des Anschlags von Berlin sind noch unklar. In Nizza war es so: Zwei Tage nach dem Anschlag bezeichnete die Terrormiliz IS den Täter Mohamed Bouhlel als "Soldaten des Islamischen Staats". Das bedeutet nicht, dass der IS Bouhlel ausgebildet hat und mit dem Anschlag beauftragt hat. Es bedeutet nicht einmal, dass Bouhlel Kontakt zum IS hatte. Im Gegenteil: Der 31-Jährige scheint sich relativ schnell radikalisiert zu haben.

Das geschah offenbar nach dem Muster des sogenannten Erlösungsnarrativs. "Es führt dazu, dass Kleinkriminelle beim Islamischen Staat auftauchen und genau das machen, was sie vorher gemacht haben – Gesetze brechen, Straftaten verüben, möglicherweise Leute umbringen", sagte der Terrorismusexperte Peter Neumann. "Jetzt tun sie dies aber in dem Glauben, einem guten Zweck zu dienen."

Bouhlel ging nicht nach Syrien. Das entspricht einer veränderten Strategie des IS. Zentrales Ziel ist nicht mehr, das im Juni 2014 ausgerufene "Kalifat" in Syrien und im Irak zu verteidigen, dessen Anziehungskraft Zehntausende Dschihadisten angelockt hat. Das zentrale Ziel ist nun, weltweit möglichst viele Anschläge zu verüben.

"Überfahrt sie mit dem Auto"

Dabei setzt der IS auf eine andere Strategie als das Terrornetzwerk Al-Kaida. Dem IS geht es nicht – oder besser: nicht nur – um minutiös geplante Aktionen wie die Anschläge vom 11. September 2001. Das wurde schon 2014 deutlich, als IS-Sprecher Abu Muhammad al-Adnani dazu aufrief, Europäer und Amerikaner zu ermorden. "Zertrümmert ihnen den Kopf, schlachtet sie mit einem Messer, überfahrt sie mit dem Auto, werft sie von einem hohen Gebäude, erwürgt oder vergiftet sie", heißt es in einer gruseligen Anleitung zum Mord an "Ungläubigen". Der IS setzt weniger auf die Wirkung spektakulärer Anschläge, sondern darauf, mit der Ausstrahlung seiner militärischen Erfolge in Syrien und im Irak genügend Einzeltäter in westlichen Ländern aufzuhetzen. Den fast schon alltäglichen Terror des IS, unter dem Länder wie die Türkei, der Irak, der Libanon und andere islamische Staaten leiden, soll auch in den Westen getragen werden.

Dazu verbreitet das Terrornetzwerk Anleitungen, die auch von schlichteren Geistern verstanden werden. Erst in der November-Ausgabe des IS-Magazins "Rumiyah" wurde beschrieben, wie man mit Fahrzeugen Anschläge verüben kann. "Obwohl sie ein wesentlicher Teil des modernen Lebens sind, verstehen nur wenige die tödlichen und zerstörerischen Fähigkeiten des Kraftfahrzeugs und seines Vermögens, große Zahlen an Opfern niederzumähen", beginnt der Artikel in gleichzeitig plaudernd-beiläufigem und völlig skrupellosem Stil. Hinter übersichtlichen Aufzählungspunkten werden Fahrzeuge aufgelistet, die "ideal" sind, und solche, die vermieden werden sollten. Als "geeignete Ziele" werden, ebenfalls stichpunktartig, Straßenfeste und ähnliche Veranstaltungen genannt. Weihnachtsmärkte werden nicht ausdrücklich erwähnt. Allerdings heißt es, man solle grundsätzlich jede Veranstaltung in Erwägung ziehen, die im Freien stattfindet und viele Menschen anzieht.

Mohamed Bouhlel lebte seit 2005 in Nizza. Er scheint das gewesen zu sein, was man eine gescheiterte Existenz nennt, dazu gewalttätig und kriminell. Von dem Attentäter vom Breitscheidplatz, ist bislang nicht viel bekannt. Bundesinnenminister Thomas de Maizière sagte, der festgenommene Pakistaner streite die Tat ab. Die "Welt" meldet mittlerweile, dieser Mann sei gar nicht der Attentäter. "Wir haben den falschen Mann", zitiert die Zeitung einen ranghohen Polizeiführer. Damit ist noch offen, ob der Attentäter mit dem Vorsatz, vielleicht sogar mit dem Auftrag nach Deutschland kam, einen Anschlag zu verüben, oder ob er sich erst hier radikalisierte.

Philippe Pradal, der Bürgermeister von Nizza, schrieb bei Twitter noch einen Satz. Dessen zentraler Begriff ist nicht so leicht zu übersetzen. "Mehr denn je müssen wir den Obskurantismus bekämpfen." Der Begriff bezeichnet die Feindschaft zur Aufklärung, gemeint ist offenbar die Ideologie der Terroristen. Ein wichtiges Detail dieses Satzes sei hervorgehoben: Pradal schrieb "Obskurantismus". Nicht "die Obskuranten".

Tags:


Newsticker