Assyrer im muslimischen Aserbaidschan
Doktorand an der Universität zu Köln
Seinerzeit beherrschten Sie große Teile des heutigen Iraks (im Altertum als Mesopotamien bekannt), Irans und Norden Syriens. Bis in die östlichen Gebiete des Alten Ägyptens ragte ihr Herrschaftsgebiet hinein. Sie, Assyrer, haben das erste Großreich der Weltgeschichte (zwischen 13. – 7. Jahrhundert v. Chr.) etabliert. So unangefochten und unerschütterlich ihre Herrschaft einst zu sein schien, kam der Niedergang im Zenit ihrer Macht im Jahre 609 v. Chr. völlig überraschend, als Babilonier und Meder, ehemals Untertanen der Assyrer, das Schicksal des durch den lang anhaltenden Bürgerkrieg abgeschwächten Weltreiches besiegelten. Die blühende Hauptstadt Ninive (im nördlichen Irak) und zahlreiche Ortschaften von historischer Bedeutung wurden in Trümmer gelegt, jahrhundertelang existierende Kulturgüter zerstört, und bis dahin vollbrachte Leistungen gerieten mit der Zeit in Vergessenheit.
Heutzutage sind Assyrer in alle Himmelsrichtungen verstreut. Die meist christlich(orthodox) geprägten Assyrer leben in der Gegenwart mehrheitlich im Irak, Iran, Libanon und in Syrien. Zudem lebt in Hakkari und im Tur-Abdin (das geistliche Zentrum hier ist das Kloster Mor Gabriel), den südostanatolischen Provinzen der Türkei, eine kleine assyrische Minderheit, die zu syrisch-orthodoxen Christen zugeordnet werden. Weltweit leben geschätzt 2,8 Millionen Assyrer, die sich hauptsächlich in Diasporaorganisationen (in Kanada, der Schweiz, Österreich, Holland etc.) zusammengeschlossen haben. Die größte Gemeinde ist in Deutschland (ca. 100 Tausend Assyrer) beheimatet.
Was bisher für europäische Öffentlichkeit im Verborgenen blieb, ist die Tatsache, dass in Aserbaidschan, dem mehrheitlich schiitisch-muslimischen Land eine wenn auch überschaubare assyrische Minderheit zu finden ist. Deren Geschichte beginnt Anfang des 19. Jahrhunderts, als Assyrer nach dem zweiten Russisch-Persischen Krieg 1826-1828 zusammen mit Armeniern in den nord-aserbaidschanischen Provinzen Irevan (Eriwan), Nachitschewan und Karabach angesiedelt wurden. Sie kamen hauptschlich aus dem südaserbaidschanischen Gebiet Urmiya (im heutigen Iran).
Zu Beginn des Ersten Weltkrieges lebten allein im Gouvernement Irevan (Eriwan) ca. 2500 Assyrer. Der Krieg hat die kleine Gemeinde buchstäblich auseinandergerissen und deren Existenzgrundlagen in der Region in Frage gestellt. Assyrische Kampfeinheiten, die an der Seite des Zarenreiches gegen die Osmanen kämpften, mussten nach dem Rückzug russischer Truppen einen hohen Preis dafür bezahlen. Um Repressalien aus dem Weg zu gehen, zogen bis zu 50 Tausend Assyrer in südlicher Richtung in den Iran und von dort aus in den Irak, um bei Engländern Schutz zu suchen. Zwar kehrte etwa die Hälfte nach Kriegsende wieder zurück, doch auf dem Höhepunkt stalinistischer Säuberungswellen verließen 12 Tausend Assyrer erneut ihre Heimatorte. In der Sowjetzeit lebten die Kaukasusassyrer mehrheitlich in östlichen Provinzen Armeniens. Doch als Minderheit hatten sie immer einen schweren Stand. Nach dem Untergang des Sowjetstaates und nachdem Armenien sich in ein monoethnisches Land verwandelt hat, emigrierten Assyrer massenweise nach Russland und in die Ukraine. Dem Exodus in den 1990ern lag auch im Wesentlichen ein Gesetz zugrunde, welches die Vorrangstellung des Armenischen bekräftigen und die assyrische Sprache aus dem öffentlichen Leben verdrängen ließ.
Im säkular-muslimischen Aserbaidschan, wo Toleranz, Gasfreundschaft und Offenheit gegenüber Menschen anderer Glaubensrichtungen stets großgeschrieben werden, sind Assyrer im Westen und Nord-Westen (hier vor allem in der Stadt Zagatala) des Landes konzentriert. Deren Zahl schwankt zwischen 700 und 1000. Die Ortschaften Vurghun und Hasansu der Stadt Agstafa (nahe der georgischen Grenze) sind ebenso Heimat aserbaidschanischer Assyrer. Bei der hiesigen Bevölkerung sind als „Aysorular“ bekannt. Hierher wanderten sie 1915 ein, als 500 assyrische Familien im Zuge des Vorstoßes osmanischer Truppen aus Bitlis und umliegenden Territorien in östlicher Richtung verdrängt worden waren. Lediglich 30 bis 40 Familien schafften bis nach Hasansu und sind hier ansässig geworden. Zusammen mit Aserbaidschanern und Deutschen, die 1905 die unweit gelegene Kolonie „Grünfeld“ gegründet hatten, lebten Asyyrer bis 1941 friedlich zusammen. Der Enteignung und Deportation der Deutschen allerdings folgte 1949 die Zwangsumsiedlung der Assyrer in den Oblast Tomsk in Russland. Nur einige wenige durften bleiben.
Auch in der von schwäbischen Kolonisten gegründeten Stadt Göygöl (ehemals Helenendorf) sind ein paar Assyrer zu sehen. Deren wohl berühmteste Vertreterin ist die Unternehmerin Larisa Danilova, die mit ihrem Restaurant (unter den Einheimischen besser bekannt als „Larisas Restaurant“) in der Hummelstraße regionsübergreifend einen großen Namen gemacht hat.
Larisa Danilova singt auf Assyrisch
Assyrer von Aserbaidshcan pflegen bis dato ungehindert ihre Identität, Traditionen und religiöse Überlieferungen. Sie behaupten sich als erste Volksgruppe im 4. Jahrhundert zum Christentum bekannt zu haben. Doch die in diesem Zusammenhang stehenden Rituale heben sich grundlegend von denen der europäischen Christen ab und weisen teilweise gewisse Ähnlichkeiten mit muslimischen auf. Sie beten kniend zweimal am Tag und zwar mit dem Gesicht zur Sonne, da diese von Assyrern vor ihrer Bekenntnis zum Christentum als Gott verehrt wurde. Darüber hinuas fasten „Aysorular“ zweimal im Jahr. Eines davon fängt am 7. Januar, dem Geburtstag von Jesu Christi an und dauert 25 Tage, wobei auf den Verzehr von Fisch, Fleisch und Butter in diesem Zeitraum generell verzichet wird.
Die assyrischen Hochzeitstraditionen, unter anderem Tänze stellen erstaunliche Analogie zu denen von Aserbaidschanern (etwa zu Tanzliedern „Yalli“, „Kötschari“ oder „Scheychana“) dar. Die eigentliche Fete geht spät am Abend los und zieht sich bis in die frühen Morgenstunden hin. Die Braut wird anschließend ähnlich wie bei aserbaidschanischen Hochzeiten mit brennenden Kerzen ins Haus des Bräutigams geführt. Auch bei Trauerfeierlichkeiten knüpfen Assyrer an ihre eigentümlichen Gepflogenheiten an. Wenn ein junges Familienmitglied stirbt, herrscht 7-jahrelang Trauerstimmung zu Hause und Hauswände von innen werden mit dunkel-blauer Farbe, die als Trauersymbol gilt, gestrichen. Die Beerdigungszeremonie basiert ausschließlich auf orthodox-christlichen Traditionen.
Das konfliktfreie Zusammenleben der Menschen unterschiedlicher Konfessionen war über die Jahrhundere hinweg eine Selbstverständlichkeit in Aserbaidschan und prägt dieses Bild auch in der Moderne, auch wenn das Land vor allem in den letzten 200 Jahren schwierige Zeiten durchstehen musste. Ganz egal, ob ethnisch-religiöse Gemeinden an der Hand abzuzählen sind: Toleranz, Akzeptanz, Teilhabe am politisch-gesellschaftlichen Leben im Land des Feuers gelten für alle und Assyrer machen dabei keine Ausnahme.
Erschienen auf Alumniportal-Aserbaidschan