Der Islam in Deutschland verändert sich

  06 November 2015    Gelesen: 505
Der Islam in Deutschland verändert sich
Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan bringen eigene religiöse Vorstellungen mit. Damit verschieben sich die Gewichte in der islamischen Gemeinschaft. Muss ein innerislamischer Dialog her? Bislang gibt es dafür in Deutschland keine Plattform.
Religion gibt Menschen auf der Flucht einen Halt. Viele Muslime suchen nach ihrer Ankunft eine Moschee zum Beten. Dabei finden Syrer, Iraker oder Afghanen in den meisten Städten gewachsene Gemeindestrukturen vor. Experten erwarten, dass sich die Gewichte zwischen den unterschiedlichen islamischen Verbänden verändern, so die dpa.

Die Türkisch Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib) ist der mit Abstand größte islamische Verband. Daher sei die Wahrnehmung des Islams in Deutschland bislang türkisch geprägt, sagt der Mainzer Islamwissenschaftler Marwan Abou Taam. «Durch die Flüchtlinge aus Syrien kommt es zu einer zunehmenden Arabisierung des Islams in Deutschland.» Dies werde vermutlich den Zentralrat der Muslime stärken.

Abou Taam erwartet, dass die Syrer schon aus sprachlichen Gründen den Anschluss an arabische Gemeinden suchen werden. Diese seien oft stärker politisiert als die Ditib. Das Spektrum des sunnitischen Islams arabischer Prägung reiche von einer volkskonservativen Richtung über die Muslimbruderschaft bis in den Salafismus hinein. «Welche Richtung sich am Ende durchsetzt, hängt entscheidend davon ab, auf welche Rahmenbedingungen sie hier treffen.» Daher hätten die islamischen Verbände eine große Verantwortung, «die positiven Einflüsse zu stärken und negative einzudämmen», sagt der Wissenschaftler in Diensten des Landeskriminalamts Rheinland-Pfalz.

Die Moscheengemeinden in Deutschland gehen meist offen auf die Neuankömmlinge zu. «Wir laden die hier eintreffenden Flüchtlinge zum Freitagsgebet ein», sagt der stellvertretende Vorsitzende des Ditib-Landesverbands Rheinland-Pfalz, Cihan Şen. Dabei stehe das Beten und das Gespräch mit den muslimischen Brüdern und Schwestern im Vordergrund. Die Versammlungen seien für alle offen, der Unterschied zwischen Türken und Arabern spiele da keine Rolle. Mitglieder der Moscheengemeinde seien auch vielfach zu Besuch in den Unterkünften, um Geschenke oder Essen zu verteilen. «Auch außerhalb der Gottesdienste werden wir uns unseren muslimischen Geschwistern, welche Sprache sie auch immer sprechen mögen, nähern, mit ihnen fühlen, empathisch sein», heißt es im Flüchtlingskonzept der Ditib.

Die Frankfurter Flüchtlingshelferin Sultana Shamal steht vor allem Afghanen bei, die wie sie Dari sprechen – manchmal bis in den Kreißsaal hinein, wenn eine geflüchtete Afghanin ein Kind zur Welt bringt. Ihr Glaube gebe ihr die für den ehrenamtlichen Einsatz nötige Kraft, sagt die 24-Jährige, deren Familie aus Afghanistan stammt. «Es werden harte Zeiten auf sie zukommen, ihr Leben wird wahrscheinlich nicht so sein wie es damals in ihrem Herkunftsland war», sagt die Studentin. «Aber im Koran steht: „Mit der Erschwernis kommt Erleichterung her“».

«Alles was beim Ankommen hilft, ist positiv, dazu gehören auch die religiösen Angebote», sagt der rheinland-pfälzische Migrationsbeauftragte Miguel Vicente. Mit der Integration der geflüchteten Menschen könnte die Vielfalt der Verbände in der islamischen Gemeinschaft zunehmen – «das ist eine Dynamik, die wir jetzt noch nicht absehen können». Interessant seien dabei Ansätze für ethnisch und konfessionelle übergreifende Gemeinschaften. Mit Blick auf einen Islam, der sich im Werterahmen der westlichen Gesellschaft einen Platz suche, sei «eine Entkoppelung von den Heimatländern» ein Vorteil.

Irakische Flüchtlinge könnten dem schiitischen Islam in Deutschland Auftrieb geben, der bisher vor allem vom Islamischen Zentrum Hamburg vertreten wird. Allerdings ist dieses bislang sehr iranisch geprägt. Abou Taam hält es daher für denkbar, dass es zu Neugründungen von irakisch-schiitischen Gemeinden kommen könnte.

«Vielfalt ist positiv», sagt Abou Taam. «Aber je vielfältiger eine Gesellschaft ist, desto notwendiger ist es, dass man Gemeinsamkeiten aushandelt.» Die in den vergangenen Jahren entstandenen Treffen, Konferenzen und Runden Tische dienen vor allem dem interreligiösen Dialog oder dem Austausch zwischen islamischen Verbänden und politischen Akteuren. «Wir haben aber keinen islamischen Dialog, das wäre absolut notwendig», sagt Abou Taam. «Der Anstoß dafür müsste von den islamischen Verbänden kommen.»

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