Normalerweise reagiert Soros gelassen, wenn Populisten und Autokraten wieder einmal gegen ihn giften. Doch als der Philanthrop kürzlich auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos seine Erklärung vortrug, klang er alarmiert - er sprach von einer "sehr ernsten Gefahr".
Anlass für Soros` Worte ist eine neue Offensive des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán und seiner Regierungspartei Fidesz gegen Nichtregierungsorganisationen (NGO) und insbesondere gegen solche, die von Soros` Open-Society-Stiftung finanziert werden. Orbán, einst selbst Soros-Stipendiat, hatte 2017 zum Jahr der "nationalen Rebellion" ausgerufen, in dem man "Soros und die durch ihn symbolisierten Kräfte" aus Ungarn "herausdrängen" werde. Ein Stellvertreter seiner Partei Fidesz drohte kürzlich, man werde NGOs "aus dem Land fegen", und kündigte ein Gesetz an, das NGO-Mitarbeiter verstärkt kontrollieren würde - sie sollen künftig individuelle Vermögenserklärungen abgeben müssen.
Erst gefördert, dann verfolgt
Das Vorgehen gegen NGOs hat in Ungarn Tradition: Vor drei Jahren ließ die ungarische Regierung auf Anordnung Orbáns Razzien gegen zahlreiche NGOs durchführen, angeblich hatte es Unregelmäßigkeiten bei Finanzierung und Buchhaltung gegeben. Später musste die Regierung sämtliche Anschuldigungen zurücknehmen, doch der Rufmord blieb haften.
Besonders pikant dabei: Als Orbán und seine Partei Fidesz noch in der Opposition waren, gaben sie sich als Förderer von NGOs. Mehr noch: Orbán beispielsweise ließ sich 2007 in einem Prozess gegen die die damalige sozialistisch-liberale Regierung von der Bürgerrechtsorganisation Tasz vertreten, die jetzt inkriminiert wird.
Ähnliches lässt sich derzeit auch in anderen osteuropäischen Ländern beobachten. In Mazedonien vergeht aktuell kaum ein Tag, an dem der De-Facto-Herrscher Nikola Gruevski nicht gegen NGOs, Soros und seine "mazedonischen Handlanger" wettert. Als solche spricht er offen die Führung einer Sonderstaatsanwaltschaft an, die in zahlreichen Fällen, aktuell auch gegen ihn, wegen Korruption und Amtsmissbrauch ermittelt. Eine vergangene Woche gegründete "Bürgerallianz `Stop Operation Soros`" hat sich die "De-Sorosoisierung" Mazedoniens zum Ziel gesetzt.
Kampagnen gegen NGOs und Soros
In Serbien bezichtigt der Regierungschef Aleksandar Vucic Mitarbeiter von NGOs und unabhängigen Think Tanks in seinem Haussender Pink TV regelmäßig als "antiserbisch" und "antinational" - vergangene Woche beispielsweise die Direktorin des Belgrader "Zentrums für Euro-Atlantische Studien" Jelena Milic, die als "Soros-Söldnerin" ohnehin ständig auf den Titelseiten der serbischen Regierungspresse zu sehen ist. Ebenfalls vergangene Woche wurden Mitarbeiter des Balkan-Jugendnetzwerks YIHR verprügelt, weil sie in der nordserbischen Kleinstadt Beska gegen eine Veranstaltung der Regierungspartei SNS mit einem verurteilten Kriegsverbrecher demonstriert hatten.
In Rumänien wurde aus dem Umfeld der gegenwärtigen sozialliberal-nationalistischen Regierungsmehrheit in der Wahlkampagne im Dezember vergangenen Jahres die "Nachricht" gestreut, der damalige Interims-Regierungschef Dacian Ciolos sei der illegitime Sohn von Soros. Das Gerücht verbreitete sich so rasant, dass Ciolos sich zu einem Dementi gezwungen sah. Dabei war die Fake-Nachricht nur Teil einer haarsträubend chauvinistisch-xenophoben Wahlkampagne der sozialdemokratisch-nationalistischen Parteienallianz PSD-ALDE gegen alles angeblich "Unrumänisch-Fremde".
Für das Vorgehen gegen NGOs und gegen Soros gibt es aus Sicht osteuropäischer Machthaber gewichtige Gründe. Der Börsenmilliardär hat Nichtregierungsorganisationen und zivile Initiativen für Demokratisierung in Osteuropa in den vergangenen dreieinhalb Jahrzehnten mit Hunderten von Millionen Dollar unterstützt. Nicht zuletzt deshalb sind NGOs heute in vielen Ländern der Region eine der wenigen starken Säulen der Machtkontrolle. Oft dokumentieren sie als einzige Institutionen Rechtsbrüche, Korruption und soziale Missstände glaubwürdig und gründlich.
Legende von der jüdischen Weltverschwörung
Máté Szabó, der Programmdirektor der ungarischen Bürgerrechtorganisation Tasz, nennt sein eigenes Land als Beispiel: "Um ihre Macht zu sichern, hat die ungarische Regierung in den letzten Jahren unabhängige Verfassungsinstitutionen aufgelöst oder gefügig gemacht. Jetzt folgen die unabhängigen Medien und unliebsame zivile Organisationen."
In Serbien, sagt ihrerseits die Politologin Jelena Milic, sei der Regierungschef Aleksandar Vucic nominell ein eifriger Verfechter der EU-Integration und der EU-Grundwerte. In Wirklichkeit hasse er die Zivilgesellschaft und sehe NGOs als eine der größten Bedrohungen für seine Macht. "Leider ist man in Brüssel blind für seine Politik", so Milic.
Wenn Regierungschefs wie Vucic, Orbán oder Gruevski Kampagnen gegen NGOs und Soros führen, dann greifen sie dabei auch zu einem einschlägigen Narrativ: das der ausländischen und insbesondere jüdischen Weltverschwörung gegen Heimat, Volk und nationale Interessen. Soros` Biografie als ungarischer Jude, Überlebender des Holocaust, Emigrant und sagenhaft reicher Börsenspekulant eignet sich besonders gut dafür.
Orbán beispielsweise verwendet ganz ungeniert typische rechtsextreme, verklausuliert antisemitische Versatzstücke, wenn er über Soros und NGO spricht - sie repräsentierten eine "Hintergrundmacht" und hätten eine "manipulatorische Experimentalanordnung" aufgebaut, sagt er beispielsweise.
Wie erfolgreich ein solcher Diskurs ist, zeigt eine aktuelle Meinungsumfrage der regierungsnahen Budapester Századvég-Stiftung: Demnach haben 61 Prozent der Ungarn eine negative Meinung über Soros. Bei der manipulativen Frage nach "soft power" - "Druck ausländischer politischer und wirtschaftlicher Kräfte auf die ungarische Innenpolitik mittels ziviler Organisationen" - war die Ablehnung noch größer: 88 Prozent sprachen sich dagegen aus.
Quelle:spiegel
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